Eine Rezension von Reinhard Johann


Rechtlich geschütztes Sterben

Richard Fuchs/Karl A. Schachtschneider (Hrsg.):
Spenden was uns nicht gehört
Das Transplantationsgesetz und die Verfassungsklage.
Rotbuch Verlag, Hamburg 1999, 229 S.


Wer heutzutage als akut Nierenerkrankter eine Spenderniere in Aussicht hat, fühlt sich wie neugeboren. Die Transplantationsmedizin dürfte zu den segensreichen Erfindungen der neueren Medizin gehören - doch unumstritten ist sie nicht. Seit der Gesetzgeber am 1.Dezember 1997 das neue Transplantationsgesetz (genauer: das „Gesetz über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen“, mitgeteilt im Bundesgesetzblatt 1997, Teil I, Nr.74, S. 2631-2676) erlassen hat, das eine Organentnahme bei medizinisch bestätigtem Hirntod auch in dem Falle erlaubt, wenn vom Verstorbenen keine Einwilligung vorliegt, eine solche jedoch von nahestehenden Angehörigen gegeben wird, ist die öffentliche Debatte um die ethischen und rechtlichen Grundlagen dieser Grenzbereiche menschlicher Lebensvorsorge und -nachsorge erneut heftig entbrannt. Da zur selben Zeit die Bioethik-Konvention in den internationalen Parlamenten debattiert worden ist, in der neben der Erleichterung der Organentnahme eine ganze Reihe weiterer Festlegungen zu finden sind, die über das hinausreichen, was in der bundesrepublikanischen Gesetzeslandschaft erlaubt ist (z. B. wird eine Aushebelung des in der BRD geltenden Embryonenschutzgesetzes erwartet; zudem gibt es Bestrebungen, das Gesetz zum Schutze nichteinwilligungsfähiger Personen vor medizinischen Experimenten zumindest durchlässiger zu machen), erhält diese Thematik eine besondere Brisanz. Denn das ganze bislang geltende und vor allem in der BRD eher restriktive denn offene Zulassungsverfahren in den genannten Bereichen, zu denen neuerdings noch diverse therapeutische Möglichkeiten in Verbindung mit dem Klonen von Menschen sowie von Eingriffen in die menschliche Keimbahn hinzukommen, gerät mehr und mehr in eine Zwickmühle. Auf der einen Seite ist die segensreiche Anwendungspraxis der Organersatzmedizin nicht zu bestreiten, auf der anderen Seite aber sind traditionelle Schranken der Bewahrung der Ganzheit und Unversehrtheit des menschlichen Leibes auch nach erfolgtem (Hirn-)Tod ein Bestandteil des Grundrechtes auf Menschenwürde und Persönlichkeitsschutz. Zum anderen steht die Gesetzlichkeit in der BRD hinsichtlich dieser Themengruppe im Gegensatz zu der relativ offenen Handhabung, die sie in anderen europäischen wie außereuropäischen Ländern erfährt. Die Globalisierung schlägt auch hier erbarmungslos zu, die damit anstehenden Fragen sind nahzu sämtlich nicht befriedigend gelöst. Nationale Alleingänge stehen im Gegensatz zu den Angleichungen im internationalen Rahmen. Ob man es will oder nicht, der Medizintourismus über die Grenzen wird sich bald schon auf diesen ganzen Problembereich erstrecken. Natürlich haben das die Gegner des neuen Transplantationsgesetzes auch vor Augen, aber ein geographisch-politischer Sachverhalt determiniert kein Rechtsgefühl und noch weniger eine Rechtslage. Insofern ist die Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht von prinzipieller Bedeutung und keine Sache der Abwägung in Anbetracht der neuen europäischen Gegebenheiten. Auf Initiative des Ordinarius für öffentliches Recht an der Universität Erlangen-Nürnberg, Prof. Dr. Karl Albrecht Schachtschneider, und seiner Assistentin Dagmar Siebold wurde am 23. November 1998 eine Verfassungsbeschwerde gegen dieses Gesetz eingereicht, unterstützt von 254 Mitbeschwerdeführern, die alle namentlich aufgelistet sind. Der Text der Beschwerde ist eine sorgfältige und ausgewogene Zusammenstellung der verfassungsrechtlichen und ethischen Bedenken gegen die Organentnahme ohne Einwilligung des Spenders und hat somit für die weiteren Debatten zum Bioethik-Diskurs exemplarische Bedeutung. In den beiden Vorworten der Herausgeber und in vier Textbeiträgen werden die Beschwerde begründende Einzelthemen erörtert und fünf beispielhafte Fälle vorgestellt, die klinische und moralische Einwände gegen Organtransplantationen anhand stattgefundener Unfälle vortragen. Sonderbar ist dabei jedoch, daß die Fallbeispiele gar nicht auf den inkriminierten Hauptpunkt der Beschwerde eingehen - also die Organentnahme bei nicht vorliegender Einwilligung des Toten -, sondern sich gegen medizinische Schlampereien verschiedenster Art und mangelnde psychische Beratung und Nachsorge bei schweren Fällen richten. Das kann man doch nur so deuten, daß die Autoren sich damit gegen die Organtransplantation generell wenden?! Eine ausgewogene Diskussion des Für und Wider zu diesem Thema war also wohl gar nicht beabsichtigt. Auch die Überschrift eines der Textbeiträge - „Zerstückelter Körper - zerstückelter Tod“ - ist geeignet, die ganze Problematik der Organtransplantation mit Assoziationen zu befrachten, die von vornherein auf Abscheu und Entsetzen programmieren. Bei aller Anerkennung des Engagements der Autoren fühlt man sich als Leser dadurch eher irritiert, denn an die Hand genommen. Zum Schluß bleibt offen, wie der Beschwerdegang endete; der Rezensent gesteht, daß er das nicht in Erfahrung bringen konnte. Nach Lage der Dinge und der Komplexität der damit verbundenen Folgefragen sieht es nach einem noch schwebenden Verfahren aus.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08+09/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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