Ein Rezension von Helmut E. Günter


Von gravierenden Veränderungen bis zu irreparablen Schäden

Gabriele Camphausen/Christian Bahr/Günter Schneider:
Eine Stadt wächst zusammen
10 Jahre deutsche Einheit: Was aus der Mauer wurde.
Jaron Verlag, Berlin 1999, 112 S.


Als Berliner kann man die Veränderungen in der Stadt täglich selber beobachten, ob einem alle gefallen, sei dahingestellt. Das geradezu hastige Verschwinden der monströsen Berliner Mauer jedenfalls hat erst nachträglich den Protest denkmalbewußter Leute hervorgerufen. Jetzt, zehn Jahre nach dem historischen 9. November 1989, legt der vornehmlich auf Berlin-Literatur spezialisierte Jaron Verlag einen Bildband über den beinahe vergessenen Mauerverlauf vor, mit großformatigen Farbfotos von Günter Schneider, einem Essay der Historikerin Gabriele Camphausen vom Verein „Berliner Mauer - Dokumen-tationszentrum und Gedenkstätte“ und Bildtexten des Journalisten Christian Bahr von der „Berliner Morgenpost“.

An erster Stelle stehen natürlich das Brandenburger Tor und der Reichstag als Symbole der wiedergewonnenen deutschen Einheit, beide jedoch nicht vordergründig in dieser Funktion fotografiert, sondern als Bestandteil des künstlich getrennten und wieder zusammenwachsenden Stadtkörpers. Die Autoren haben sich bemüht, die Aufnahmen aus dem Jahr 1999 jeweils durch Fotos aus der „Mauerzeit“ zu ergänzen, möglichst vom gleichen Standort aufgenommen. Erst diese Gegenüberstellung macht die zumeist gravierenden Veränderungen, manchmal aber auch die irreparablen Schäden um so deutlicher.

Vom Bahnhof Friedrichstraße geht die Mauerreise über Scharnhorststraße, Chausseestraße und Nordbahnhof zur Bernauer Straße, der ein besonders dunkles Kapitel in der Mauergeschichte zukommt. Erschreckend noch immer die Bilder von der Kirchensprengung (Versöhnungskirche, 1985) und dem Kahlschlag südlich der einst so belebten Straße.

Weit weniger bekannt waren die Grenzanlagen in Stolpe Süd und um die ehemaligen Westberliner Exklaven. Leider wird die Unheimlichkeit des auf beiden Seiten von der Mauer flankierten Zugangs nach Steinstücken auf dem historischen Foto kaum deutlich.

Über die Sonnenallee - wo es ganz anders und weniger romantisch aussah als im gleichnamigen Film -, die Heidelberger Straße mit ihren tückischen Grenzbefestigungen, die unscheinbare Görlitzer Brücke und die Oberbaumbrücke, die Mühlenstraße mit der langsam, aber sicher verrottenden East-Side-Gallery und den Ostbahnhof, wo die Reisenden zu DDR-Zeiten kaum ahnten, wie nahe sie der Mauer waren, schließt sich der Ring quer durch die zerrissene Luisen- und Friedrichstadt am Martin-Gropius-Bau und am Potsdamer Platz. Hier sind die Fotos von 1999 schon wieder veraltet. Aber das spricht natürlich nicht gegen diesen gelungenen Fotoband, der auch dem eingeborenen Berliner mancherlei Erinnerungen und neue Ein- und Ausblicke bietet.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08+09/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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