Ein Rezension von Licita Geppert


Die Gärten des Lichts

Paul Löwinger:
Das Lied des Troubadours
Roman.
Wolfgang Krüger Verlag, Frankfurt/M. 2000, 639 S.


„Gott bewahre mich vor den bewunderungswürdigen Taten der Großen“, läßt Paul Löwinger seinen Helden, den Ritter und Troubadour Brian de Martial, am Ende des Buches aufseufzen. Wie recht er damit hat, kann der Leser zu diesem Zeitpunkt gut nachfühlen, denn der sympathische, mutige, aber in Liebesdingen eher unentschlossene Brian hat einen langen Weg hinter sich, um zu dieser Erkenntnis zu gelangen. Als Cousin und Vertrauter von Richard Löwenherz, der seinen Beinamen durchaus zu Recht führte, hatte er, obwohl noch jung an Jahren, bereits eine lange Kampferfahrung in Outremer, jenseits des Meeres, als Kreuzritter erworben. Der sinnlose Tod Richards und darauf folgende persönliche schwerwiegende Erlebnisse haben aus dem Ritter Brans de Sislay den Troubadour Brian de Martial werden lassen, der mit seinem Namen auch all seinen Besitz und seine Rechte aufgegeben hatte. Ebenso berühmt für seine Kampfkunst wie nunmehr für seine leidenschaftlichen, fröhlichen, nachdenklichen und bisweilen aufrührerischen Lieder, zieht der Troubadour mit seinem Joglar Flèche, seinem Spielmann, durch die Occitanie. Sein Ziel ist das vollkommene Lied, von dem er träumt, das er aber weder benennen noch finden kann.

Der Troubadour, der geprägt ist von dem Lebensgefühl und den Lebensanschauungen der Occitanie, die sich in wenigen Begriffen zusammenfassen lassen und dennoch ein ganzes Universum umschreiben, trifft auf die schöne junge Dame Gaelle de Vidars, die ihn - in Verkennung seiner hochgeborenen Herkunft - als Beschützer und Reisebegleiter verdingt. Hier beginnt sein vollkommenes Lied, ohne daß Brian sich dessen bewußt wird. Cortezia, der Verhaltenskodex, der nicht nur das höfische Leben bestimmte, sondern zu den Grundwerten der Occitanie gehörte, bindet ihn an die Verpflichtung, der Dame treu und ergeben zu dienen und sie unangetastet zu ihrem Ziel, der reichen Stadt Béziers, zu bringen. Gaelle erkennt mit der wachen Intuition einer Frau seine seelische Tiefe, aber auch die Abgründe, die verborgenen Fallen, die Brian bisweilen zum größten Feind für sich selbst werden lassen. Auf dem Weg nach Béziers verleben sie eine unbeschwerte, ausgefüllte Zeit, reisen bald schon als Mann und Frau, nachdem Gaelle ihn von seiner Verpflichtung zur Cortezia entbunden hat.

Zur Unzeit erreicht ihn der Ruf Eleonore von Aquitaniens, die, hochbetagt, ihn um einen letzten Gefallen bittet, einen Gefallen, der ihn für lange Zeit weit weg von Gaelle bringen wird. Gaelle erleidet vor Trauer und Enttäuschung eine Fehlgeburt, von der Brian ebensowenig erfährt wie von ihrer Schwangerschaft. So bleibt er schuldig-unschuldig, wird von seinen eigenen Gefühlen niedergedrückt und kann ihnen trotz der weiten Reise nicht entfliehen. Der erneute Kreuzzug nach Outremer ist sein Ziel, und er soll Eleonore als Auge und Ohr dienen. Auf dem Weg zum Sammelpunkt der Kreuzfahrer rettet er ein junges Mädchen, die wegen einer Nichtigkeit buchstäblich vor Gericht gezerrt werden soll, vor ihrem Peiniger. Aus Dankbarkeit folgt sie, die die Sprache der Tiere versteht, ihm so lange, bis sie ihre Errettung an ihn zurückgeben kann. So jung sie mit ihren 14 Jahren auch ist, so weise ist ihre Urteilskraft, so tief ihr Einfühlungsvermögen. Sie hilft ihm, den Kreuzzug physisch und psychisch zu überleben, der in Konstantinopel eine tragische Wende nimmt und sich aus machtpolitischem Gerangel zwischen dem uralten, blinden Dogen von Venedig und dem deutschen Kaiser zu einer Schlacht von Katholiken gegen Katholiken auf fremdem Territorium umkehrt. Wieder einmal sind es die Großen dieser Welt, die die Schönheit des Lebens in die häßliche Fratze des Todes verwandeln. „Aber jetzt, Paolo, sind neue Menschen aufgetaucht, ... Menschen, die erkannt haben, daß der Kitt, der die Welten der Bauern, der Seigneurs, der Bürger aneinanderband, brüchig und alt geworden ist. Sie haben einen neuen, alles beherrschenden Gott gefunden, den Götzen aller Götzen. Den Gewinn, Paolo. Der Gewinn und seine Macht gilt ihnen alles. Des Geldes wegen würden sie, ohne zu fragen und ohne nachzudenken, jede Einsicht des Geistes über Bord werfen ... Es gibt kein Verbrechen, Paolo, das du dir ausdenken kannst, das sie nicht des Geldes wegen begehen würden. Sie erkennen die Seele des Menschen nicht mehr, brauchen sie nicht mehr, geschweige denn, daß sie ihr Heil bejahen. Solche Menschen mag es immer gegeben haben, aber niemals hatten sie den Geist der Zeit für sich.“ Mit diesen bitteren Worten läßt Löwinger den Papst vor seinem stummen Leibwächter Paolo die Epoche umreißen.

Niemand glaubte mehr an einen Kreuzzug des Glaubens. Aber es gibt andere gute Gründe, den Kreuzzug in die Ferne gutzuheißen. Courtrain d'Erbil, der geheimnisvolle Ritter, versucht aus dem Hintergrund heraus, die Geschicke der Occitanie zu beeinflussen, die Gärten des Lichts zu schützen. „Es ist ein schmutziges Spiel, Brian, aber niemand mehr kann diesen Kreuzzug verhindern, so pervertiert er auch sein mag. Wenn die Sturzflut schon losbrechen muß, so soll wenigstens die Occitanie gesichert sein. Stirbt sie, so verliert die Menschheit die Hoffnung auf eine Gesellschaftsform, in der die Ehre die Gier in Zaum hält, in der die Vernunft sich mit der Würde und der Schönheit verbindet.“ Die Occitanie jener Zeit erscheint als ein umfassendes Lebensgefühl, als eine weite Region, in der die Sonne den Geist geprägt hat. Lustvoll, aber auch ehrvoll, katholisch, katharisch oder jüdisch, kämpferisch zwischen zwei Festgelagen, aber lieber noch auf Turnieren, so erleben wir die Menschen jener Epoche und jenes Landstrichs im Süden Frankreichs. Jede Art von Gesinnung oder Religion wird akzeptiert, solange umgekehrt auch sie die anderen toleriert. Kämpferisch, aber doch wenig wehrhaft ist die Occitanie, denn am Ende des Romans, der sich bei den historischen Abläufen an den Fakten orientiert, wird sie dem katholischen Norden zum Opfer fallen, dessen berühmtem Ritter Simon de Montfort, der zwar edel von Gesinnung, aber auch ehrgeizig und machtbesessen genug ist, in einem abgekarteten Spiel auf Betreiben eines Abtes und eines verstoßenen Raubritters dem Aufruf des Papstes zum Kreuzzug gegen die eigenen Landsleute und Glaubensgenossen zu folgen.

„Vielleicht gingen wir alle nur einen langen Weg durch die Jahrtausende, bis eines Tages endlich alles sich erfülle, wovon die Lieder, die Träume und die Religionen sprechen. Ich weiß nicht, ob dieser Troubadour recht hat. Ich weiß nur, daß unzählige Männer und Frauen auf dieser Erde sehnlichst auf das Licht warten, das sie aus der Hölle der Ichbezogenheit in den weiten Raum des Miteinander führen kann.“ Dieses Resümee zieht der Mönch Dominikus, der später heiliggesprochen werden sollte, nach seinem erfolglosen Versuch, die Menschen durch Liebe wieder zum wahren Glauben zu bekehren. Das Katharertum, das die Menschen lehrte, „gut zu denken, gut zu sprechen und gut zu handeln“, war trotz oder vielmehr gerade wegen seiner großen Toleranz zu einer Bedrohung des katholischen Christentums geworden, was weniger eine Glaubensfrage war, als mehr einen Machtverlust bedeutete. Ein entsetzliches Gemetzel, ein wahnwitziges, lustvolles Hinschlachten, wird die Stadt Béziers und ihre Bewohner auslöschen und sich für immer in Brians Seele graben bis zur letzten, von vornherein aussichtslosen Schlacht. Gott und Simon de Montfort halten die Hand über den Troubadour, der an Körper und Seele verwundet entkommen kann, um zurück in die Arme seiner Gaelle zu finden. Nun erst weiß er, daß das vollkommene Lied das Leben selbst ist, mit all seinen Schönheiten, seinen Sonnenaufgängen, aber auch seinen Kämpfen für die Gerechtigkeit und das Gute.

Unfaßbar, daß ein mitteleuropäischer Autor, auch wenn er eine französische Lycée-Ausbildung genossen hat, sich auf diese Weise in ein Lebensgefühl hineindenken konnte und dies auch dem Leser zu vermitteln versteht, das so sehr die Leichtigkeit des Seins zum Mittelpunkt hat wie das der Occitanie. Der Roman ist von erhabener Schönheit, wäre dieser Ausdruck nicht viel zu statisch und zu schwerfällig. Er beschreibt die Brücken des Lebens, über die jeder von uns zu gehen hat, jeder zu seiner Zeit und auf seine Art. Das Buch ist seelenvoll und gleichzeitig beschwingt, grausam und heiter, nachdenklich und sorglos. Es lebt vom Spannungsfeld zwischen diesen Polen, das von Paul Löwinger in jeder erdenklichen Richtung ausgelotet wird. Unaufdringlich, dennoch unübersehbar sind die Parallelen zur heutigen Zeit des erneuten Umbruchs, des Verlustes einer Vision.

Die Sprache ist der Größe des Gegenstandes angemessen. In differenzierter Weise gestaltet der Autor seine Helden. Das Personal der Handlung ist bisweilen so reichhaltig, daß einem einzelne Personen zwischendurch wieder entfallen. Jede einzelne jedoch ist bis ins kleinste Detail psychologisch ausgelotet und historisch genau. Die Handlung ist durch und durch stimmig und bewegt sich mit traumwandlerischer Sicherheit im Zeitgeist. Es war ein großer Genuß und Gewinn, ein so wunderbares, spannendes Buch zu lesen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08+09/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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