Eine Rezension von Christian Berger


Eitelkeit, Ehrgeiz, Energie

Norbert Kohl: Oscar Wilde
Leben und Werk.
Insel Verlag, Frankfurt/M. 2000, 344 S.


Widersinn ist, Natürliches widernatürlich zu nennen. Gegen Widersinn dieser Art wehrte sich Oscar Wilde mit unschlagbarem Witz und dennoch erfolglos. Die Gesellschaft war halt nicht besser. Auch ein Oscar Wilde konnte sie nicht bessern. Er verurteilte die Gesellschaft nicht. Er verachtete sie. Das reichte aus, daß die Verachteten ihn verurteilten. Konkret zu zwei Jahren Zwangsarbeit, weil der Schriftsteller in einer „widernatürlichen“ Beziehung mit einem jungen Mann lebte. Das war 1895. So bigott war die englische Gesellschaft. Die Legende geht, daß der Geächtete an den Folgen der Haft zu Grunde gegangen ist. Drei Jahre nach der Entlassung aus dem Gefängnis und einer Odyssee durch Europa. Die Wirklichkeit war: Wilde starb am 30. November 1900 in seinem Pariser Hotel an einer Hirnhautentzündung. Es starb ein 46jähriger junger Witwer, der in den bitteren Jahren auch Mutter und Bruder verlor, dem jeder Kontakt zu seinen Söhnen, 15- und 14jährig, versagt wurde. Es starb ein Mann, der sich die leidenschaftliche Liebe zum Geliebten, Lord Alfred Douglas, verbot, die das letzte Jahrzehnt seines knappen Lebens aufs höchste dramatisierte. Alfred wurde Oscars Schicksal. Alfred war die ewige Versuchung, die Oscar Wilde schließlich seine „kreative Kraft gekostet“ hat. Zutreffend, bündig stellt das so Norbert Kohl fest, der die Wilde-Literatur um ein weiteres Buch vermehrte. Ein weiteres Buch? Noch ein Bericht über die verzehrende Liebe, die ein Enddreißiger mit einem Anfangzwanziger begann. Über einen Provokateur par excellence, der unelegant scheiterte? Über eine Integrationsfigur der Klatschgesellschaft, der der Klatsch zum Strick wurde? Liebe und Humor hielten Oscar Wilde am und im Leben. Kohl sagt, und das ist ein weiterer treffender Satz: „Er konnte eben allem widerstehen außer der Versuchung.“ Immer Versuchung war das Wort, das das literarische Werk machte. Immer Versuchung war das Lieben, das das private Leben ausmachte. Über Wilde sprechen heißt, über das Lieben und Schreiben des Schriftstellers zu sprechen. Genau das hat Norbert Kohl getan. Ihm geht's um das Genaue. Um das, was verbürgt ist im „Leben und Werk“ des Oscar Wilde. Das bedeutet für den Akademiker des anglistischen Faches, sich von der Schnoddrigkeit moderner Biographien zu distanzieren. Bedeutet, sich von Spekulationen fernzuhalten. Also kein Bettgeflüster, keine Vermutungen, zu denen sich der vielzitierte Wilde-Biograph Richard Ellermann gern hinreißen ließ. Kohl, der Philologe, liebt's korrekter. Der Hang zur Korrektheit verbot dem Autor, eine der gängigen Biographien amerikanischer Machart zu schreiben. Kohls Wilde-Buch ist ein Bi-Buch und entspricht so dem bisexuell gelebten Leben des Mannes. Das Buch ist ein Wissenschaftswerk, das sich in der Inhaltswiedergabe des literarischen Werks gefällt und den analysierenden, vermittelnden Lehrer nicht verleugnet. Das Buch ist eine solide Lebensdarstellung, die ohne feuilletonistischen Schwung auskommen muß und - deshalb?- manchmal steif daherkommt. Kohls auf Authentizität bedachtes Buch macht besser als viele Wilde-Interpretationen begreifbar, warum Eitelkeit, Ehrgeiz, Energie eine existenzielle Bedeutung im Leben und für die Literatur des Oscar Wilde hatten. Eitelkeit, Ehrgeiz, Energie waren die ganze Natur des Schriftstellers. Die verbarg er nicht, also auch nicht seine natürlichen sexuellen Vorlieben. Eitelkeit, Ehrgeiz, Energie waren die Stärke des Iren, den die Engländer ins Exil trieben und der der Welt gehört. Auch den Engländern. Weil das die natürlichste Sache der Welt ist, denn einen Weltschriftsteller kann niemand vor irgendwelchen Grenzschranken stehenlassen.

Norbert Kohl hat die Lebens-Werk-Geschichte eines Grenzüberschreiters geschrieben. An Oscar Wilde sind - und werden - alle scheitern, die ihn in widernatürliche Grenzen verweisen wollen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08+09/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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