Eine Rezension von Bernd Heimberger


Bengel aus Bohnsdorf

Günther Drommer: Erwin Strittmatter
Des Lebens Spiel.
Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 2000, 254 S.


„Teig kneten, Brot backen, es den Leuten verkaufen - war's das, was ich mir wirklich wünschte? War's das für ein Leben lang?“ Das war's nicht! Das genügte dem Bäckerge-sellen, Ladenschwengel und Konditor-Kellner Erwin Strittmatter nicht. Der Bengel aus Bohnsdorf in der Lausitz hatte anderes im Sinn. Das sogenannte Höhere, Bessere. Einen Spleen, wie die Familie meinte. Wie konnte einer so blöde sein, dem sicheren Brotgewerbe den Rücken zu kehren, um sich brotloser Kunst hinzugeben? Nicht zum Bäcker berufen, machte Erwin Strittmatter seinen Wunsch wahr. Er wurde Erzähler. Und was für einer!

Einen Erzähler wie Strittmatter hatte die ost-deutsche Literatur kein zweites Mal. Und die west-deutsche? Mit dem Blick auf Böll und Grass, Lenz und Walser wurde die westdeutsche Literaturwelt blind für den Erzähler aus dem Brandenburgischen und Märkischen. Da tausendfache Übertreibungen nicht die tägliche Praxis der DDR waren, galt Strittmatter als Strittmatter und wurde nicht als der Fontane des 20. Jahrhunderts ausgerufen. War er der? Wer ist Erwin Strittmatter? Es scheint so, als wüßten alle alles über den Erzähler aus Passion. Seine Bücher führen durch seine Biographie. Die bringen Zweifler zum Schweigen. Der Märker verstand sein Handwerk. Als Pferdezüchter ebenso wie als Parade-Reiter des Pegasus. Eindeutiger noch als in den Trilogien Der Wundertäter und Der Laden sind in den „kleinen Stücken“ Sätze zur Autobiographie des Autors. Der Status, den sich Strittmatter in der DDR erschrieben hatte, genügt, auch genug Material für Monographien zu Leben und Werk zu liefern. Für DDR-Verhältnisse waren derartige Publikationen ausreichend. Weiteres war kaum gewünscht. Am wenigsten Biographien. Neugier an der Person Strittmatter befriedigte Strittmatter durch seine Literatur. Wer sich mit der indirekten Form nicht zufriedengab, hielt sich an Ehefrau Eva, die mit Selbstzeugnissen vom Schulzenhof, dem märkischen Wohnort der Familie, nicht geizte.

Der Hof war keine Insel der Seeligen. Frau Eva offenbarte gelegentlich einiges. Hof-Herr Erwin lebte sein strikt geregeltes Leben. Die Haus-Ordnung für die sich mehrenden Häuser hatte etwas von der, die im Hause des Thomas Mann eingeübt war. Manns Motto gemäß, nahm sich Erwin Strittmatter in die tägliche Pflicht. Die war nur durch das kategorische Reglement möglich, das Jahrzehnte verbindlich blieb. Das Reglement des einsamen Schreibers machte das Leben der Mitlebenden, sprich der Familie, nicht vergnüglicher. Im Schreiben ist der Schreiber immer Opfer und einer, der Opfer verlangt.

Strittmatter, Ehrenmitglied einer landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft, schuf sich auf seinem Hof ein „Dichter-Refugium ... - eine isolierte Tabu-Welt des Nachdenkens und Schreibens“. Erklärend, nicht kaschierend, beschreibt so Günther Drommer die Arbeitsbedingungen des Schriftstellers. Drommer ist der erste Strittmatter-Biograph. Er ist kein Besserwisser, der auspackt, kein Konjunkturritter, der ausnutzt, kein Eitler, der sich spreizt. Drommer war lange Lektor im Aufbau-Verlag, in dem Strittmatters Bücher erschienen. Der Lektor kennt manche Blockadeversuche staatlicher Institutionen, wenn es um die Veröffentlichung der Bücher von Erwin Strittmatter ging. Es konnte geschehen, daß Drommer mehr als Strittmatter wußte, wenn das Gerangel um die Publizierung im Gange war. Die Nähe zum Strittmatter-Leben garantierte dem Lektor mehr Einblicke als jenen, die sich auf ihre Annäherung an Strittmatter berufen. Die Vorzugsstellung bedacht, könnte Drommer auch skeptisch begegnet werden. Den Biographen wegen Befangenheit ablehnen? Tatsächlich ist er ein Befangener. Günther Drommer hat eine Biographie geschrieben, um „einen großen deutschen Dichter“ zu ehren. Den Dichter ehren heißt, sein Werk zu ehren. Das tut Drommer weidlich. Wesentliche und weite Teile der Lebens-Chronik sind zwangsläufig eine Werk-Chronik. Als Werk-Chronist ist der Biograph den Autoren der Strittmatter-Monographien näher als seinem Auftrag, Biograph zu sein. Nähe und Verehrung, die der Verfasser niemals leugnet, fordern zugleich Distanzierung, um die angestrebte Sachlichkeit der Biographie nicht zu verletzen. So selbstverständlich es war, Strittmatter nicht zu einem Spekulationsobjekt zu machen, der Biographie hätte es nicht geschadet, der verehrende Autor hätte mehr Abstand gehalten. Kräftig kritischere Würdigung hätte die Ehre keineswegs angekratzt. Ohne Strittmatter etwas vom stetig gewachsenen Ruhm zu rauben, hätte Drommer auf manchen Diener verzichten können.

Wer die Biographie mit der Ahnung aufschlägt, daß der Erwin Strittmatter menschlich nicht so toll war wie die menschlich tollen Figuren seiner Romane, schließt die Strittmatter-Biographie mit der Gewißheit, daß die Ahnung gar nicht so trügerisch war. Daß die Biographie so witzig, erzählerisch, spannend ist wie die Bücher Strittmatters, wird ohnehin niemand erwartet haben. Nicht mal Günther Drommer, der mit größter Sorgfalt Leben und Werk des Erwin Strittmatter publizistisch begutachtete. Er hat's auch für die vielen „Leser“ getan, die noch keine Zeile des Schriftstellers gelesen haben, doch dessen Namen kennen, seit sie den dreiteiligen Fernsehfilm „Der Laden“ gesehen haben, für den der Bücher-Bäcker das epische Mehl lieferte. Günther Drommers Strittmatter-Biographie Des Lebens Spiel ist zudem für die westdeutschen Länder Nachhilfeunterricht in deutscher Literatur. Nötig, nützlich, nicht anödend!


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08+09/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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