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„Es gibt keine Lauer, auf der wir nicht liegen“ -

Nachgezeichnete Gedanken des Verlegers Michael Faber zu einem
(Jubiläums-)Alphabet zwischen Anfang und Zukunft.

In der Leipziger Mozartstraße 8 und damit im sogenannten Musikerviertel befinden sich die Räume des Verlags Faber & Faber. Sicher, man hat es „bei Fabers“ weniger mit der Tonkunst, doch ist diese eher einseitige Zuschreibung des Begriffes „Musik“ auch erst ein Kind nachklassischer Zeiten. Ursprünglich stehend für die „Kunst der Musen“, bedeutete „Musik“ bei den (alten) Griechen die Geist und Gemüt bildende Betätigung, und genau in diesem Sinne verstehen Vater und Sohn ihre zum Beruf gemachte Leidenschaft. Daß diese das Buch zu alledem als ein „Gesamtkunstwerk“ begreift und damit eine heutzutage selten gewordene Eigenheit „guter Bücher“ wiederbelebt, ist ein Markenzeichen Faberscher Verlegerarbeit.

Im vergangenen Jahr nun wurde im Hause der 65. Geburtstag von Elmar Faber, einem bereits zu DDR-Zeiten bekannten und hoch geschätzten Verleger, gefeiert - unter anderem mit einem im Handel (leider) nicht erhältlichen, überaus amüsant-feinsinnigen Faberschen Wörterbuch, das von den Söhnen Michael und Renaldo ureigens für den Jubilar „verursacht“ wurde. Doch auch das Jahr 2000 bietet Fabers Anlaß zu Festivitäten: Der Verlag, der - angelehnt an eine gute Buchmacher-Tradition - mit dem eigenen Namen arbeitet, begeht im Herbst seinen zehnten Jahrestag.

Es gibt also Gründe genug, um den Verlag einmal genauer unter die (Lese-)Lupe zu nehmen. Da letztere immer wieder auf Buchstaben trifft, lag nichts näher, als dies in Form eines (bereits mit Begriffen besetzten) Alphabets zu tun, zu dem Michael Faber im Mai dieses Jahres umfassend Rede und Antwort stand. Um die für (alphabetische) Begriffserklärungen übliche Kürze zu wahren, wurden die Faberschen Gedanken - abgesehen von einigen wenigen Ausnahmen - im folgenden unter Verwendung von nicht als Zitat gekennzeichneten Aussagen lediglich nachgezeichnet.

A nfang: Zu datieren ist dieser auf den 5. September 1990, zu lokalisieren auf die Stadt Berlin. Sowohl Elmar als auch Michael Faber befanden sich zu diesem Zeitpunkt in einer Festanstellung (vgl. E und M). Anlaß war der durch die Treuhand angebotene Verkauf der Sisyphos-Presse, deren Gründer (einstmals) Elmar Faber gewesen war (vgl. Y). Mit dem Kauf der Sisyphos-Presse verbunden war der Plan, diese fortzuführen und fünf Bücher jährlich zu verlegen.

B üchermacher oder Verleger?: Verlegerisches Prinzip ist die Symbiose zwischen Inhalt (Information) und Gehäuse (hier im Sinne von Illustrationen), so daß man durchaus vom Büchermachen sprechen könnte.

C harakteristika eines zufriedenen Verlegers: Dies sind zum einen zufriedene Autoren, zum anderen gutaussehende und gutklingende Kassenbücher. Die sozusagen „absolute“, will heißen eigentlich kaum noch steigerbare Verlegerzufriedenheit ist erreicht, wenn es zu einer Kombination von beidem kommt.

D DR-Bibliothek: Gegründet im Herbst 1995, versammelt sie zwischen 1947/48 und 1990 entstandene literarische Texte (Prosa, Essayistik, Dramatik), die sich explizit mit der DDR auseinandersetz(t)en und dies mit einem literarischen Anspruch paar(t)en. Eingefangen werden soll dabei die gesamte Palette: vom hoffnungsvollen, utopischen Neuanfang über die kritische Distanz bis hin zur totalen Verneinung. Begonnen wurde mit 6 Bänden, Ziel sind 40 (wobei diese Zahl nichts mit den Existenzjahren der DDR zu tun habe und es auch nicht pro Jahr je einen Band geben wird). In diesem Jahr wird man mit Volker Brauns Hinze-Kunze-Roman bei Band 20 angelangt sein. Alle Bände sind mit einem Nachwort (vgl. N) ausgestattet, jeder Schriftsteller wird mit lediglich einem seiner Werke vertreten sein. Am Ende der Edition soll als theoretisch fundiertes Werk eine neue „Geschichte der Literatur (in) der DDR“ (Verfasser u. a. Dieter Schlenstedt) stehen.

E lmar Faber: Jahrgang 1934 und - dies sei ihm besonders wichtig - bekennender Süd-Thüringer (Deesbach), Studium der Germanistik und Philosophiegeschichte, Diplom bei Hans Mayer. Seit 1968 im Verlagswesen tätig (Bibliographisches Institut, Edition Leipzig); 1983-1992 Direktor des Aufbau-Verlags Berlin und Weimar; 1976-1990 Vorsitzender des Verlegerausschusses des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler zu Leipzig. Seit 1990 Verleger der Sisyphos-Presse, Faber & Faber. Leidenschaftlicher Verleger.

F aber and Faber (Großbritannien): Mit dem in London ansässigen Verlag ähnlichen Namens gibt es eine - sich jenseits von Streitigkeiten bewegende - Korrespondenz, so daß die 1993 erfolgte Namenswandlung von Verlag der Sisyphos-Presse, Faber & Faber in Verlag Faber & Faber Leipzig problemlos vollzogen werden konnte. Auch in Leipzig konnte damit der eigene Name zum verlegerischen Programm erhoben werden.

G raphische Bücher: Eigentlich Die Graphischen Bücher. Erstlingswerke deutscher Autoren des 20. Jahrhunderts und somit unvollständiger Titel einer der Säulen (Reihen) des Faberschen Verlagsprogramms. In einer limitierten Auflage von jeweils 999 handnumerierten Exemplaren werden bedeutende Autoren in einer heutigen graphischen Sichtweise gezeigt. Hergestellt auf Originaldruckträgern, wird hierbei auf eine verlegerische Idee zurückgegriffen, die bereits in den 10er und 20er Jahren des 20. Jahrhunderts in Deutschland präsent war.

H ausautoren: In den ersten Jahren reiner Lizenznehmer ging man erst später zu aktueller Literatur über, weswegen die Zahl der Schreibenden, welche als H. bezeichnet werden könn(t)en, noch gering ist. Neben Autoren wie Michael Justus, Uwe Tellkamp, Thomas Bärsch, Bayard Johnson und Battista Barolo, die bei Faber & Faber debütierten, wird auch Steffen Mensching genannt. „Wir entscheiden uns nicht für Titel oder Bücher, sondern für Autoren.“

I llusion(en): (Lachend wird zu Beginn auf eine von Georg Kaisers Illusionen verwiesen, welche da lautete: „Vom Vorschuß des Verlegers niedergestreckt zu werden“.) Verstanden als Hoffnung(en), die nicht mit Attributen wie trügerisch und selbsttäuschend versehen werden, ist es vor allem der Gedanke, über die Jahre zur Erziehung des guten Geschmacks beizutragen. Das Buch als Gefäß soll dabei - einmal erworben - durch das ganze Leben begleiten.

J ubiläum: Überraschung und Stolz sind die beiden damit verbundenen Begriffe. Begangen wird der Jahrestag mit einer Feier am 8. und 9. September. Geplant sind eine große Lesung mit vier bis fünf deutschen Autoren, die aus ihren Erstlingswerken lesen (Faber-Kennern und -Freunden dürfte das erfolgreiche vorzeitige Lüften dieses Geheimnisses nicht zu schwerfallen ...), sowie ein am 9. September stattfindendes „Bancket der Bücherfreunde“ (nähere Informationen dazu finden sich im neuen Verlagsprospekt).

K onkurrenz: Sie ist nicht breit, da es den beiden Verlegern gelang und gelingt, Vakanzen ausfindig zu machen und diese - gepaart mit den eigenen Interessen und Leidenschaften (z. B. Kunst) - zu besetzen. Ein Resultat dieses Suchens und Findens ist ein erkennbares Verlagsprofil, welches am stärksten im Bereich des illustrierten Buches hervortritt und zu dem die Kunst (der Kunstband) als Profilabrundung unbedingt dazu gehört.

L eser oder Käufer: Der Besitz und damit die ständige Verfügbarkeit des - nicht immer gelesenen - Buches zu Hause (eigene Bibliothek) ist etwas Eigenes, etwas Besonderes. „Wir würden nie den Käufer gegenüber dem Leser diskreditieren.“

M ichael Faber: geboren 1961, Tätigkeit als Außensortimenter in der Buchhandlung Franz-Mehring-Haus Leipzig, Studium der Germanistik in Leipzig (eigentlicher Wunsch: Kunstgeschichte), wissenschaftlicher Lektor für Buch- und Verlagsgeschichte beim Börsenverein der Deutschen Buchhändler in Leipzig (sieht sich selbst auch als aus der Buchgeschichte kommend), 1990-1991 Trainee im Führungsnachwuchskreis beim Deutschen Bücherbund in Stuttgart, seit 1995 Geschäftsführer des Verlags und Verleger. Das eigene literarische Interesse entstamme nicht einer Vorprägung durch das Elternhaus, sondern der in einem körperlichen Ausnahmezustand erfahrenen Befruchtung durch Bücher.

N achwort: Zu finden v. a. in den Bänden der „DDR-Bibliothek“. Dort notwendiger Bestandteil und Verkaufsargument (Selbstbehauptung gegenüber anderen Ausgaben von DDR-Literatur) informieren sie über die Editions- und Rezeptionsgeschichte des jeweiligen Werkes. Auf ästhetische Urteile wird vollkommen verzichtet.

O rthographie - Stichwort neue Rechtschreibung: Sie findet derzeit im Verlag keine Berücksichtigung, was jedoch nicht bedeutet, daß man sich diesbezüglichen Autorenwünschen verschließen würde.

P oesie (Lyrik): Verlegt wurden bisher Gedichte von Hans Magnus Enzensberger, Peter Rühmkorf, Steffen Mensching und Friedemann Berger. Auch für Lyrikbände gilt im Verlag, daß man sich für die Potenz der Autoren entscheidet.

Q ualität und Quantität: Qualität steht für Faber & Faber immer vorn, Quantität (ca. 20 Titel im Jahr) ist ihr nachgeordnet. Inhaltlich möchte man sich nicht im Trendbereich bewegen, doch wird dieser trotzdem beobachtet. An der Entwicklung neuer ästhetischer Ansätze möchte man teilhaben und mitwirken. „Wandelbar und stetig“ lautet der Grundsatz des Hauses.

R eaktionen auf den Verlag, das verlegerische Profil & Reaktionen des Verlegers auf diese Reaktionen: Positive Reaktionen (von denen es nicht wenige gibt - S. T.) werden natürlich freudig aufgenommen. Nicht auszuschließen sind Mißverständnisse von Kritikerseite; so lag zum Beispiel falsch, wer meinte, in der Reihe „Die DDR-Bibliothek“ Nostalgie und Einseitigkeit ausmachen zu können. Insgesamt ist eine positive Grundtendenz in den Reaktionen zu erkennen.

S tadt Leipzig: Auch wenn die Wiege des Verlags in Berlin steht, so ist seine (menschliche) Heimat doch in Leipzig. Die Entscheidung, hierher zu gehen und damit einen in Zeiten der medialen Vernetzung theoretisch nicht mehr notwendigen Verlagsort bewußt zu wählen, liegt vor allem im damit verbundenen persönlichen Wohlbefinden. Ein Grund mehr zu bleiben war neben der Tatsache, daß es sich bei Leipzig um eine Buchstadt in der Agonie handelt(e) und man dem ein bewußtes Bekenntnis entgegensetzen wollte, die hier zu findende tolle Leserschaft, welche sich vor allem in den beiden großen Literaturfesten „Leipzig liest“ und „Leipziger literarischer Herbst“ immer wieder zeigt. (Nachtrag: Trotzdem versteht sich Faber & Faber nicht als lokaler bzw. regionaler Verlag; 80 % der Umsätze werden in Westdeutschland gemacht.)

T abus & Träume (d. h. verlegerische Wünsche): Gesetzte Tabus gibt es - sieht man von den zu einer Art verlegerischem Grundkonsens avancierten „Standardtabus“ einmal ab - für Faber & Faber nicht. Man zeigt sich im Herangehen an Neues, Unbekanntes stets vollkommen vorurteilsfrei und bewegt sich nach dem zum verlegerischen Leitspruch erhobenen Satz: „Es gibt keine Lauer, auf der wir nicht liegen.“ Was die Träume betrifft, so ist es Fabers gelungen, (sich) in jedem Jahr ein paar davon zu erfüllen - ein Buch zum 2. Weltkrieg mit Originallithographien von Bernhard Heisig (hier: Heinrich Bölls Erzählung Der Zug war pünktlich) gehört ebenso dazu wie eines mit Arbeiten von Hans Platschek (hier: Hans Magnus Enzensbergers Erstling Verteidigung der Wölfe mit Montagen im Siebdruck). Daß sich im Falle von Platschek Traum und Tragik verbinden - es war sein letztes Werk -, läßt um so mehr an der Verwirklichung von Träumen festhalten.

U eberleben & Untergang: Verwiesen wird hier auf Camus' vielzitierten Satz: „Man muß sich Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen, denn er hatte Arbeit.“

V orzugsausgaben: Sie, die es sowohl in der Reihe „Allgemeines Programm. Kunst und Literatur“ als auch in der „DDR-Bibliothek“ gibt, sind eine Erfindung des Kaufmanns im Verlag. Aufgrund eines sehr ordentlichen Verkaufs ermöglichen sie den Druck sogenannter „Kompensationsbücher“. Trotz bzw. gerade aufgrund des Erfolgs ist jedoch vor einer Inflationierung Vorsicht geboten.

W erbung: Aufgrund eines kleinen und deshalb nicht unbedingt Zufriedenheit schaffenden Etats für diesen Bereich sind für die beiden Verleger eine gute Pressearbeit ebenso unerläßlich wie gute Vertragspartner. Man arbeitet dabei mit dem ,Verwerben` positiver Tendenzen und dem Schaffen einer jeweils eigenen Atmosphäre an den Leseorten.

X Pra X is (verlegerische): (Nach dem Eingeständnis der Gesprächspartnerin, daß hier das alphabetische Prinzip „bemogelt“ werden mußte, da sich kein sinnvoller Begriff mit einem „X“ am Wortanfang fand, geht M. F. schmunzelnd zu einem seiner Schränke, entnimmt diesem ein schmales, handliches Buch, das er vom schützenden Papier befreit. Es folgt ein kurzes Blättern und er liest aus dem Faberschen Wörterbuch vor:) „X für ein U - Falsche Rede. Betrugsmanöver. Jemandem etwas vormachen. Wer es am besten kann, hat gewonnen.“

Y Sis Y phos-Presse: Gegründet 1984 im Rahmen des Verlags Edition Leipzig besteht ihre sie von anderen Pressen unterscheidende Eigenheit in der deutschen Erstveröffentlichung der Texte bedeutender Autoren, wobei die einmalig limitierten Auflagen zudem mit Originalgraphiken ausgestattet sind. Als erster Druck erschien Franz Fühmanns Dreizehn Träume mit 6 Lithographien von Nuria Quevedo.

Z ukunft: Auch sie stehe für den Verlag unter dem Leitspruch „Wandelbar und stetig“, was bedeutet, daß man sich weiterhin ebenso offen umschauen wird nach Originärem, wie man die bestehenden Reihen quantitativ ausbauen möchte.

Das Gespräch wurde geführt und nachgezeichnet von Sibille Tröml, die sich erlaubt, als eine Art Postskript noch einmal aus dem bereits erwähnten „Faberschen Wörterbuch“ zu zitieren:

Verlegergebote zehn 1] Sage dem Verleger stets, daß er gut aussieht. 2] Du sollst den Verleger nie ärgern. 3] Biete ihm nicht unnötig Texte an. 4] Was man sich verkneifen kann, das schreibe man nicht. Führe den Verleger nicht in Versuchung. 5] Fange kein Verhältnis mit seiner Sekretärin an. 6] Bejahe stets seine Rede. 7] Sprich stets, daß es dir gut geht. 8] Sage von anderen Verlagen, daß es Wackelbuden sind. 9] Lade ihn oft zum Essen ein. 10] Gib ihm zu verstehen, daß deine Frau auch seine ist.

In diesem Sinne dankt die Gesprächspartnerin dem Verleger Michael Faber.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08+09/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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