Eine Rezension von Licita Geppert


Gefaltete Hände und gelochte Kondome

Charles Panati: Lexikon religiöser Bräuche und Gegenstände
Von Altar bis Yin und Yang.
Deutsche Fassung von Reinhard Kaiser.
Piper Verlag, München 1999, 637 S.


Wußten Sie, daß das Wort „Nonne“ auf das Sanskrit-Wort „nana“ (Mutter) zurückgeht, das sich über das griechische „nanna“ (Tante) zum lateinischen „nonna“ (Amme, Kinderbetreuerin) transformierte und heute noch im Italienischen als „nonno/nonna“ (Großvater/Großmutter) weiterlebt?

Mit den Religionen geht es wie mit so vielen Dingen: Man nimmt sie - selbst als Atheist - als Selbstverständlichkeit hin, ohne viele Gedanken an die Ursprünge religiöser Handlungen, Rituale oder Gegenstände zu verschwenden. Der in den USA lebende Physiker und Wissenschaftsredakteur Charles Panati, angetrieben von seiner Leidenschaft, „den Dingen auf den Grund zu gehen“, legte dem staunenden Leser bereits eine Universalgeschichte der ganz gewöhnlichen Dinge vor. Das hier rezensierte Lexikon, 1998 schon bei Eichborn erschienen, ist nun auch als Taschenbuch erhältlich.

Panati unterteilt sein Buch in thematische Abschnitte mit Überschriften wie „Volkstümliche Frömmigkeit“, „Himmlische Heerscharen“, „Feste und Feiertage“ und deckt damit ein breites Spektrum an Fragestellungen ab. Der im Titel suggerierte Lexikoncharakter des Buches wird dadurch gesprengt. Wohl steht dem Leser zur gezielten Suche ein umfangreiches Stichwortregister zur Verfügung, neben der Wissensvermittlung ist jedoch auch der Unterhaltungswert wohltuend anzumerken. Und es macht einfach Spaß zu erfahren, daß es beispielsweise fünf Arten von Gebeten gibt - die magische Anrufung, die stets ein bestimmtes Ziel verfolgt, die meditative Anbetung, die Buße, die Danksagung und die Lobpreisung. Bereits hier lassen sich Übereinstimmungen in den Religionen erkennen. Folgt der Leser seiner Neugier, so wird er unabhängig davon, ob er das Buch fortlaufend, chaotisch oder zielgerichtet liest, immer wieder erfahren, wie eng die Zusammenhänge zwischen den Religionen waren und sind. Insofern ist dieses Lexikon, ohne daß es diesen Zweck explizit verfolgt, auch ein aufklärerisches Buch, denn es widerlegt jede These von der Überlegenheit der einen oder anderen Religion. Kontinuität und Globalität sind wesentliche Merkmale der Spiritualität, die ihre Aktualisierung, d. h. Anpassung an veränderte Lebensumstände erfährt durch eine Umdeutung oder Einbeziehung vorhandenen Gedankenguts, uralter Legenden oder Rituale. Natürlich sind es vor allem die großen Religionen - Christentum, Judentum, Islam, Buddhismus, Konfuzianismus -, die das Lexikon analysiert, aber zu ihrer Erklärung bezieht sich der Autor durchaus auch auf die älteren Kulte.

Glücklicherweise macht Panati vor einigen pikanten Kuriosa des modernen Kirchenlebens nicht halt: Er beschreibt die krausen theologischen Gedankenspiele der vatikanischen Experten in Sachen Fruchtbarkeitsuntersuchungen des Mannes, die nach jahrelangen vielfältigsten Erwägungen darauf hinausliefen, daß der Mann zur Abgabe des Spermas den Geschlechtsakt mit Hilfe eines leicht durchlöcherten Kondoms vollziehen solle, um einerseits die Bestimmung einzuhalten, daß der Geschlechtsakt immer auch der Zeugung dienen müsse, und andererseits die Sammlung des Samens irgendwie erfolgreich bewerkstelligt werden kann. Diese Idee entbehrt angesichts ihrer Herkunft von zölibatären Geistlichen nicht eines gewissen humoristischen Aspekts.

In seinen Recherchen ist der Autor tief eingedrungen in die Geschichte, aber auch in die Psychologie der Menschen. Die Entstehung der Religionen erklärt sich ebenso wie die von ihnen bevorzugten Gegenstände oftmals aus sachlichen Bedingtheiten, verbunden mit tiefem Wissen um die psychosozialen Wirkungen bestimmter Vorgehensweisen (Rituale), Symbole und Reliquien, Farbwahl, Festlichkeiten. So verweist Panati im Abschnitt über die Farbgebung der Mönchsgewänder auf die Farbtheorie von C. G. Jung als übergreifendes Muster in vielen Kulturen.

Dieses Lexikon ist, obwohl es sich ausschließlich mit Religionen beschäftigt, kein frommes oder spirituelles Buch. Die Auseinandersetzung erfolgt ausschließlich auf der sachlichen Ebene. Dennoch geht es weit über ein voyeuristisches Interesse an der eigenen oder einer fremden Religion hinaus. Es ist keine Besserwisserei, die den Glauben verunglimpft, sondern eine sorgsame, verstehende Betrachtung über menschliche Glaubensfragen, die anregt, sich mit dieser Thematik eingehender zu beschäftigen, die Anreize und Aha-Erlebnisse vermittelt, aber auch das eigene Wissen und Fühlen bestätigt.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08+09/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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