Eine Rezension von Gudrun Schmidt


Melitta - die geniale Idee einer Hausfrau

Tamar Lewinsky:
Das Lexikon unbekannter Bekannter
Geflügelte Namen von Achilles bis Graf Zeppelin.
Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt/M. 1999, 325 S.


Ob Xanthippe oder Potemkinsche Dörfer, Biedermeier oder Grahambrot - im Sprachgebrauch sind uns diese Begriffe vertraut, wir verwenden sie vielfach als Code, zur schnellen und knappen Verständigung. Wenn von Xanthippe die Rede ist, weiß jeder, daß damit eine zänkische Frau gemeint ist, und wird von Potemkinschen Dörfern gesprochen, ist klar, daß etwas mehr scheinen soll, als es in Wirklichkeit ist. Es sei dahingestellt, ob Xanthippe ihren Gatten, den griechischen Philosophen Sokrates, ständig mit Vorwürfen nervte, mehr für den Lebensunterhalt der fünfköpfigen Familie zu tun, oder ob es sich nur um üble Nachrede der Schüler handelte, die ihren verehrten Lehrer ganz für sich vereinnahmen wollten. Bei Potemkin dagegen ist reine Verleumdung im Spiel. Der russische Fürst hat als Generalgouverneur der südlichen Provinzen Ende des 18. Jahrhunderts durchaus Verdienste um die Gründung von Dörfern und Städten im Schwarzmeergebiet. Aber Gerüchte halten sich nun mal lange. In diesem Fall ist ein sächsischer Diplomat der Verursacher. Als er 1787 zusammen mit anderen westeuropäischen Gesandten die Zarin Katharina, die Große, auf eine Reise in die neukolonialisierten Gebiete begleitete, fand er statt der erwarteten Brache blühende Landschaften. Potemkin, Günstling, Geliebter und politischer Ratgeber der Zarin, hatte durch geschickte Siedlungspolitik die Veränderungen bewirkt. Sicher hat er dabei etwas geschummelt - die Häuser rochen zum Beispiel noch nach frischer Farbe, aber Attrappen, „Potemkinsche Dörfer“, wie der sächsische Diplomat argwöhnte, waren es keineswegs.

Über 250 bekannte Namen hat Tamar Lewinsky in dieses Lexikon aufgenommen. Es ist kein „Who is who“, vielmehr will die Autorin Begriffe richtig einordnen und Zusammenhänge herstellen. In der Etymologie, der Lehre vom wahren Ursprung eines Wortes, wird ein Wort, das von einem Namen abgeleitet ist, als Eponym bezeichnet. Erstaunlich, wie viele Personen zu allen Zeiten als Namensgeber für Begriffe, geflügelte Worte, Vorgänge und Ereignisse fungierten. Oft haben Götter die Hand mit im Spiel, wie im Fall des hundertäugigen Hirten Argus, der von Hera, der Gattin des Zeus, zum Wächter über die Nebenbuhlerin Io eingesetzt wurde. Nicht immer läßt sich die Quelle eines Eponyms exakt bestimmen, die Spuren sind verwischt oder unterschiedliche Interpretationen erschweren die Zuordnung. Wenn wir auf gediegenen Biedermeierstühlen sitzen, uns an den geblümten Stoffen, feinen Verzierungen der Möbel, am edlen Holz erfreuen, kommt uns wohl kaum ein Adolf Kußmaul in den Sinn, ein bedeutender Arzt, der dieser Stilepoche in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts den Namen gab. Als Medizinstudent schrieb er gemeinsam mit seinem Freund, dem Schriftsteller Ludwig Eichrodt, naiv-ironische Gedichte für die in München erscheinende humoristische Zeitschrift „Fliegende Blätter“. Als Pseudonym wählten die beiden Gottlieb Biedermeier. Diese Namenswahl war nicht zufällig. Kußmaul attackierte das Biedere, Behäbige des Kleinbürgers, der sich aus allem raushielt, und da offenbar diese Spezies weit verbreitet war, paßte der ebenfalls häufige Namen Meier gut dazu.

Für den überzeugten Vegetarier Sylvester Graham wäre es sicher Genugtuung zu wissen, daß sein Grahambrot aus grob gemahlenem, ungesiebtem Mehl bei Anhängern einer gesunden Lebensweise hoch im Kurs steht. Dabei wurde es ihm zu Lebzeiten (1794-1851) sehr schwer gemacht, seine reformerischen Ideen, die nicht nur das Brot betrafen, durchzusetzen. In Boston sahen aufgebrachte Bäcker und Metzger seine Thesen als Boykottaufruf gegen den Genuß ihrer Waren und wehrten sich vehement. Melitta-Kaffeefilter dürften heute in keinem Haushalt fehlen. Sie sind einer erfinderischen Dresdner Hausfrau zu verdanken, die aus Ärger über den dicken Kaffeesatz, der in der Tasse zurückblieb, kurzentschlossen mit Hammer und Nagel den Boden eines alten Kupfertopfes durchlöcherte, ein Löschblatt aus dem Schulheft ihres Sohnes nahm - und fertig war die Filtertüte. Die selbstbewußte und geschäftstüchtige Melitta Bentz meldete 1908 ihre Erfindung nach einigen Verbesserungen als Patent an und gründete wenig später eine Firma. Heute beschäftigt die Unternehmensgruppe Melitta über 4000 Mitarbeiter. Die Filtertüte und das Firmenlogo sind seit über sechzig Jahren nahezu unverändert geblieben.

Die umfangreiche Bibliographie im Anhang des Lexikons weist auf die Materialfülle hin. Tamar Lewinsky hat daraus eine vergnügliche Lektüre zusammengestellt, ohne Anspruch auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse. Ihre erste Buchveröffentlichung ist eine Fundgrube für alle, die Freude an Kuriositäten haben und für die ein Name anders als bei Goethes Faust mehr als Schall und Rauch sein kann. Mit Fakten, Anekdoten, Geschichten und Abbildungen wird in diesem Lexikon zugleich Kulturgeschichte vermittelt.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08+09/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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