Eine Rezension von Reinhard Mocek


Die Welt will betrogen sein

Werner Fuld: Das Lexikon der Fälschungen
Fälschungen, Lügen und Verschwörungen aus Kunst, Historie,
Wissenschaft und Literatur.
Eichborn Verlag, Frankfurt/M. 1999, 309 S.


Die Stoffanordnung ist alphabetisch, deshalb wohl der verpflichtende Titel „Lexikon“. Aber das Ganze ist eher eine gedruckte Zettelsammlung, oder besser, eine Aneinanderreihung von Zeitungsausschnitten und Notizen bzw. Kurzexzerpten aus Büchern, etwas umformuliert, kaum kommentiert. So, wie es im „Spiegel“ stand oder in der „Süddeutschen“. Nun, dagegen ist ja im Grunde nichts zu sagen; ein Lesevergnügen ist es allemal, das uns der in Heidelberg lebende Literaturkritiker und Buchautor serviert. Geprüft hat er gewiß das Wenigste; es wird halt Seriöses und Interessantes, Vermutetes und Unglaubliches, das dennoch Schlagzeilen machte, zusammengestellt. Bunt, kunterbunt. Von der Steinlaus kann man lesen und von den Hitler-Tagebüchern, von Gerstenbergks Fälschungen der Schiller-Manuskripte (die heute noch in Antiquariaten auftauchen und einen guten Preis machen) und Marcel Reich-Ranickis Für-Wahr-Halten einer „Verstehen Sie Spaß“-Produktion, in welcher er plötzlich durch geschickte Dekorationen den Eindruck einer Finnlandreise hatte und doch ganz in Bayern war - hier übrigens kehrt sich das ganze Fälschungs-Problem ganz urkomisch um, denn es war für Reich-Ranicki völlig klar und mithin auch authentisch, in einer kafkaesken Literaturwelt gewesen zu sein. Die Auflösung durch den Spielmeister war für ihn völlig nebensächlich! Die Welt will betrogen sein; und je besser die Inszenierung ist, desto größer ist der Effekt und die Zustimmung. Und noch ein paar Knüller sind dabei. So wird Heiner Müller vorgeführt, der 1976 ein Chorwerk nach einer Rede Erich Honeckers „gedichtet“ haben soll, das Paul Dessau dann in Töne setzte. In einer nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Festschrift zum 75. Geburtstag Erich Honeckers sei dieses Monstrum von Kunstwerk abgedruckt. Ich gestehe, daß ich ein Bändchen davon aufgetrieben habe, nach der Wende, um gleich allen bösen Vermutungen das Wasser abzugraben. Jedenfalls steht dieses Chorwerk tatsächlich drin, nur mit einem feinen kleinen Unterschied. Denn die ersten beiden Strophen hat Müller gemacht, nach keiner Rede Honeckers. Und dann setzt er den Text einer dritten Strophe dran, die aber keine Umdichtung oder Nachdichtung von Honeckerworten ist, sondern nichts anderes als ein kurzer Redetext Honeckers. Unverändert, „unverdichtert“. So, wie Honecker eben sprach. Wer das hätte mal singen sollen, ist eine gute Frage. Trotzdem kann man anmerken, hatte Müller das nötig? Sicher nicht. Aber hat es Fuld nötig, selbst ein kleines Bissel mitzumachen an der konstruktiven Erweiterung seiner lexikalischen Themen? Sicherlich. Denn so etwas macht sich ja immer gut.

Mir blieb nach all diesen Fälschungsfällen nur unklar, wieso auch restaurierte Bauwerke Fälschungen sein sollen? Gehört zu diesem Begriff nicht auch eine unlautere Absicht? Doch viel fragen sollte man nicht bei der Lektüre, man erfährt allerlei und so nebenbei bemerkt man eben auch, wie unsolide inzwischen der Terminus „lexikalisches Wissen“ geworden ist. Es wird halt so vieles verramscht in dieser Welt.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08+09/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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