Eine Rezension von Friedrich Schimmel


Wer war der erste Bundeskanzler?

Friedemann Bedürftig: Taschenlexikon Bismarck
Piper Verlag, München 1998, 237 S.


Friedemann Bedürftig, Herausgeber des Preußischen Lesebuches und Autor von Taschenlexika über das Dritte Reich und Deutschland nach 1945, hat mit Otto von Bismarck eine der wichtigsten Figuren neuerer deutscher Geschichte und Politik für sein Taschenlexikon gewählt. Eine widerspruchsvolle Persönlichkeit, ebenso zur Bewunderung herausfordernd wie zu unnachgiebiger Anklage. Ein Machtmensch und ein gewandter Gesellschafter, ein vorzüglicher Briefschreiber und der Initiator der Sozialistengesetze. Auch „eiserner Kanzler“ genannt, und somit steht für ein Lexikon ganz unverzichtbar die Frage, wer war der erste Bundeskanzler? Friedemann Bedürftig, der eine „erzählerische und argumentative Darstellungsweise“ gewählt hat, darf es sich leisten, so zu schreiben: „Die arglose Antwort Adenauer verhilft dem Frager dann zum Ätscherlebnis: ,Falsch: Bismarck!`“ Denn in seiner Eigenschaft als Regierungschef des Norddeutschen Bundes (1867-1871) führte Bismarck die Amtsbezeichnung Bundeskanzler. Auch Bundesrat und Bundestag gab es längst in jener Zeit. Letzterer bestand nur aus 69 Delegierten der deutschen Länder, doch Beratungen gab es so gut wie nicht, weil die Abgeordneten weisungsgebunden waren.

Über die Abgeordneten hatte Bismarck oft kräftige Bemerkungen parat. „Massenweise dumm, einzeln verständig“ oder „die meisten Abgeordneten lesen und prüfen nicht, sondern fragen“. Demokratische Spielregeln schätzte der Kanzler nicht sonderlich. Demokratie „war daher auch für Bismarck meist nur ein Schimpfwort, gleichbedeutend mit Umsturz, Anarchie, Gesetzlosigkeit“. Mit der Sozialdemokratie praktizierte er allzeit ruppigsten Umgang. An Ludwig II. von Bayern schrieb er 1878: „Bedrohliche Räuberbande, mit der wir gemeinsam unsere größeren Städte bewohnen.“ Als Bismarck 1890 einen etwas schmählichen Abgang nehmen muß, war die inzwischen zur SPD mutierte SAP bereits stärkste Partei im Reich.

Dieses Taschenlexikon behandelt in gebotener Kürze wichtige Ereignisse, nennt entscheidende Stationen preußisch-deutscher Geschichte, hebt wesentliche Figuren in der politischen Nähe oder in der rivalisierenden Ferne Bismarcks hervor.

Knapp muß die jeweilige Darstellung immer bleiben. Auch ist nicht zu übersehen, daß Friedemann Bedürftig den pointenreichen Bismarck vorzugsweise mit einigen „Rosinen“ vorstellt. Der Artikel über „Presse“ wird mit dem Zitat eingeleitet: „So grobe unflätige Journalisten wie wir hat keine Nation.“ Wann war das, fragt der Leser von heute? Im Januar 1873! Immerhin, die „Kreuzzeitung“, für die auch Fontane arbeitete, war Bismarcks Gründung gewesen. Sie unterstützte des Reichs-Kanzlers Einigungspolitik, war aber im Kulturkampf nicht auf seiner Seite, und als das Blatt 1876 Bismarck der Korruption bezichtigte, rief er sogar zum Boykott des Blattes auf. Nach seiner Entlassung beklagte er durchweg die „Treulosigkeit der Blätter“, verstand es aber bestens, in Interviews mit ausländischen Zeitungen gegen seine Nachfolger zu fechten. Auch die wiederholten Rücktrittsdrohungen gegenüber Kaiser Wilhelm I. gehören hierher, mit ihnen sicherte er sich seinen Aufstieg, dem „monarchischen Phantasten“ Wilhelm II. war er schließlich unterlegen. „Das Entwürdigende seiner Abhalfterung verwand Bismarck nie“, schreibt Bedürftig, und es fehlt nicht die Warnung des Kanzlers gegenüber der „Weltpolitik“ des Monarchen. Doch Deutschland, das war auch Bismarcks „halbfeudal verfaßtes Reich“.

Bismarck von A bis Z. Intrigen, Strategien, Konflikte, Leistungen und Marotten, ein facettenreiches Bismarck-Lexikon, das überall rührig dabei ist und dennoch Fragment bleiben muß. Der Autor hofft zu Recht: ein Buch, das „zum Gespräch anregen“ soll.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08+09/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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