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Jedem sein Lexikon!

Im Gespräch mit Oliver Schwarzkopf

Herr Schwarzkopf, Ihr Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf hat seit Jahren u. a. auch den Schwerpunkt „DDR und Neue Länder“ im Programm. Dann kamen die ersten lexikalischen Nachschlagewerke mit Erfolg auf den Markt. Kam daher die Idee, einen eigenen Lexikon-Verlag zu gründen?

Ich hatte durch die Arbeit an den ersten beiden Lexikon-Ausgaben sozusagen Blut geleckt. Man kann ja in einem Lexikon zu einem eingegrenzten, auch ganz speziellen Fachbereich alles verfügbare Wissen zusammentragen. Durch die Erfahrungen mit unseren ersten beiden Lexika über Techno und Graffiti wurde uns klar, daß gerade für solche Szene- und Popkultur-Themen eine große Interessentengruppe vorhanden ist. Es gibt zwar alle möglichen Sachbücher, aber Nachschlagewerke, in denen Neueinsteiger oder solche, die sich an Personen oder Fakten erinnern möchten, umfassend informiert werden, gibt es für viele Bereiche nicht.

Als wir vor zwei Jahren die Lexika-Herausgabe zu planen begannen, stellte sich heraus, daß das Programm sehr umfangreich und mehr als nur eine Reihe innerhalb des Verlages werden würde. Wir rechneten mit ca. 10 Titeln im Halbjahr, das war mit dem bestehenden Verlag nicht zu schaffen. Deshalb wurde ein zweiter Verlag im Verlag gegründet. Da der Name Schwarzkopf & Schwarzkopf im Osten durch viele Publikationen schon bekannt war, haben wir entschieden, daß die DDR-Lexika dort angesiedelt bleiben. Der neue Verlag Lexikon Imprint bringt Ausgaben mit Themen von allgemeinem deutschen Interesse. Die Zielgruppen sind so differenziert, wie auch die Themen differenziert sind. Oft sind es sehr kleine, sehr spezialisierte Interessentengruppen, aber viele kleine Lesergruppen ergeben eben auch ein großes Ganzes. Es gibt genügend Leute, die über den Tellerrand schauen und sich das eine oder andere kaufen, vielleicht Karl May für sich und Techno für die Kinder oder Enkel. Es ist also unser Anliegen, viele dieser kleineren Interessentengruppen zu bedienen und vor allem junge Leute anzuregen. Dabei wollen und können wir nicht mit den großen Nachschlagewerken von Bertelsmann konkurrieren, denn die haben ganz andere Inhalte und Zielgruppen.

Mir fiel die preisgünstige Ausstattung Ihrer Bücher auf, vor allem bei den Szene-Lexika. Hat das mit der teilweise geringen Käufergruppe zu tun, oder hoffen Sie, dadurch noch andere Käufer zu interessieren?

Natürlich hoffen wir, den sogenannten Mitnahme-Käufer zu interessieren. Das heißt, man kann bei solcherart Szene-Lexikon nicht die übliche Enzyklopädie-Ausstattung wie Hardcover oder Leder wählen. Das wäre völlig unverkäuflich. Lexika, die eine sich ständig verändernde Szene widerspiegeln, müssen spätestens nach zwei Jahren aktualisiert werden - nehmen wir z. B. die HipHop-Szene oder die Techno-Szene, wo es jeden Tag neue Entwicklungen gibt. Also haben wir ganz genau überlegt, wie schaffen wir ein Produkt mit guter Qualität, aber unter 30 DM. Die Hauptkonkurrenz ist die CD, das heißt, ein HipHop-Kid kann zu Saturn gehen und sich eine neue CD für 29,99 DM oder ein Buch kaufen. Dann darf das Buch aber nicht über 30,- DM kosten. Das ist für junge Leute die Schmerzgrenze, das sind sie nur bereit auszugeben für etwas, das sie interessiert. Deshalb die gewählte preisgünstige, doch gut verarbeitete Ausstattung.

Aktuell zu bleiben ist erklärtes Programm. Die Autoren haben mit Abschluß eines Bandes schon mit den Materialsammlungen für eine Neuausgabe begonnen. Das ist völlig klar, z.B. ist die HipHop-Szene ungeheuer schnellebig, da kann man nicht einfach ein Jahr mit den Recherchen aussetzen. Natürlich sind die Angaben der 1. Ausgabe immer noch richtig und bleiben drin, aber es kommen ständig neue dazu. Das heißt, der Umfang wird steigen, und der Papierpreis steigt auch. Wir hoffen, daß wir den Preis von 29,80 DM halten können.

Sie bedienen einen bestimmten Interessentenkreis, dem oft nachgesagt wird, daß er die Buchhandlungen nicht gerade stark frequentiert. Wie erreichen Sie dennoch Ihre potentiellen Kunden. Haben Sie einen besonderen Vertriebsweg?

Der Buchhandel ist natürlich der wichtigste Weg. Diejenigen aus diesem Kreis, die in Buchhandlungen gehen und etwas gefunden haben, erzählen es zehn anderen. Das ist eben Mundpropaganda.

Im Unterschied zum Buchhandlungsgänger, der jeden Monat einmal schaut, was neu ist, ein Buch kauft und dann alleine liest, haben die oben angesprochenen Gruppen sehr gute informelle Strukturen und eine ausgeprägte interne Kommunikation. Gerade in der HipHop-Szene finden regelmäßige Treffen und Events statt, wo man sich austauscht. Gibt es etwas Interessantes, spricht es sich herum, und die Freaks fragen in den Buchhandlungen gezielt nach bestimmten Titeln.

Einen speziellen Vertrieb haben wir nicht. Wir arbeiten natürlich mit einigen spezialisierten Mail-Orders zusammen, aber das Gros geht über den ganz normalen Buchhandel. Wir haben in Deutschland den Vorteil, daß wir von jeder Stelle des Landes jedes Buch über Nacht bestellen können. So eine ausgefeilte Logistik hat meines Wissens kein anderes Land.

Sie wenden sich ja mit dem jeweiligen Buch an ganz bestimmte Leser. Das ist bei anderen Nachschlagewerken, die sich auch an allgemein Interessierte wenden, etwas anders. Ihr Leser gehört vorrangig einer bestimmten Szene an. Bestimmt somit die Größe der Szene die Auflagenhöhe?

Man kann sagen, für zwei Drittel der Auflage trifft das zu, aber auch das letzte Drittel steht in einer bestimmten Abhängigkeit zur Szene, das sind nämlich Eltern, Geschwister, Lehrer und Sozialarbeiter, die damit zu tun haben. Sie haben deshalb völlig recht, daß die Größe der Szene die Auflagenhöhe bestimmt. Andererseits wollen wir nicht nur den harten Insider, sondern auch den Neueinsteiger dafür interessieren. HipHop z. B. ist im Moment in Deutschland die mit Abstand bestverkaufte Musikrichtung. Die Szene ist groß, so daß die Auflage mit 5 000 Stück entsprechend höher ist, während speziellere Sachen mit ca. 3000 aufgelegt werden.

Das ist die Auflage, die dann auch mindestens zu zwei Drittel realisiert werden muß?

Über die Zeit tut sie es auch. Wir haben ja nicht nur Szene-Lexika, um das einmal ein bißchen zu korrigieren, sondern bedienen auch bestimmte Nischen-Themen, zu denen es bis jetzt noch nichts gab.

Da kommen wir doch gleich zu Karl May. In den vergangenen Jahren gab es doch in Westdeutschland eine regelrechte May-Schwemme. Auch in den neuen Bundesländern hat der Verlag Neues Leben inzwischen fast alles von diesem Autor herausgebracht. Ist der Markt da nicht gesättigt. Macht ein Karl-May-Lexikon noch Sinn, und wie ist der Verkauf im Osten?

Er ist etwas schwächer als in den alten Bundesländern. Da sind ganze Generationen mit Karl May aufgewachsen. Im Osten wurde May relativ spät verlegt, und in der DDR war es schwer, diese Bücher zu bekommen. Doch obwohl das Interesse an Karl May groß ist, gab es bisher kein Nachschlagewerk, wo man sich umfassend über Titel, Personen, Verfilmungen, das Wirkungsumfeld usw. informieren konnte. Der Autor des Lexikons betreibt seit zehn Jahren das Karl-May-Archiv in Göttingen. Er hat u. a. eine großartige Sammlung von Originaldrehbüchern, Original-Skripten, Fotos, Dokumentationen und Tagesberichten - ist also für die Erarbeitung eines solchen Lexikons prädestiniert. Wir haben es in einer Auflage von 3 000 gedruckt, aber ich gehe davon aus, daß im nächsten Jahr eine Nachauflage fällig wird.

Nun noch ein wenig zum Verleger. Sie haben ein Lexikon-Programm zu ganz speziellen Themen, haben damit Marktnischen erschlossen. Nun die Frage: Wie eruieren Sie die Themen, geschieht das im Lektorat, und wie finden Sie die Autoren. Wie funktioniert Ihre Programmentwicklung?

Man kann sagen, daß die Hälfte der Ideen vom und die andere Hälfte zum Verlag kommt. Mein wichtigstes Recherche-Medium sind Magazine und Zeitschriften, Fernsehen, Branchenblätter, und man darf sich natürlich auch nicht vor der „bunten Presse“ verschließen. Mir fiel z. B. bei einem Gang durch den Zeitungsshop am Ostbahnhof auf, daß es wahnsinnig viele Magazine zu Tattoo gibt und kaum Sekundärliteratur dazu. Tattoo gehört ja heute zum Lifestyle. So begannen wir, einen Autor zu suchen, der einerseits über journalistische Fähigkeiten verfügt, andererseits mit dem Thema vertraut war. Den fanden wir mit Marcel Feige, einem Stammautor des Verlages. Er hatte schon ein Buch über Stephen King und eins über Techno geschrieben und ist auch für dieses Thema kompetent. Er lieferte uns ein Exposé, das neben der europäischen auch die Tradition der Körperbemalung anderer Kulturen beinhaltet. Ich glaube, daß dieses Lexikon eine runde Sache geworden ist.

Ansonsten kommen viele Leute - meist Journalisten - mit Themenvorschlägen von außen, und so werden Buchprojekte realisiert. Wir planen z. B. für das nächste Jahr ein James-Bond-Lexikon. Es gibt zwar James-Bond-Filmbücher, aber dort erfährt der Fan nichts über die literarischen Vorlagen. Das ist aber für Fans sehr interessant. Es gibt viele Sammler von Kultgegenständen, aber es gibt keine Sekundärliteratur zum Bond-Umfeld. Neulich gab es im „Stern“ eine große Farbgeschichte zu James Bond, und da wußten wir, daß wir richtig liegen.

Sie haben im vorigen Jahr den „Serien-Guide“ herausgebracht. Wer ist hierfür der Adressat. Ich könnte mir vorstellen, daß im Fernsehen tätige Journalisten dieses Handbuch sicher nutzen.

Ja, der Nutzerkreis ist natürlich nicht so groß. Wir hatten eine Auflage von 3 000, davon sind aber schon 2 500 Bücher verkauft. Da kann man durchaus zufrieden sein. Unsere Zielgruppen sind natürlich die überdurchschnittlich Fernsehinteressierten, und für diese ist es eben nicht nur eine trockene Auflistung von Darstellern, Regisseuren und Titeln. Der Leser findet in diesem Lexikon, neben den eben genannten Angaben, alle Titel der einzelnen Serienfolgen, Angaben zu den entsprechenden Darstellern, ob die Folge gelaufen ist usw. Sie können sich vorstellen, daß das eine riesige Recherchearbeit war. Der Autor konnte sie nur leisten, weil er beim Fernsehen arbeitet und damit einen direkten Zugang zu den Quellen hatte, da die Pressestellen der einzelnen Sender sehr kollegial zusammenarbeiten. Nach dem Erfolg mit diesem Lexikon kam uns die Idee, die Verbindungen des Autors weiterhin zu nutzen und von ihm ein Lexikon der deutschen Soaps erarbeiten zu lassen. Es soll im Herbst dieses Jahres herauskommen. Das Buch wird u. a. 1 000 Schauspieler-Biographien und etwa 1 500 Figurenbiographien enthalten. Übrigens schreibt der Autor schon am nächsten Buch, dem Lexikon der internationalen Soaps . . .

Wenn sich Ihr Verlagskonzept als so erfolgreich erweist, müssen Sie dann nicht damit rechnen, daß Ihnen andere Verlage Autoren und Themen wegnehmen?

Der Autor des Serien-Guides hatte sein Konzept ungefähr schon vor zehn Jahren einigen großen Verlagen angeboten. Sie haben es nicht gemacht, da Großverlage aufgrund der Produktionskosten mit so geringen Stückzahlen keine Deckungsauflage erzielen können. Wir brauchten 2 000 Stück, die längst verkauft sind, d. h. wir schreiben kleine schwarze, Zahlen.

Gibt es auf diesem Gebiet bei Ihnen schon einen Bestseller?

Es gibt einige Bestseller bei den Lexika. Da ist das HipHop-Lexikon, das wir gerade nachdrucken mußten, und im regulären Verlagsprogramm gibt es auch eine Menge Titel, die sowohl im Osten als auch im Westen Nachauflagen hatten. Ich definiere Bestseller ein wenig anders als die Großverlage. Bei uns hat es nichts damit zu tun, ob sie in den Bestseller-Listen stehen. Im Prinzip sind wir über jede 2. Auflage sehr glücklich. Also, mit 3 000 Exemplaren sind wir schon durchaus zufrieden, und bei 5 000 oder 6 000 ist ein Buch für uns schon ein Bestseller. Und wenn es mal - selten - 10000 Stück sind, dann ist das ein Riesenerfolg. Es sind eben etwas kleinere Brötchen, die wir hier backen. Aber dafür ist der Verlag unabhängig und stabil - und das ist mir am allerwichtigsten.

Der „Serienführer“ ist ja mit vier Bänden Ihr stärkstes Werk. Aber es kommt ja noch „Das große Personen-Lexikon des Films“ mit acht Bänden. Ist das ein Trend?

Nein, das ist eine Ausnahme. Diese Umfänge sind natürlich themenabhängig. Der Autor des letztgenannten Werkes, Dr. Kay Weniger aus Hamburg, ist ökonomisch unabhängig und hat sich zeit seines Lebens diesem Thema gewidmet. Er konnte deshalb ein solches Buch von Grund auf neu schreiben. Er recherchierte in den Geburts-, Tauf- und Sterberegistern und korrigierte viele falsche Angaben, die bisher kursierten. Es war eine immense Arbeit. Auch dieses Angebot lag bei Bertelsmann und Rowohlt auf dem Tisch und hatte überall begeisterte Lektoren, aber es rechnet sich für einen Großverlag einfach nicht, ein Buch mit 2 000 oder 3 000 Exemplaren zu starten. Für uns ist das eine schöne Herausforderung, und der Autor ist für den Verlag ein ungeheurer Gewinn - eine solche Kompetenz, was Biographien von Filmschauspielern betrifft, einfach unglaublich. Es gibt einfach Projekte, an denen darf man als Verleger nicht vorbeigehen! Das Personenlexikon des Films erscheint im Herbst 2000, und wir freuen uns sehr darauf.

Das Gespräch führte Hans-Jürgen Mende

Berliner LeseZeichen, Ausgabe 08+09/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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