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Die Fontanes und die Knochenhauers -

Bekannte, Freunde, Helfer in der Not?

 

Sprech- und Spielszenen nach Texten Theodor und Emilie Fontanes gestaltet von Mitwirkenden des Literaturkreises Luckenwalde.

Moderatorin:

Über Luckenwalde wird zu reden sein und was es zu tun hat mit Theodor Fontane. Der schreibt am 25. Juli 1856 aus London an seine junge Frau Emilie:

Theodor:

„Ueber Deinen gestern früh erhaltenen Brief hab’ ich eine rechte Freude gehabt; so wie ich denn überhaupt herzlich froh darüber bin, daß sich Deine Stimmung, seit der Uebersiedlung von Luckenwalde nach Berlin, wesentlich gebessert zu haben scheint. Mich überrascht es nicht. Solch Loch wie Luckenwalde kann Einem natürlich nur dann wohlthun, wenn man Tag um Tag auf freudiges, ganzes, durch keine Verlegenheit gehemmtes Entgegenkommen stößt; von dem Augenblick an, wo das fortfällt, ist es um in die Nuthe zu gehen, in der man für solche Fälle nicht einmal ertrinken kann ...“

Vorführer:

Zeigt eine Serie typischer Stadtansichten von Luckenwalde und erläutert sie kurz: So sieht es aus im „Loch Luckenwalde“.

Alle jungen Leute:

Kommen von verschiedenen Seiten nach vorn und stellen sich der Reihe nach als Kinder dieser Stadt vor.

Moderatorin:

Ich bin Doris Ullrich, keine gebürtige Luckenwalderin, lebe aber schon seit fast vierzig Jahren in der Stadt. Als ich einst als junge Lehrerin nach Luckenwalde kam, dachte ich: Mein Gott, was für ein tristes, langweiliges Nest! Dann aber bin ich Jahr um Jahr - anders als es Theodor Fontane bei den Gastgebern seiner Frau vermutete - doch auf manch „freudiges, ganzes, durch keine Verlegenheit gehemmtes Entgegenkommen“ gestoßen, und die Stadt ist mein Zuhause geworden. Zwar ist es auch heute manchmal wie „in die Nuthe zu gehn“ (in der man heute noch viel weniger ertrinken kann). Doch gegen Kritiker verteidige ich meine Heimatstadt. Es sind wohl vor allem die Menschen, die einem den Ort ans Herz wachsen ließen: Menschen, mit denen zusammen man lebt und wirkt, auf deren Zuneigung, Verständ nis und Hilfe man bauen kann, über die man sich manchmal auch ärgert oder grämt. Ähnlich muß es mit dem Verhältnis der Fontanes zu dieser Stadt gewesen sein: Hier wohnten die Knochenhauers, wohlsituierte Bürgersleute, die in schwierigen Jahren für sie wichtig waren, Freud und Leid mit ihnen teilten. So harsch sich deshalb Fontanes Briefurteil über das „Loch Luckenwalde“ und über das zuweilen von „Verlegenheit gehemmte Entgegenkommen“ dieser Familie anhört: Es richtete sich nicht gegen sie. Schon im nächsten Satz seines Briefes lesen wir: „Es versteht sich von selbst (wie ich immer wieder hervorheben muß) daß sich hinter diesen Bemerkungen auch keine Spur von Anklage gegen Laura versteckt. Sie hat gewiß alles gethan, was sie konnte.“ Gemeint ist Laura Knochenhauer, damals wohnhaft in Luckenwalde, am Markt 16.

Frager:

Wie stand es denn um die Beziehungen der Fontanes zu den Knochenhauers? Wieso waren sie denn so auf sie angewiesen?

Moderatorin:

Dazu müßt ihr zunächst wissen, daß die jungverheirateten Fontanes bald in ziemliche Existenznöte gerieten. Im Oktober 1850 hatten sie geheiratet. Schon zwei Monate später wurde das Literarische Kabinett beim preußischen Innenministerium - eine Art Presseamt und Theodor Fontanes kaum erst erlangte Arbeitsstelle - aufgelöst, „der Literat Th. Fontane an die Luft gesetzt“. So drückte es Fontane in einem Brief an seinen Freund Lepel aus. Heute hieße es einfach: Er wurde arbeitslos. Doch Arbeitslosenunterstützung zahlte damals niemand. Und das erste Kind war unterwegs. Im August 1851 kam der kleine George zur Welt, der Vater noch immer ohne Einkommen. In einem Gedicht zum fünften Geburtstag seines Erstgeborenen erinnerte sich Theodor Fontane:

Theodor:

„... Nur in einem schuf uns zu jener Zeit / Dein Mündchen doch Bedenklichkeit, / Das machte, wir hatten selbst nicht satt / Und dachten: ,ach wenn er Hunger hat, / Einen Hunger, der diesem Mund entspricht, / so können wir ihn sättigen nicht, / Denn Mutters Vorrat ist sehr gering, / Hilf Himmel, es ist ein schlimmes Ding.‘“

Moderatorin:

Es muß für den jungen Dichter und seine Frau bedrückend gewesen sein, wenn sie oft nicht einmal für das Notwendigste im täglichen Leben selbst aufkommen konnten. Dazu kam der ausbleibende schriftstellerische Erfolg: Die frühen Gedichte gingen nicht und brachten nichts ein. Manchmal resigniert er fast:

Theodor:

„Es bleibt einem nichts übrig, als sich mit dem Geist in die Vergangenheit und mit dem Herzen in den Freundes- und Familienkreis zu flüchten - das geschieht denn auch und geschehe immer mehr.“

Moderatorin:

Und nicht nur mit dem Herzen: Auch mit Rat und Tat stehen der jungen Familie Fontane in jenen Jahren treue Freunde zur Seite: Hermann Scherz in Kränzlin, Henriette und Wilhelm von Merckel in Berlin, Johanna und Rudolf Treutler in Neuhof bei Liegnitz - und eben auch die Knochenhauers in Luckenwalde. Alle auf ihre Weise gewähren sie vor allem der bedrängten, jahrelang auf sich selbst gestellten Emilie und ihren Kindern Zuflucht.

Frager:

Wie kam es denn zum Kontakt mit den Knochenhauers? Bei welcher Gelegenheit lernte man sich kennen?

Moderatorin:

Frau Fürtig, Fontane-Forscherin in Luckenwalde, hat das herausgefunden. Auf ihrer Suche stieß sie auf einen Brief Fontanes an Bernhard von Lepel vom 7. Januar 1851. Darin heißt es:

„Am 29. (gemeint ist der 29. Dezember 1850), ... reisten wir (beide noch halb krank) nach Schwedt, wo Stabsarzt Müller, inzwischen Regimentsarzt bei den Ascherslebner ... Husaren geworden, sein feierliches Beilager zu begehn gedachte und nachträglich wirklich beging. Die Geschichte (ich meine nicht direkt das Beilager) war unaussprechlich langweilig und hatte von den Eigenschaften eines guten Witzes nur eine: die Kürze. Schon am Abend des Hochzeitstages war ich wieder hier ...“

Frager:

Das hört sich ja an, als sei er allein zurückgefahren und seine Frau noch in Schwedt bei der Hochzeitsgesellschaft geblieben!?

Moderatorin:

So war es wohl auch, und Emilie blieb sicher gern dort. Dieser Stabsarzt Müller war nämlich ihr Stiefbruder. Und geheiratet hatte er die Mathilde Görsch, eine Schwester Laura Knochenhauers. So lernten sich die jungen Frauen kennen und fanden Gefallen aneinander. Offenbar fühlte sich Emilie in diesem Kreise wohl; noch war ja auch in ihrem Leben alles gut und in Ordnung, man begegnete sich als Gleiche unter Gleichen.

Zweite junge Frau:

Das kann ich mir gut vorstellen. Die jungen Leute, besonders die drei jungen Frauen, werden sich prima verstanden haben: Emilie war ja gerade mal zweieinhalb Monate verheiratet, Laura sogar erst seit dem 5. Dezember, und nun schwebte auch Schwester Mathilde auf Wolke sieben. Da wird es viel zu tuscheln gegeben haben. (Nach kleiner Sprechpause weiter:)

Wie mag so ein Gespräch zwischen Emilie und Laura abgelaufen sein? Wollen wir uns mal in ihre Situation hineinversetzen, „Frau Fontane“? Eine Plauderei am Rande einer Hochzeitsgesellschaft von anno dazumal. Das wär doch nicht schlecht, oder?

Emilie:

Gar nicht so einfach. Ob wir das mit den alten sprachlichen Wendungen richtig hinkriegen? Probieren wir’s!

(Beide inszenieren einen kleinen Kaffeeklatsch, rücken ein Tischchen zurecht, entzünden eine Kerze, schenken sich aus altertümlicher Kanne Kaffee ein und beginnen ihr Zwiegespräch.)

Emilie:

... Ach Laura, ich bin so von Herzen froh, daß ich dich als Schwägerin und Freundin hinzugewonnen habe. Werden wir uns nun des öfteren sehn?

Laura:

Gewiß doch, aber jetzt ist es erst einmal hier recht vergnüglich. Schön, daß wir noch ein wenig beisammen sein können. Warum ist denn Dein Theo schon wieder abgereist, ruft ihn die Pflicht?

Emilie (zögerlich):

Nun, es war wohl auch nicht so recht nach seinen Vorstellungen hier, im Vertrauen gesagt; wenngleich Deine liebe Schwester so ganz glücklich scheint. Mein Theo hat mir gesagt: „Ich habe viele hübsche Hochzeiten mitgemacht, aber keine hübschere als meine eigene.“ Ach, Laura, es ist ja wirklich wunderschön, ihn jetzt ganz und für immer bei mir zu haben, meinen schönen Mann. (In Gedanken:) Auch mein Theo ist froh darüber.

Theodor (aus dem Hintergrund):

„...wie’s dem jungen Ehepaare geht [?] Nun, bis jetzt liegt kein Grund zur Klage vor; die Wohnung ist reizend, das tägliche Brot erscheint, gut zubereitet ... auf dem zweigedeckten Tisch, die Betten (nichts Unerhebliches im Ehestande...) sind mit Hülfe von Matratzen und Sprungfedern so bequem wie möglich, an Ruhe fehlt es nicht und an Arbeit auch nicht (dieser letztere Satz bezieht sich auf mein Leben im allgemeinen und nicht etwa auf die Betten)...“

Laura (dazu Dia vom Knochenhauerhaus):

Wir wohnen in Luckenwalde nun in einem stattlichen Bürgerhaus, direkt am Markt hat es August für uns gebaut. Freilich steht es noch auf meines Schwagers Grund und Boden, aber auch das hat August schon umsichtig geplant; im nächsten Jahr kauft er’s dem Bruder ab, und dann gehört ihm alles.

Mein Herr Schwiegervater ist ein angesehener Mann, er ist der Stadtkämmerer und im Kirchenrat; aber mein lieber Herr Papa braucht sich als Steuerinspektor auch nicht zu verstecken; man sieht unsere Verbindung mit Wohlwollen, August arbeitet als junger Fabrikant tüchtig und mit Fleiß; nun, (sie spricht es mit verschämtem Stolz) mit 38 Jahren weiß eben ein Mann, was er erreichen muß. Neben uns wohnen die Szymanskis. Sie betreiben - wie August - eine Färberei. Und uns gegenüber sind die Anwandters - eine alteingesessene Apothekerfamilie. Wir werden ein respektierliches Leben führen, da bin ich mir ganz sicher.

Emilie:

Ich wiederum freue mich darauf, mit meinem Theo das pulsierende Großstadtleben zu genießen. Im Berliner Westen, in der Puttkamerstraße haben wir unsere reizende Wohnung bezogen. Mich verlangt nach Umgang, aber freilich, alles muß danach sein und Formen haben, die mir gefallen. Wir werden hoffentlich am Leben der Metropole teilnehmen können, im großen wie im kleinen, Besuche machen und empfangen, vor allem aber füreinander da sein. Und Du, meine liebe Laura, wirst mich besuchen kommen, mit Deinem August oder auch allein, und wir werden uns gemeinsam am Berliner Trubel erfreuen.

Moderatorin:

Ja, so etwa könnte das Gespräch gegangen sein: ein Ausdruck für das Selbstbewußtsein, die Wünsche und Hoffnungen junger Ehegattinnen. Noch schwelgten sie in frischem Liebesglück, noch ahnte keine von ihnen etwas vom Kummer und von den Sorgen der Zukunft.

Frager:

Gab es dann nach dem Kennenlernen regelmäßige Kontakte zwischen Fontanes und Knochenhauers, wenigstens zwischen Emilie und Laura?

Moderatorin:

Das kann man annehmen, obwohl es einen überlieferten Hinweis auf die fortbestehenden Beziehungen erst wieder aus dem Jahr 1854 gibt. Zwei Jahre später, im Januar 1856, heißt es in einem Brief Emilies an Theodor: „... in Luckenwalde ist es so nett und gut wie immer ...“

In Emilies Haushaltsbüchern findet man Eintragungen wie „Wäsche nach Luckenwalde“. Als sie 1857 ihre Berliner Wohnung auflösen mußte, um für eine Weile zu ihrem Mann nach England überzusiedeln, brachte sie die Möbel möglicherweise auf einen Speicher. Aber ihre Aussteuer - Wäsche, damals das kostbarste Gut einer jungen Frau! -, die wußte sie vielleicht auf dem Boden oder in einer Kammer des Knochenhauerhauses am sichersten verwahrt.

An anderer Stelle liest man im Haushaltsbuch: „29.09.1862 1 Tüte Bonbons für Luckenwalde“. Zu dieser Zeit hatte die Freundin Laura schon 8 Kinder geboren, Emilie wollte wohl wenigstens eine Kleinigkeit mitzubringen haben.

Zweite junge Frau:

Dieses Haushaltsbuch: Heißt das, Emilie trug jede Ausgabe auf Heller und Pfennig ein? Ihr Mann war doch in England. War sie da nicht für ihren Haushalt allein verantwortlich?

Moderatorin:

Natürlich, doch Emilie war eine gewissenhafte, sparsame Natur. Und sie war ihrem Manne Rechenschaft schuldig. So war das damals und auch später noch. Der Mann, als das Familienoberhaupt, mußte zwar in der Lage sein, seine Familie zu ernähren; er wies der Frau aber das Wirtschaftsgeld zu, mit dem hatte sie auszukommen, das hatte sie abzurechnen.

Kommen wir aber auf die Familienbeziehungen zurück. Wie eng sie sich zeitweise gestalteten, läßt sich auch aus dem schon zitierten Geburtstagsgedicht Theodor Fontanes für George zum 11. August 1856 schließen: „.../ Seitdem, mein boy, gleich einem Alten / Hast du dich brav und wacker gehalten / Und hast durchzogen wie ein Held / Zu Wasser und Lande die halbe Welt./ Du hast gespielt auf grüner Halde / Am Ufer der Nuthe in Luckenwalde...“

Emilie konnte mit der bereits seit 1841 bestehenden Bahnverbindung, der Anhalter Bahn, von Berlin nach Halle (nicht über Treuenbrietzen, sondern mit Halt in Luckenwalde, worauf einige Luckenwalder noch heute stolz sind!) schneller und billiger nach Luckenwalde gelangen als z. B. nach Kränzlin oder Neuhof. Das nutzte sie für gelegentliche Besuche und - von Laura eingeladen - auch für längere Aufenthalte. Bei Knochenhauers erlebte sie eine bürgerliche Familie im Wohlstand, in sicheren Verhältnissen, von finanziellen und materiellen Sorgen frei - ein Leben, wie sie es sich selbst erträumte. Davon hat sie - ich möchte nicht sagen aus Neid, doch aus ihrer fortwährenden Sehnsucht nach Geborgenheit - ihrem Theo zuweilen vorgeschwärmt, vielleicht hat sie ihm sogar die Ungewißheit und Unsicherheit der eigenen Existenz vorgehalten. Damit kam sie bei ihrem Manne aber nicht gut an. Einmal gab er ihr zu verstehen:

Theodor:

„... Ich bin weit darüber hinweg, daß ein Poet ein ganz andrer Kerl sei wie ein Tuchfärber oder ein Leinenfabrikant, aber es gibt, unbestritten, sehr viele wohlhabende Leute, die ihre Frauen trotz allen Wohllebens nicht glücklich machen und - dessen sei eingedenk!“

Seitenhieb“ auf August Knochenhauer. - Tauchen wir nun aber noch etwas tiefer ein in das Luckenwalde von einst, wie es sich Theodor Fontane und Emilie zeigte.

Vorführer:

Einige Dias davon habe ich hier, Historisches, anderes aus der Gegenwart. Manchmal läßt sich kaum unterscheiden, von wann die Aufnahmen stammen.

Moderatorin:

Gut, zeig du die Bilder und wir lauschen Auszügen aus einem Aufsatz Fontanes über Luckenwalde. Der erschien zuerst in der „Neuen Preußischen Zeitung“, der - wegen ihres Eisernen Kreuzes im Titel - sogenannten „Kreuzzeitung“ vom 17. April 1864. Später wurde er im „Luckenwalder Wochenblatt“ nachgedruckt. Fontane überschrieb ihn „Luch im Wald“.

Theodor (gedankenverloren):

„,Luch im Wald‘ - welch Landschaftsbild tut sich bei diesem Namen vor uns auf!“

(Dia: Wiesengrund)

„Elsengebüsch, zu drei und vier eine Gruppe bildend, umschreibt einen weiten Kreis; in der Mitte halb überschwemmtes Wiesenland, voll Binsen, wo das Wasser steht, und voll weidendem Vieh, wo trockner Grund das Wasser überragt. Hier und dort eine Torfpyramide und ein grauer Sonnenschein über dem Ganzen.

So pflegt ein märkisches ,Luch im Wald‘ zur Seite unseres Weges zu liegen;“

(Dia: Waldweg)

„d a s ,Luch im Wald‘ aber, an das wir heute herantreten und das vielleicht vor 800 Jahren noch ein wirk l i c h e s ,Luch‘, eine erlenumstandene Sumpfwiese war, hat nichts mehr gemein mit dem eben gege-benen Landschaftsbilde: eine Stadt steigt vor uns auf, eine Fabrikstadt - L u c k e n w a l d e.“

(Dia: Weichbild der Stadt um 1870)

„Das Luckenwalde unserer Tage ist das korrumpierte ,Luch im Wald‘ vergangener Jahrhunderte, und die Leser werden es verzeihn, daß ich diesem Kapitel ... ein lockenderes Aus hängeschild als Überschrift gegeben habe. Namen tun viel. Was klänge poetischer als ,Luch im Wald‘? und was klänge weniger poetisch als - Luckenwalde?“

...

„Luckenwalde ist eine Stadt mit 10 000 Einwohnern und etwa 50 Fabrikschornsteinen. Hierin liegt die Geschichte seines Ruhmes verzeichnet. Des ,Zeitgeists gewaltige Rauchröhre‘, wie unser Gewährsmann so bedeutsam sich ausdrückt, überwiegt hier jede andere Tätigkeit. Nicht mehr die Kirche bildet den Mittelpunkt geistigen Lebens, städtischer Interessen, sondern der Schornstein, der ,Stylit des Gewerbefleißes‘. Die Mönche von Zinna würden alles sehr verändert finden. Man ruft keine Heiligen mehr an, man schwört nicht mehr bei Peter und Paul; die Namen die laut werden, die längst Haushaltworte geworden sind, heißen Emisch und Steinberg oder Pariser und Compagnie. Luckenwalde ist Fabrikstadt geworden; man zupft, man walkt, man färbt, man webt ...“

„... Ihr nachzurühmen, daß sie schön sei, hieße einem Japanesen Komplimente über seine äußere Erscheinung machen. Die malerischen Fachwerkhäuser mit einem Giebel auf dem Dach und einem Rosenbusch als Facade verschwinden immer mehr und das moderne Steinhaus, das so kalt und mausoleumhaft wirkt, wenn es nicht zu beleben versteht, rückt in die Lücken ein.“

(Die folgenden Dias zeigen historische Aufnahmen von Altstadtstraßen, das letzte eine Partie an der Nuthe)

„Das Nuthe-Fließ, ein abgezweigter Arm des Flusses, der in alten Tagen die Hauptstraße der Stadt durchlief und durch Wasserplätschern und Baumesschatten alles poetisch verklärte, hat sein Leben beschlossen; - die Neuzeit hat ihn zugeschüttet, und nur die Nuthe selbst, die alte Lebensader Luckenwaldes, die den Ort mehr umspannt als durchläuft, ist ihm geblieben. Aber wie? Das ,tiefe Blau der Ströme‘, so oft verherrlicht und besungen - hier tritt es furchtbar wirklich an den Beschauer heran, und die Indigoküpe proklamiert ihren Sieg über das arme, substanzlose Blau des sich spiegelnden Himmels.

Das beste Teil Luckenwaldes sind noch immer seine zwei Erbstücke aus den Zeiten von ,Luch im Walde‘ her - sein alter Turm, den irgend ein alter Rochow als Wartturm errichtete, und seine alte Kirche, die die Mönche von Zinna gebaut.“

(Dias: Marktturm und Johanniskirche)

„Aber freilich auch von diesen zwei Erbstücken darf der Leser keinen besonderen Aufschluß erwarten. Turm und Kirche stellen sich einfach hin und sagen: ,Da sind wir, wir sind alt.‘ Ja, sie sind alt ... Sie wissen nichts, sie erzählen nichts. Selbst die Lapidarchronik der Grabsteine fehlt. Das Interessanteste bleibt das einfache Faktum, daß der alte wendisch-heidnische Feldsteinturm jetzt als Campanila der seitab stehenden Kirche dient.“

...

„Nach a u ß e n hin freilich war Luch im Wald in ernstere Kämpfe verwickelt, und wie einst Rom und Albalonga gegeneinandergestanden hatten, so standen hier jahrhundertelang Jüterbog und Luckenwalde. Ihre Kämpfe sind ihre Geschichte. Das Motiv zu diesen Kämpfen war das alte, wohlbekannte, das zu allen Zeiten in Deutschland eine so hervorra gende Rolle gespielt hat - das B i e r. 1430 hatte der Abt zu Kloster Zinna ein Reskript erlassen: ,Die Krüger auf den Dörfern sollen nur für ihren eigenen Bedarf brauen; das Dorf Luckenwalde aber mag brauen und verkaufen wem es will.‘ Da stand es schwarz auf weiß, und das Dorf Luckenwalde wurde ein berühmter Bierort; das Nuthefließ schien nur da, um in die Bottiche und Braupfannen zu fließen. Aber der Ruhm weckte Neid, vor allem bei den Jüterbogern, die sich dadurch beeinträchtigt sahen. So entstanden endlose Streite, die am liebsten handfest auf allen Kirchweihen, in den Zwischenzeiten aber mit Spöttereien ausgefochten wurden. ,Die Jüterboger haben uns den Turm stehlen wollen‘ - so sagten die Luckenwalder -, ,aber als der Nachtwächter kam, haben sie ihn vor Schreck wieder fallen lassen; - seitdem steht er abseits.‘

Die Jüterboger rächten sich durch Spottverse und sangen:

Lieber die Rute

Als Luckenwalde an der Nuthe;

aber die Betroffenen wußten auch ihren Reim zu machen und sangen ihrerseits:

Das Mädchen ist von Jüterbock,

Das Hemd ist länger als der Rock.

So waren die Fehden im alten Luch im Wald. Aber andere Zeiten kamen, und, wie wir gesehen haben, aus Luch im Wald wurde Luckenwalde. An die Stelle des altehrwürdigen Luckenwalder Biers trat ,bayrisch Bier, gebraut bei Falckenthal‘; Gas kam; die Fabriken wuchsen auf, und die Nuthe wurde immer blauer. Der alte Turm, der einst allein die Stadt überragt und ins Land geblickt hatte, mußte sich mehr und mehr bequemen, sein altes Vorrecht mit immer neuen Neulingen zu teilen, bis er in einem Walde von Fabrikschornsteinen halb versank.“

(Dia: Luckenwalde um 1870)

„Selbst die alte Fehde zwischen den Nachbarstädten hat ausgetobt, und nur bei den Wahlschlachten steigt der alte Groll noch aus dem Grabe und scheidet Jüterbog-Luckenwalde in rechts und links. Luckenwalde steht links ... Luch im Wald hätte rechts gestanden.“

Moderatorin:

Wenden wir uns nun wieder den Beziehungen zwischen den Fontanes und Knochenhauers zu. Zunächst fühlt sich Emilie bei der gastfreundlichen Familie wohl. Aus einem Brief Fontanes an Henriette v. Merckel vom 19. August 1854 erfahren wir:

Theodor:

„... Meine Frau und George sind seit 8 Tagen in Luckenwalde bei einer Freundin. Es geht ihr sehr gut, sie scheint sich dort um vieles besser zu amüsieren als in Kränzlin. Ich gönn‘ ihr diese Zerstreuung von Herzen...“

Moderatorin:

Im Januar 1856 berichtet Emilie Fontane ihrem Mann im fernen London von einem ihrer Aufenthalte bei den Knochenhauers:

Emilie:

„Luckenwalde, den 7ten Januar 56.

Geliebter Mann.

So gut es bei dem Lärm von 4 hoffnungsvollen Knaben gehen wird, will ich Deinen lieben, heut früh erhaltenen Brief beantworten. Ich hatte ihn mit großer Sehnsucht erwartet ... Nun sind wir also seit Donnerstag hier u. werden gehegt u. gepflegt. Georgechen hat einen reizend warmen Anzug von Laura bekommen u. ich eine sehr schöne Taftschürze ... Tausend Grüße von Knochenhauers u. einen innigen Kuß von Deiner

alten Frau Emilie.“

„Berlin, den 14ten Januar 56.

Mein bester Mann.

... Am Sonnabend Mittag kam ich hier an; in Luckenwalde war es so nett u. gut wie immer, Lauras Mann hat mich mit einem Tuchkleid beschenkt und Georgechen mit einem dergleichen Anzug ...“

Moderatorin:

Das klingt recht hübsch. Doch muß gesagt werden: Emilie litt inzwischen nicht nur unter finanziellen Sorgen; sie hatte auch schon schwere Schicksalsschläge hinnehmen müssen. Zwei ihrer Kinder - Rudolf, 1852 geboren, und Peter Daniel, 1853 geboren - starben kurz nach der Geburt. Nur knapp zwei Jahre später erweisen sich bei einer Frühgeburt in Luckenwalde die Knochenhauers als verständnisvolle Nothelfer. Am 16. Juni 1855 schreibt Fontane lapidar an Theodor Storm:

Theodor:

„... In den Pfingsfeiertagen (auf einer Reise, und zwar im Städtchen Luckenwalde) wurde meine Frau von einem Siebenmonatskind entbunden; - es ist heut vor 8 Tagen wieder gestorben ... Meine Frau ist noch sehr angegriffen, erholt sich aber doch allmählich, wie’s scheint.“

Moderatorin:

Welch neuer, schwerer Schicksalsschlag! Laura (zu dieser Zeit hat sie erst drei, aber gesund heranwachsende Kinder) wird Emilie in jenen schweren Tagen zur Seite gestanden haben, aber, wie soll man trösten bei solchem Verlust, dem dritten hintereinander? Alles, was nötig und möglich war, taten die Knochenhauers wie selbstverständlich: die Hebamme wurde gerufen, später dann ein Arzt. Als das Kind sich nicht als lebensfähig erwies, stellten sich Familienmitglieder als Paten für eine Nottaufe zur Verfügung, und es wurde nach dem Pfarrer geschickt. Schließlich trafen sie auch noch für das Begräbnis des Kleinen die nötigen Maßregeln - und das alles, ohne irgendein Entgelt zu verlangen oder auch nur zu erwarten. Die Knochenhauers bewährten sich hier nicht nur als tatkräftige, sondern auch als selbstlose Helfer in der Not!

Aber freilich: Allzu oft sah sich Emilie auch später noch auf Hilfeleistungen der Freunde und Schwäger angewiesen. Auf die Dauer mußte das die Beziehungen zwischen beiden Familien doch belasten. Im ehelichen Briefwechsel zwischen Theodor und Emilie in der zweiten Hälf te der 50er Jahre zeichnet sich das deutlich ab.

Theodor:

„London d. 20ten Mai 1856.

...

Meine liebe Frau.

... Kein Brief ist bis jetzt eingetroffen, aber auch - keine Zeitung. Gestern blieben die Posten aus und heute können, wenigstens bis zu dieser Stunde, Briefe und Zeitungen den Weg von Chepstow Place bis hieher noch nicht gemacht haben. Ich denke, das Beste ist, Du schreibst direkt an Laura, dann hast du in 24 Stunden den sichersten Bescheid. Auf einen Brief von hier zu warten, ist mißlich. Mein Brief an Knochenhauers oder sein Brief an mich kann verloren gegangen sein ...“

Moderatorin:

Hatte Fontane Knochenhauer um eine Besuchserlaubnis oder etwas anderes gebeten? Wahrscheinlich. Jedenfalls mußten sich, bevor Emilie Hilfe annehmen durfte, erst die „Haushaltsvorstände“ einigen. Das geschah, und Emilie reiste nach Luckenwalde. Von dort schrieb sie:

Emilie:

„Luckenwalde d. 1Juni. 56.

Sontag Vormittag.

Mein geliebter Mann.

... Von hier aus kann ich Dir nur schreiben, ,es ist nicht mehr wie sonst es war‘ ohne dadurch weder meiner Laura noch ihrem guten Manne zu Nahe treten zu wollen. In den ersten Tagen war mir ganz trostlos zu Muthe u. ein Klagebericht an Dich ist vernichtet, weil ich Dich nicht betrüben wollte u. erst eine gesetzte Stimmung wieder bei mir abwarten. Diese ist nun da zugleich aber auch der Entschluß nicht hierzubleiben, ...

Du wirst nun vor allen Dingen fragen: aber warum hälst Du nicht aus? Ich könnte antworten ich werde hier gemüthskrank wie in London, aber ich muß Dir mein Leben beschreiben. Ich hatte meine Ankunft zum Dienstag gemeldet, kein Mensch auf dem Bahnhof. Nach herzlichen Empfang erklärte es sich, der Zug war eine Stunde früher gekommen, - aber ich hatte den trüben Eindruck fort. Dann ging ich in meine Wohnung; ein zellenartiges Stübchen, kaum mit dem nothwendigsten ausgestattet, empfing mich, ein entsprechendes Kämmerchen mit einem schmalen Bett schloß sich ihm an. So gut wie möglich richtete ich mich mit Georgchen in dem Bett ein u. wollte als ich mich sattgeweint einschlafen, als ein förmlicher Mäusekrieg begann, so daß ich mit Bett u. Jungen in der Nacht um 1 Uhr in die Stube zog, (wo ich erst in dieser Nacht etwas knabbern hörte.) Früh Morgens bringt meine Aufwartefrau Milch u. Semmel um 7 Uhr, dann frühstücke ich mit unserem Jungen u. nachdem wir uns angekleidet, sitze ich nähend oder strickend bis 1 Uhr. (George fast immer bei mir, da er sich mit Laura’s Kindern nicht verträgt.). Dann kömmt unser knappes, laues Mittagessen, zum Kaffee läßt mich Laura gewöhnlich einladen, kommt zufällig was Verwandtes, so sehe ich ihr an, meine Anwesenheit hat ihr etwas peinliches, mir ist dabei nicht wohl u. sehe ich Laura’s u. unserer Freundschaft wegen ein, ich verschwinde zu unserem Besten so bald wie möglich. Ich bin jetzt ruhig, mein Herzensmann, aber dies Alles hat mir heiße Thränen gekostet u. habe ich mich recht hülflos und verlassen gefühlt...“

Theodor:

„London d. 5ten , Juni 56. Donnerstag.

Café Divan.

Meine liebe Frau.

Ueber die erbärmliche Luckenwalder Post, durch deren muthmaßliche Schuld ich einen Brief vom Sonntag erst heute früh erhielt, will ich weiter nicht schimpfen, da du hoffentlich nicht lange mehr auf dieselbe angewiesen bist. - Du schreibst mir einen betrübten Brief und wenn ich an Deiner Stelle wäre würd ich gewiß keinen fröhlicheren schreiben, aber au fond ist - dem Himmel sei gedankt dafür - kein rechter Grund zum Traurigsein und Kopfhängen vorhanden. Ich will versuchen Dir das auseinanderzusetzen. Die ganze Sache zerfällt in zwei Fragen, in eine Freundschafts- und in eine Unterkommens-Frage; die eine ist Herzenssache, die andre rein praktischer Natur. Es trifft sich, daß ich Dir, mit vollster Ieberzeugung, auf beide Fragen eine gute Antwort geben kann. Du weißt, daß ich für Knochenhauers nicht schwärme, weißt aber eben so gut, wie ich von der Bravheit und Herzensgüte beider tief durchdrungen bin. Das bin ich in diesem Augenblicke gerade noch so wie früher. Auch die besten Menschen können nicht immer wie sie wollen. Wir sind alle mehr oder weniger abhängig von unsrer Umgebung und von dem Urtheil der Welt und es schlägt in der Regel irgendwie zum Unheil aus, wenn man sich von dieser Abhängigkeit frei machen will. Knochenhauer selbst ist ganz in diesen Banden und sie gereichen ihm weder zur Schande noch machen sie ihn lächerlich. Laura hat dagegen angekämpft, aber sie hat zuletzt unterlegen, nicht durch ihre Schuld, sondern weil die Verhältnisse ihren Gegnern immer neue Waffen in die Hand gaben. Bedenke sie hat jetzt 4 Kinder, das jüngste kaum 2Monat alt; die eigne Mutter, aus Besorgniß und Eifersucht, schüttelt den Kopf und die Luckenwalder Philister sagen:“

Zweite junge Frau:

„na, diese Jutste ist ooch alle Naslang hier, wenn ihr irgend en bisken wat schief jeht, denn is se da; se hat ja Verwandte jenug und red’t immer von ihre vornehme Freindschaft - wat thut se denn die hohen Herrschaften nich ooch mal die Ehre an.“

Theodor:

„Was soll Laura darauf antworten? Sie m u ß in Verlegenheit kommen. Es gäbe nur ein Rettungsmittel: mit den Leuten brechen; und das wäre unklug und unverantwortlich zu gleicher Zeit. Gieb Luckenwalde auf, so bald es Dir beliebt, aber thu es ohne Bitterkeit gegen Knochenhauers, die sich auf’s neue bewährt und alles gethan haben was sie konnten.

Nun die praktische, die Unterkommens-Frage. Hier muß ich Dir vor allen Dingen sagen, vergiß keinen Augenblick daß wir keine Bettler sind, daß sich Gott unsrer in Gnaden erbarmt und uns so gestellt hat, daß wir jeden Liebes- und Freundschaftsdienst, wie alle Liebe und alle Freundschaft, dankbar hinzunehmen aber nicht danach zu rennen und zu laufen haben. Es ist möglich, daß unsrer noch schwere sorgenvolle Tage harren, aber das ist ganz gewiß, daß diese Tage die wir jetzt leben, im Geld- und Abhängigkeit-Punkt weder schwer noch sorgenvoll sind. Ich habe zur Genüge und nach meiner unmaßgeblichen Meinung - Du auch ... Also raff Dich zusammen, mache Dir klar, daß du nöthigenfälls in ein Berliner Hotel ziehen könntest, wahre Dir Bescheidenheit und Anspruchslosigkeit, aber lege gleichzeitig alle nutzlose ja geradezu alle lächerliche Scheu bei Seit und tritt auf wie Du auftreten darfst. Es hat Dir Niemand etwas zu sagen. Ueber Dein Thun und Lassen bist Du nur Gott und Dir selber und Deinem Manne Rechenschaft schuldig und wenn es die Kritik dieser drei passirt, so sei nicht ängstlich, was die anderen dazu sagen.“

Zweite junge Frau (vor sich hin sprechend, wiederholt sie die letzten Sätze):

„Es hat Dir Niemand etwas zu sagen. Ueber Dein Thun und Lassen bist Du nur Gott und Dir selber und Deinem Manne Rechenschaft schuldig und wenn es die Kritik dieser drei passirt, so sei nicht ängstlich, was die andern dazu sagen...“???

Soll man das so verstehen, daß er seine Frau aus der Ferne gegen den Klatsch der Gesellschaft schützen, ihr den Rücken stärken wollte?

Frager:

Die Frau dem Manne rechenschaftsschuldig? Schwer vorstellbar heute. Die Mädchen, die ich kenne, sind alle ziemlich selbständig. Ich würde das auch gar nicht wollen, wenn meine Freundin mit jeder Kleinigkeit zu mir käme und ich mitentscheiden sollte.

Junger Mann:

Ich habe aus einigen Texten herausgelesen, Fontanes seien gläubig gewesen. Vielleicht spielte in ihrem Denken und Fühlen das Bibelwort mit: „Ordnet euch einander unter in der Furcht Christi, die Frauen den eigenen Männern als dem Herrn! Denn der Mann ist das Haupt der Frau.“(?)

Moderatorin:

Die „Herr“schafts-Stellung des Familienoberhauptes reicht doch bis in unsere Gegenwart. Ich hörte kürzlich, in Hamburg habe ein Vater die Tochter enterbt, weil sie nicht standesgemäß geheiratet hatte. Daraufhin verklagte die Tochter den Vater, doch alle Instanzen gaben dem Familienoberhaupt recht.

Kommen wir aber noch einmal zum Ehebriefwechsel der Fontanes zurück. Er wird uns zeigen: Den zeitweiligen Verstimmungen zum Trotz blieb das freundschaftlich-hilfreiche Verhältnis zur Knochenhauer-Familie bestehen. Frau Emilies Stimmungstief Ende Mai 1856, dem Ihr Mann mit seiner so temperamentvollen Epistel zu begegnen suchte, erklärte sich übrigens auch aus einem sehr „natürlichen“ Grunde: Sie war wieder einmal schwanger, und die Schwangerschaft fiel ihr auch diesmal schwer. Sie litt - nach den bösen Erfahrungen der letzten drei Jahre - unter Depressionen. Im Juni erkrankte nun auch noch George an „kaltem Fieber“. Emilies Mitteilung davon versetzte Theodor in helle Aufregung. Er bat, ihm sogleich zu schreiben, „wie es dem Kinde geht“. Behandlungsempfehlungen des Apothekers Fontane, die heute seltsam berühren, folgten, dazu der Ratschlag, ihn - bei vorübergehender Abwesenheit der Mutter - „Laura’n und besonders auch den Arbeitern in der Färberei“ ans Herz zu legen. „Viele, viele Grüße Knochenhauers, den lieben Merckels und allen Freunden“ beendeten den Brief. Schon wenige Tage darauf, am 15. Juni 1856, konnte Emilie ihren Mann beruhigen:

Emilie:

„Heute schreibe ich leichteren Herzens an Dich wie vor acht Tagen; denn unser Dicker springt sonntäglich geputzt umher u. erfreut sich wieder seiner vollkommenen Gesundheit. Wie froh war ich gestern als Dein liebenswürdiger Brief eintraf, daß ich Dir einige Zeilen geschrieben hatte, die Dich über den Zustand unseres Kindes beruhigen konnten. Mir ist trotz ausgestandener Angst u. Sorge so wohl wie ich es nie in diesem Zustand war, u. habe ich namentlich einen immer währenden Appetit, der mir sonst auch fehlte. Du kannst denken liebes Herz daß ich Gott sehr dankbar dafür bin; ich werde am ganzen Körper stark u. auch die Unterleibsschmerzen haben sich vermindert. Mein Aussehn ist aber, da fast mein ganzes Gesicht mit gelben Flecken bedeckt ist, so häßlich, daß ich oft eitel genug bin, froh zu sein, daß Du mich jetzt nicht sehen kannst. Meine Lebensweise hier ist so ureinfach, daß ein Tag wie der andere hingeht u. schwindet so die Zeit am schnellsten, denn mit Freuden zähle ich, daß wir heut 4 Wochen getrennt sind. Ich stehe um 6 Uhr auf, arbeite bis 7 Uhr, wo meine Aufwärterin mit Milch u. Semmel erscheint. Um 8 Uhr steht Georgechen auf; dann ziehe ich uns beide an, er spielt in Hof oder Garten ich arbeite bis 1 Uhr. Wir speisen; ich schlafe bis gegen 2 Uhr, u. gehe dann in der Regel um 3 Uhr zum Kaffee zu Laura; unter Geplauder, Kindergeschrei u. Arbeit wird es 7 Uhr. Zu Abend speisen wir dicke Milch u. gehen dann bis gegen 9 Uhr auf dem Hang spatzieren u. dann beide in’s Bett, da ich nicht mag noch bei Licht allein aufsitzen. Mir wäre dies Leben vollkommen genügend, aber mein längeres Hierbleiben würde mich in meinen Besuchen bei Laura genieren, u. auf die Dauer kann ich das Entbehren jeder Bequemlichkeit in meinen 4 Fählen nicht aushalten. Mit George in einem Bett schlafen zu müssen, ist fast gefährlich für meinen Zustand, solche Stöße versetzt er mir oft im Schlaf. Natürlich arbeite ich sehr viel zusammen u. habe bereits für George Hemden und Strümpfe verfertigt, für mich Nachthauben u. für meinen Herzensmann habe ich jetzt Strümpfe in Arbeit; für mein zu Erwartendes häckele u. sticke ich allerlei u. freue mich auf das Kind, so daß im Gedanken an dasselbe ich mich hege u. pflege. Mir ist immer als würde ich dich früher wieder erhalten, wenn nur die Aussicht auf dies Kind bleibt.“

Moderatorin:

Solche Post zu bekommen, war schon eher nach Wunsch und Geschmack des in London hart arbeitenden Pressekorrespondenten Theodor Fontane. Und so antwortete er denn am 18. Juni, dem Tag der Schlacht bei Belle-Alliance, seiner Frau aus dem von ihm bevorzugten „Café Divan“:

Theodor:

„Diesmal hat die Luckenwalder Post ihre Schuldigkeit gethan. Dein Brief ist am 16ten aufgegeben und war heut früh in meinen Händen. Sein Inhalt hat mir sehr wohl gethan. Das Kind gesund, Du gesund, Dein Zustand ein respektabler Zustand (muß wohl in der Luckenwalder Luft liegen, oder Laura hat ein Rezept; vielleicht Pfefferkuchen und Braunbier. Das ist nicht zum Lachen, die größten Weltereignisse lassen sich auf Verstopfung und offnen Leib zurückführen) und über den ganzen Brief eine gewisse Heiterkeit oder doch eine vertrauensvolle Ergebung ausgegossen. Mög’ es so bleiben!“

Moderatorin:

In den 60er Jahren werden die Hinweise auf Kontakte zwischen den Familien Fontane und Knochenhauer seltener. Frau Fürtig hat sie aus Briefen und Tagebucheintragungen notiert: So wird Emilie Fontane am 3. Juni 1860 Taufpatin beim 7. Kind des Luckenwalder Ehepaares. Am 30. September 1862 reisen Theodor und Emilie Fontane zu Knochenhauers und kehren noch am selben Tag von dort zurück. Ein letztes Datum nennt ein Brief Fontanes vom 15. August 1867. Da empfiehlt er Emilien für eine geplante gemeinsame Thüringen-Fahrt „am Sonntagfrüh mit der Anhalterbahn ... nach Luckenwalde und etwa 8 Uhr abends von dort nach Kösen“ zu fahren. Vielleicht dachte er an eine Stippvisite bei den Freunden dort? Ob es dazu gekommen ist - wir wissen es nicht.

In den 70er Jahren verliert sich die gemeinsame Spur ganz. Frau Fürtig konnte nachweisen, daß August Knochenhauer sein Haus am 30. April 1873 verkauft hat. Die Gründe kann man nur vermuten: Die Marktlage entwickelte sich damals ungünstig - und nicht nur für die Tuchfärber: Im Mai kam es zum berüchtigten „Gründerkrach“, der bis dahin schwersten Wirtschaftskrise. Vielleicht hing Augusts Verkauf damit zusammen?

Eine Laura Knochenhauer soll in den 70er Jahren in Luckenwalde noch ein Bijouterien- Geschäft eröffnet und geführt haben. Ob es sich bei ihr aber um Emilie Fontanes Freundin oder um deren am 27. April 1856 geborene Tochter Mathild Laura Margarete handelte, ja, ob es da überhaupt einen verwandtschaftlichen Zusammenhang mit „unseren“ Knochenhauers gab, blieb bisher unbekannt. Vielleicht wird sich dies und manches andere noch entdecken lassen. Daß aber unsere Literatur- und Heimatfreunde darauf kamen und daran erinnerten: Da gab es einmal eine Luckenwalder Familie, die den Fontanes in schönen wie in bösen Zeiten selbstlos beigestanden hat und deshalb von Theodor Fontane hochgeschätzt wurde - d a s ist doch schon etwas und kann sich sehen lassen!

Personen:

Junge Frau, zugleich Emilie Fontane - Katrin Woischnik

Zweite junge Frau, zugleich Laura Knochenhauer - Christin Hasche

Junger Mann, zugleich Theodor Fontane - Torsten Korsitzke

Zweiter junger Mann als Frager und Vorführer am Projektor - Tino Mlynikowski

Text und Moderation - Doris Ullrich

Quellen:

Emilie und Theodor Fontane: Der Ehebriefwechsel. Band 1 und 2. Aufbau-Verlag, Berlin 1998

Theodor Fontane: Werke, Schriften und Briefe. Band 1, Abt. IV/Briefe. Carl Hanser Verlag, München 1976

Theodor Fontane: Gedichte. Band III. Aufbau-Verlag, Berlin 1989

Theodor Fontane: Tagebücher 1852, 1855-1858. Aufbau-Verlag, Berlin 1994

Theodor Fontane: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Dörfer und Flecken im Lande Ruppin. Aufbau-Verlag, Berlin 1991

Heimatmuseum Luckenwalde


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 06+07/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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