Eine Annotation von Gerhard Keiderling


Neugebauer, Wolfgang:
Residenz - Verwaltung - Repräsentation
Das Berliner Schloß und seine historischen Funktionen vom 15. bis 20. Jahrhundert.

Verlag für Berlin-Brandenburg, Potsdam 1999, 71 S.

 

Das Berliner Stadtschloß von Andreas Schlüter, eines der größten und bedeutendsten BarockBauwerke diesseits der Alpen, ist wiederholt Gegenstand von bau- und kunstgeschichtlichen Betrachtungen gewesen. Seit 1990 gibt es eine leidenschaftliche Debatte darüber, ob das 1950 im Auftrag der DDR-Regierung gesprengte Schloß in den alten Proportionen wieder aufgebaut werden soll und wie man mit seinem Nachfolgebau - dem „Palast der Republik“ von 1976 - verfahren solle. Wolfgang Neugebauer greift mit seinem schmalen Band indirekt in diese Diskussion ein, indem er aus residenz- und stadttopographischer Sicht seine Fragen stellt. Die „genuin historische“ Darstellung des Themas sei bislang zu kurz gekommen, erläutert der Autor sein Anliegen. In Auswertung der umfangreichen Literatur verfolgt er den Funktions- und Bedeutungswandel des Berliner Schlosses seit dem Baubeginn nach 1443. In Ablehnung älterer Theorien von einer „Zwingburg“ gegen die Stadt betont Neugebauer, daß das Schloß sich von Anfang an als ein überlokales Herrschaftszentrum darstellte, das Residenz und Verwaltung ortsfest machte, früh kulturelle und kirchliche Funktionen übernahm und auch den Ständen Platz bot. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts setzte ein Bedeutungsverlust ein. Während die administrativen, juristischen und geistlichen Funktionen hier weiterhin verblieben, bezog der Hof wechselnde auswärtige Residenzen. Dieser Trend hielt im Hochabsolutismus an. Mit der Erhebung des Kurfürstentums Brandenburg zum Königreich Preußen 1701 erfolgte zwar der notwendige Umbau des Schlosses unter Schlüter und Eosander, doch die Könige bevorzugten Charlottenburg und zunehmend den Potsdamer Raum und nahmen dorthin auch zentrale Staatsfunktionen mit. Die Entwicklung führte dazu, daß das Berliner Schloß immer mehr an funktionalem Profil verlor und nach der Reichsgründung 1871 im wesentlichen für Staatsakte und Hoffeste genutzt wurde. Kaiser Wilhelm II. nutzte es vorwiegend als „Winterresidenz“. Die Novemberrevolution 1918 brachte dem Gebäude nicht nur Plünderung, sondern nach der Verstaatlichung auch den „Abstieg“ zum Museum und zu einem kulturell-wissenschaftlichen „Dienstleistungsgebäude“. Nach den schweren Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg stand die Schloßruine wie viele andere vernichtete Kulturstätten vor der Alternative: Wiederaufbau oder Abriß. Die DDR-Regierung beschloß 1950 die Sprengung, weil sie nach sowjetischem Modell einen grandiosen Aufmarschplatz wünschte. Doch die Mittel für eine solche Umgestaltung fehlten, so daß das abgeräumte Schloßareal bis in die siebziger Jahre eine städtebauliche Öde blieb. Der „Palast der Republik“, von 1973 bis 1976 an der Spreeseite des einstigen Schlosses errichtet, brachte zwar eine gewisse Urbanität in die jahrzehntelang vernachlässigte Mitte, vermochte aber - nicht zuletzt seiner architektonischen Gestaltung wegen - die Leere im Zentrum nicht zu schließen. Leider bricht Neugebauer seinen Diskurs mit der Schloßvernichtung 1950 ab und hat für die aktuelle Schloßdiskussion nur einen sibyllinischen Schlußsatz parat: „Die Polyfunktionalität des Ortes tritt bei geschichtlicher Analyse entgegen, auch die Verbindung von Schloßgeschichte und allgemeiner Historie. Vermeiden wir also Verengungen.“


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 06+07/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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