Eine Annotation von Wolfgang Buth


Röhl, Ernst:
Der Ostler, das unbekannte Wesen
Geschichten.

Eulenspiegel Verlag, Berlin 2000, 224 S.

 

Der Umschlagentwurf von Jens Prokat unter Verwendung einer Zeichnung von Reiner Schwalme allein regt schon an, nach diesem Buch zu greifen: Aus einer Lücke der schwarzrotgoldenen Mauer lugt ein Bewohner des eingemauerten Staates hervor, in den Händen die Insignien des untergegangenen Staates, ein zerbrochener Hammer und ein unbrauchbarer Zirkel, der Ährenkranz schwebt gleichsam als Heiligenschein über dem Haupte des trotz alledem optimistisch blickenden Ostlers.

Ernst Röhl, 1937 in Mecklenburg geboren, studierte Journalistik, fiel als Kabarettist in Ungnade, wurde inhaftiert und durfte sich als Holzarbeiter „bewähren“. Von 1965 bis 1997 arbeitete er mit kurzen Unterbrechungen als Redakteur bei der satirischen Zeitschrift „Eulenspiegel“. In seinem „Hausverlag“ erschienen nach der Wende u. a. Deutsch-Deutsch. Ein satirisches Wörterbuch, Esel sei der Mensch, Das Große deutsche blabla sowie die CD „Vom Broiler zum Spoiler. Sprachblüten aus der DDR“. Der Satiriker Ernst Röhl betreibt Aufklärungsarbeit, damit die Deutschen in Ost und West besser einander verstehen: „Kurz und gut, die Zeit ist reif! Überwinden wir, was uns trennt! Neulich erst habe ich eine Gesellschaft für deutsch-deutsche Freundschaft gegründet. Wir fordern: doppelte Staatsbürgerschaft in Deutschland auch für Deutsche, eine für Ostler, eine für Westler! Wir zögern nicht, dem Westler die Hand zu reichen, zögern aber auch nicht, hinterher nachzuzählen, ob unsere zehn Finger noch alle dran sind!“

Als geborener Ossi kennt Ernst Röhl sein Land und seine Geschichte: „Wir waren das Land mit der höchsten Planerfüllung in der ganzen Welt! Wir waren im Weltmaßstab führend im Stolz auf uns selbst. Kein Volk der Welt war so unbändig stolz auf uns wie wir! Und es gab etwas, das machte uns auf der ganzen Welt keiner nach: Wir hatten seit langem schon eine Weltanschauung, obwohl wir uns die Welt noch gar nicht angeschaut hatten. Und die Jungen Pioniere spielten nicht mit Barbiepuppen, sondern sammelten fleißig Sekundärrohstoffe, auf den Lippen ein fortschrittliches Lied: Ham Se nicht noch Altpapier - / Flaschen, Gläser oder Schrott?/ Bitte, bitte, geb’n Se’s mir, / sonst holt sich’s die FDJ!“ Über die Mangelwirtschaft weiß er zu berichten: „Unser Handel hatte alles, was wir nicht brauchten. Manches gab es, manches gab’s nicht. Doppellagiges Klopapier zum Beispiel gab es. Jedoch nicht für alle. Bloß für die Verwaltung. Weil ein Durchschlag per Kurier immer gleich nach Moskau ging.“ Auch das Unwesen mit Transparenten wird glossiert: „... Losungen und Parolen jede Menge: Es liegt in deine Hände - verhüte Brände!- FDJler, in den Wald! Macht den Borkenkäfer kalt!- Frauen und Mädchen, ’ran - im Wettbewerb von Mann zu Mann! Wie geistreich klingen dagegen die funkelnden Werbeslogens der Gegenwart: Haribo macht Kinder froh, und Erwachs’ne ebenso.“

Köstlich ist auch die Geschichte „Hurra, wir kriegen Telefon!“, wo es um die „Ablösung“ eines altmodischen DDR-Telefonapparates geht: „,Aber solche Dinger wie euer Ding haben ja schon die alten Römer gebraucht gekauft, und zwar von den alten Griechen!‘ ... ,Ihr braucht unbedingt ISDN‘, sagte Leo, ,und zwar mit Mehrfachrufnummer, Anrufweiterschaltung und integriertem Faxbeantworter, mit Internet, E-Mail, Online-Shopping, Telebanking, mit Plug & Play-Lösungen! Eine moderne Frau wie deine Elfie muß endlich in modernem Stil telefonieren können: Call by Call von Frau zu Frau, von früh bis spät, from Town to Town, zum Sunshine-Tarif, zum Moonshine-Tarif oder mit Holiday-Plus zum City-Weekend-Tarif.‘“

Die kurzen satirischen Geschichten entführen in eine Zeit, die es nicht mehr gibt, u n d in die Gegenwart, die „Westler und Ostler“ (so Röhl) gemeinsam leben und erleben. Das Buch - Der Ostler, das unbekannte Wesen - läßt den Leser schmunzeln und trägt zur Aufklärung und zum Verständnis bei.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 06+07/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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