Eine Annotation von Dorothea Körner


Buñuel, Luis:
Mein letzter Seufzer
Erinnerungen. Aus dem Französischen von Frieda Grafe und Enno Patalas.

Ullstein-Taschenbuch-Verlag, Berlin 1999. 367 S.

 

Noch kurz vor Luis Buñuels (1900-1983) Tod erschien seine Autobiographie, die der Drehbuchautor Jean Claude Carrière nach langen Gesprächen mit dem Regisseur aufgezeichnet hatte. 1983 in deutscher Übersetzung bei Athenäum ediert, bringt der Ullstein-Verlag jetzt die Taschenbuchausgabe heraus. Es erübrigt sich, sie hier ausführlich zu besprechen, nur einige Bemerkungen zu dieser Biographie eines der bedeutendsten Filmregisseure des Jahrhunderts, der die Frühzeit des Films miterlebt hat und selbst zur künstlerischen Avantgarde der 20/30er Jahre gehörte.

Buñuel, der seine Kindheit - wie er schreibt - im „Mittelalter“ verbrachte, einer materiell zwar leidvollen, geistig aber köstlichen Zeit, hat auch nach seiner Abwendung vom Katholizismus als „Atheist von Gottes Gnaden“ zeitlebens das Geheimnis, den Traum, das Unbewußte, rational nicht zu Erklärende als wesentliche Elemente der Wirklichkeit akzeptiert und in seinen Filmen dargestellt. „Wenn der Film zu kurz wird, tu ich einfach einen Traum rein“, scherzte er einmal. Sein erster Film „Ein andalusischer Hund“ (1928) sei aus der Begegnung zweier Träumer hervorgegangen. Er hatte geträumt, „wie eine langgezogene Wolke den Mond durchschnitt und wie eine Rasierklinge ein Auge aufschlitzte“, Dalí hatte im Traum „eine Hand voller Ameisen gesehen“. In dem Drehbuch, das sie daraufhin gemeinsam schrieben, war „keine Idee, kein Bild [zugelassen], zu dem es eine rationale, psychologische oder kulturelle Erklärung“ gegeben hätte. So entstand ein Film, der die Pariser Surrealisten - Breton, Aragon, Max Ernst, Man Ray, Eluard, Tzara, Arp, Magritte - so begeisterte, daß Buñuel - und etwas später auch Dalí - in ihren Kreis aufgenommen wurden. Er habe etwas mehr als drei Jahre in ihrer „hinreißenden und wilden Gesellschaft“ verbracht, schreibt der Regisseur, geblieben sei ihm vor allem „der freie Zugang zu den Tiefen des menschlichen Wesens“ und „ein klarer und unerbittlicher moralischer Anspruch“.

Buñuel, der sich in den Jahren des Spanischen Bürgerkriegs der republikanischen Regierung zur Verfügung stellte, konnte erst nach dem Krieg in Mexiko, wo er seit 1946 lebte, wieder Filme drehen, im Vergleich zu Hollywood mit erstaunlich niedrigen Kosten, dafür aber auch ohne inhaltliche und künstlerische Kompromisse eingehen zu müssen. Buñuel erzählt, welche seiner Filme er besonders liebte, wie sie entstanden, wie unterschiedlich sie aufgenommen wurden - manche wurden verboten, andere als klerikal mißverstanden -, er reflektiert über seine Befindlichkeit im Alter, über von ihm bevorzugte Bars und Drinks, über wichtige Freundschaften - ganz besonders zu Garcia Lorca-, über sein Verhältnis zur Kommunistischen Partei, über Landschaften und Gebäude, die er liebte, über Erotik, Sexualität und sein Verhältnis zum Tod.

Das Buch ist das Resümee eines alten, man möchte beinahe sagen weisen Mannes, der mit den bedeutendsten Künstlern seiner Generation befreundet war, Beschönigungen nie mochte und den Mut hatte, sich seinen Imaginationen anzuvertrauen, ohne sie verstehen zu wollen. „Wären wir in der Lage“, schreibt er, „unser Geschick dem Zufall anzuvertrauen und das Geschick unseres Lebens mutig anzunehmen, wären wir einem bestimmten Glück nahe, das der Unschuld ähnelt.“


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 06+07/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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