Eine Rezension von Helmut Caspar


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Hochsicherheitstrakt der Macht

 

Hans Wilderotter (Hrsg.): Das Haus am Werderschen Markt
Von der Reichsbank zum Auswärtigen Amt.

Jovis Verlag, Berlin 2000, 304 S., zahlr. z. T. farbige Abb.

 

 

Zwischen 1934 und 1940 wurde nach Beseitigung zahlreicher historischer Häuser neben dem alten Reichsbankgebäude auf dem Friedrichswerder in Berlins Mitte, nicht weit vom Schloß entfernt, ein riesiger Erweiterungsbau errichtet, der nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst als DDR-Finanzministerium fungierte, 1958 zum Sitz des Zentralkomitees der SED avancierte, 1990 „Haus der Parlamentarier“ wurde und jetzt nach umfassenden Umbauten und der Schaffung eines vorgelagerten Kopfbaues aus Glas und Stahl Auswärtiges Amt ist. Absichtsvoll hatte sich die Behörde nicht wieder an der Wilhelmstraße, ihrem Ursprungsort, angesiedelt, sondern nach vielen Debatten über die Weiternutzung politisch kontaminierter Regierungsbauten in der Osthälfte Berlins für das ehemalige Reichsbank- und ZK-Gebäude entschieden. Seine Geschichte bleibe präsent, schreibt Außenminister Joschka Fischer im Vorwort der in Deutsch und Englisch verfaßten Aufsatzsammlung, die historischen Schichten seiner Architektur seien weniger Hypothek als Mahnung und zugleich Verpflichtung für die Zukunft. Im Zusammenspiel mit dem gelungenen Neubau öffne sich das Haus zur Mitte Berlins und sei eine „Einladung an die Bürger und Besucher Berlins, sich selbst ein Bild von der hier gestalteten, offenen und transparenten Außenpolitik zu machen“. Das ist ein wenig zu optimistisch formuliert, denn wer von den Normalbürgern erhält schon Einsichten in die Tiefen der Diplomatie? Er wird höchstens die Oberfläche besichtigen können.

Um die Debatte über das Gebäude mit einer historischen Auseinandersetzung zu verbinden, hatte das Auswärtige Amt Wissenschaftler eingeladen, die Orts- und Gebäudegeschichte von der Stadtgründung des Friedrichswerder Mitte des 17. Jahrhunderts bis in die jüngste Vergangenheit nachzuzeichnen. Das ist in der vorliegenden Publikation, die viel unbekanntes Dokumenten- und Bildmaterial bietet, hervorragend gelungen. Zu Beginn befaßt sich Hans Wilderotter unter dem Thema „Politische Architektur in Berlin“ mit Funktion, Repräsentation und Geschichte wichtiger öffentlicher Bauten vor allem in der Nazizeit, für die viel historische Substanz geopfert wurde, und mit ihrer „fast umstandslosen Weiternutzung“ nach 1945. Die DDR-Regierung blendete aus, was in ihren Amtsräumen geschehen ist, deren Vorgeschichte war kein Thema. Daß diese und einige andere Regierungsbauten in den neunziger Jahren nach dem Beschluß von Parlament und Bundesregierung, von Bonn nach Berlin zu gehen, überleben konnten, ist dem in einem Beitrag des früheren Bauministers Klaus Töpfer formulierten und von ihm auch tatkräftig geförderten Entschluß zu verdanken, der Konfrontation mit der Geschichte nicht auszuweichen und ebendiese Bauten neu zu nutzen. Anderenfalls stünden heute etwa das Staatsratsgebäude und andere ehemalige Machtzentren nicht mehr. Denn das Haus am Lustgarten sollte wie das benachbarte Außen- und Hochschulministerium abgerissen werden, was im Falle des als riesiger Querriegel gestalteten Bürohochhauses denn auch geschah und von niemandem bedauert wurde. Jetzt wird hier bereits eine Ecke von Schinkels Bauakademie errichtet, die dem DDR-Außenministerium in den frühen 60er Jahren geopfert worden war. Wolfgang Schäche charakterisiert an anderer Stelle den in allen Einzelheiten vorgestellten Erweiterungsbau der Reichsbank (1934-1940) als ein „Gebäude zwischen den Architekturwelten“, als ein Bauwerk, das nicht wirklich der Naziarchitektur zuzurechnen ist, während Jochen Staadt und Manfred Wilke näher auf das eingehen, was drei Jahrzehnte lang im „Großen Haus“, also im Zentralkomitee der SED, am Marx-Engels-Platz als dem „Hochsicherheitstrakt der Macht“ von den SED-Größen Ulbricht und Honecker und ihren Helfern ausgeheckt wurde und letztlich zum Untergang des zweiten deutschen Staates führte. Die neuen Nutzer haben heute übrigens kein Problem, in Räumen zu amtieren, die vor noch nicht allzu langer Zeit nach Politbüro rochen.

Hans Wilderotter geht in einem Beitrag über den in kurfürstlicher Zeit angelegten Friedrichswerder auf einzelne Bauwerke ein, die hier noch stehen beziehungsweise gestanden haben. Darunter befand sich auch die vor nunmehr 200 Jahren eröffnete Königliche Münze am Werderschen Markt mit dem von Schadow geschaffenen Münzfries an der Fassade, für die schon Mitte des 19. Jahrhunderts ein Nachfolgebau an der Unterwasserstraße geschaffen wurde, der später zugunsten des Erweiterungsbaues der Reichsbank aufgegeben wurde. Erwähnt wird hier auch der von Andreas Schlüter geschaffene Münzgraben, der im Zusammenhang mit der Errichtung des 1999 eröffneten Kopfbaues des Auswärtigen Amtes von Archäologen wiedergefunden und vermessen wurde, angeblich aus Kostengründen aber nicht in den Komplex einbezogen werden konnte, wie es die Denkmalpfleger vorgeschlagen hatten. Dadurch ging ein herausragendes Technikdenkmal der Barockzeit unwiederbringlich verloren.

Die sehr zwiespältige Rolle der Reichsbank zwischen 1933 und 1945 und ihrer beiden Präsidenten Schacht und Funk im Gefüge der nationalsozialistischen Machtausübung und Kriegsplanung wird von Harold James analysiert. Das Thema „Raubgold“, das erst jetzt durch neue Forschungen und gelegentlich recht reißerische Veröffentlichungen in den Blick der Öffentlichkeit gelangt ist, spielt in dem Beitrag selbstverständlich eine wichtige Rolle. Zwar wurde dem Edelmetall in den „weit ausholenden deutschen Rahmenplanungen für eine Nachkriegs-Währungsordnung“ eine zunehmend unbedeutendere Rolle zugebilligt, wie James feststellt, für das alltägliche Funktionieren der deutschen Kriegswirtschaft, etwa zum Bezahlen wichtiger Rohstoffe wie Chrom und Eisenerz, war es aber unerläßlich. Das Deutsche Reich verkaufte Gold häufig unklarer Herkunft vor allem an die Schweiz und an Schweden, das Metall wiederum schmierte den Handel mit Drittländern und somit die deutsche Kriegswirtschaft. Gold wurde ferner beim Unterhalt von Vertretungen im Ausland und der Bezahlung von deutschen Agenten eingesetzt. Große Edelmetallbestände waren der Wehrmacht bei der Besetzung fremder Länder in die Hände gefallen, ein Teil konnte nach dem Krieg an diese zurückgegeben werden. Um die Herkunft der Beute zu verschleiern, wurde das „Raubgold“ in Berlin zu Barren umgeschmolzen und mit der Jahreszahl 1935 versehen. Doch auch andere, schreckliche Quellen wurden genutzt. Denn „die Reichsbank beteiligte sich auch an dem verwerflichen und verbrecherischen Geschäft, das den Insassen und Opfern der Konzentrations- und Vernichtungslager geraubte Gold zu verwerten. Als die Hauptgewölbe der Reichsbank Anfang 1945 geräumt und sein Inventar in ein Salzbergwerk im thüringischen Merkers eingelagert wurde, befanden sich darunter nicht nur 4 173 Beutel mit Goldbarren, sondern auch 207 Behälter mit Gold, Silber und Juwelen, zusammengeraubt von der SS.“ So wurden, wie James zusammenfassend schreibt, die Tresore der Reichsbank schließlich „zum Depot der grausigsten und vielleicht auch bezeichnendsten Relikte des ,Dritten Reichs‘, des Zahngoldes, das aus den Mündern der Opfer stammte ... Der Neubau der Reichsbank war zu einem zentralen Element im Herzen der Finsternis geworden. Eine solche Entwicklung hätten sich die Gründer der ursprünglichen Reichsbank 1876 nicht träumen lassen.“


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 06+07/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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