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Roland Berbig

„Ich bedaure dann, daß [...] ich Euch nicht genug sein kann“
Friedrich Eggers - Kunsthistoriker, Redakteur, Vereinsgründer und ein schwieriger Freund Theodor Fontanes

 

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Theodor Fontanes Begabung zu Freundschaft war unausgebildet. Anziehend und gesellig, wenn er wollte, in hohem Maße, hatte er zu keinem Zeitpunkt seines Lebens Mühe, Menschen zu finden, die ihm zugetan waren. Seine natürliche Ausstrahlung und die Gabe zum Gespräch erleichterten ihm persönliche Kontakte. So knauserig das Leben zeitweilig, ja über lange Jahre mit ihm umging und ihn kurzhielt, so großzügig standen ihm individuelle Mittel zur Verfügung, die er, wie der Volksmund sagt, der Natur, dem lieben Gott verdankte. Und wir wissen es, was wir haben, ohne uns darum sonderlich bemüht zu haben, nehmen wir als selbstverständlich. Wir verfügen darüber, als ob es weniger Wert hat als andere, oft mühselig erworbene und beherrschte Fähigkeiten. Leichtfertig spielen wir damit und vermögen uns nicht vorzustellen, daß es irgendwann an einem beliebigen Tage verlorengeht.

Freundschaftsfähigkeit - Fontane hatte sie kaum, der Mensch, den ich hier etwas näher vorstellen möchte, hatte sie in einem übergroßen, ja beängstigenden Maße. Und er gehörte zu den seltenen Naturen, die diese Gabe zu schätzen wußten: Friedrich Eggers. Eggers stellte sein ganzes Leben geradezu auf diesen Fuß, er ordnete ihr alles zu - ja, häufig ordnete er ihr auch alles unter. Alles durfte leiden, konnte hintenan gestellt werden, nicht die Freunde, von denen er umgeben war und die sich zu einem bunten Kreis zusammenfügten, der in der Besetzung wechselte, aber nie in seiner Haltung zu dem Zentrum, seinem Spiritus rector - eben Friedrich Eggers.

Es geht uns mit Menschen wie Gegenständen, denen wir größere Aufmerksamkeit widmen. Je mehr wir uns mit ihnen befassen, je näher wir ihnen treten, um so mehr fällt uns an ihnen auf, um so komplexer wird das Bild, das wir uns zu machen haben - und wir entdecken eine Welt, wo wir anfangs nicht viel mehr als ein kleines Terrain erwarteten. Ein Terrain im übrigen, das wir gerne als Ganzes nehmen, und wir wollen nicht billigen, daß da noch anderes, uns unbekanntes, auch immer unbekannt bleibendes Land ist.

So ist es mir gegangen mit dem Kunsthistoriker Friedrich Eggers. Ich nahm ihn, wie ihn mir Fontane überliefert hat: als Tunnelmitglied, als Rütlione, als einen Mann also, den Fontane in den geselligen und literarischen Kreisen traf. In seinen Lebenserinnerungen Von Zwanzig bis Dreißig porträtierte Fontane Eggers nämlich weitgehend in dieser literarischen Vereinswelt. Es ist das Bild eines Sonderlings, den eines vor allem auszeichnet:

Er war nämlich, weit über seine Kunst- und Literaturveranlagung hinaus, allem anderen vorauf ein Gesellschafts-Genie, das, in einem mir nicht zum zweiten Male begegneten Grade, die Gabe besaß, nicht bloß Vereine zu gründen, sondern auch durch Anwerbung neuer Mitglieder und Aufstellung neuer Programme den etwas matter werdenden Pulsschlag sofort wieder zu beleben. Er war ein großer Organisator im kleinen, eine Art Friedens-Carnot, unerschöpflich in Hülfsmitteln.1

Und dann erzählt Fontane die Geschichte, wie Friedrich Eggers im 1870/71er Krieg die Soldaten an der Front mit Paketen versorgte und dabei zum Verpackungskünstler wurde, und wie er aufopferungsvoll alle erdenklichen Fäden von dort in die Heimat knüpfte. Allen voran und bevorzugt für seine mecklenburgischen Landsleute. „Damals“, so Fontane, „hab ich ihn lieben und bewundern gelernt.“2 Damals, so dürfen wir an dieser beiläufig eingeflochtenen Bemerkung einhaken, vorher also nicht?

Eher am Rande erwähnt der sich Erinnernde das literarisch Künstlerische, das sei neben den Gaben der Güte, der Liebenswürdigkeit, ja der äußeren Schönheit verschwunden. Dabei verhehlt Fontane nicht seinen früheren Ärger, in Eggers einen anmaßenden Konkurrenten auf dem Feld der aus der englischen und schottischen Stoffwelt gespeisten Balladik gehabt zu haben, der durch seinen „improvisatorischen Charakter“3 aus der hohen Kunst eine Kunstfertigkeit gemacht habe. Wo er, Fontane, lange gefeilt und getüfftelt habe, wo es ihm um ästhetische Vollendung gegangen sei, da habe Friedrich Eggers die halbe Stunde vor der Tunnel-Sitzung oder die Nacht zuvor genutzt, um rasch etwas aufs Papier zu werfen. Unwürdig! Ein Gedicht nur, ein einziges läßt Fontane gelten - und das hängt wiederum mit dem Deutsch-Französischen Krieg zusammen. Es ist Winter 1871 entstanden und trägt den bezeichnenden Titel Die Fahne vom 61. Regiment. Und er steht nicht an, in seinen Erinnerungen den kompletten Text des Gedichtes mitzuteilen:

Wo ist die Fahne geblieben
Vom einundsechzigsten Regiment?
Im Kampf umhergetrieben,
Wo er am allerschwülsten brennt.
Kaum war der Streit entglommen,
Sie wehte straff, sie wehte hoch,
Die Wogen gehn und kommen,
Und immer steht sie noch.

Ihr habt sie sehen sinken,
Doch sich erheben bald darauf
Und immer wieder winken -
Zuletzt da stand sie nicht mehr auf.
„Wo ist sie hingekommen,
Barg sie der Feind in seinem Zelt?“
Er hat sie nicht genommen,
Er fand sie auf dem Feld.

Sie war zerfetzt, zerschossen,
Die Stange gebrochen und angebrannt,
So gaben sie die Genossen
Von sterbender Hand zu sterbender Hand.
Es deckt sie im Todesmute
Mit seinem Leibe Held auf Held -
So lag in deutschem Blute
Sie auf dem Frankenfeld.4

Das fand Fontane schön, das fand er ergreifend - uns ergreift es nicht mehr, schön werden wir es nicht finden. Über den Mann, der es verfaßte, erfahren wir nichts, beinahe nichts. Wir bekommen Fontanes Porträt, keine ausgewogene Darstellung von Friedrich Eggers. Wir bekommen eine Karikatur, treffend in der Linienführung, nicht ohne ein Moment des Wohlwollens, der Wiedererkennenswert steht außer Zweifel, doch die Person, die Persönlichkeit, die sich dahinter verbirgt, wird verfehlt. Wird man auch nicht von Entstellung sprechen wollen, so kommt das Ganze doch nicht über eine problematische Verzeichnung hinaus. Oder geht hier zu weit, wer Friedrich Eggers zu nah kam?

2

Ich kann nicht, was Fontane konnte und was er beabsichtigte - nämlich ein Porträt Friedrich Eggers’ nach dem Vorbild, dem Urbild geben. Das Leben, dem ich bei meinen Recherchen begegnet bin, war Papier, es war Bild geworden. Die Zeugnisse, die sich erhalten haben, mußten stehen für eine Gegenwart, die seit über einem Jahrhundert Vergangenheit ist. Vergegenwärtigung war die Aufgabe, vor die ich mich gestellt sah, über die ich aber auch Rechenschaft abzulegen hatte. Lohnt es, muß sich der Forscher fragen lassen? Reicht es nicht, was uns Fontane - Karikatur hin, Verzeichnung her - hinterlassen hat? Ist seine amüsante und griffige Formulierung über jenes fremde Leben nicht das Eigentliche, warum umständlich nach einer Person fahnden, die doch offenbar kein gültiges Werk hinterlassen hat - deren Gedichte wir nicht kennen, deren andere Lebensäußerungen uns nur der Zufall in die Hand spielt? Wo wir auf Friedrich Eggers stoßen, unterrichtet uns doch eine Fußnote hinlänglich über dessen Lebensdaten: 1819 geboren, 1872 gestorben. Und sollte unser Vertrauen in Fontanes Urteilsgabe nicht stärkeres Gewicht haben als diese vergessene Biographie, ohne Autorität, ohne Glanz?

Natürlich liegt in jeder soeben ausgesprochenen Formulierung der Widerspruch: Nein, wir wollen wissen. Jeder Mensch ist wichtig, jedem ist Eigenwert zuzusprechen - wir sind gefordert, wir wollen gerecht sein, Fontane mußte es nicht sein. Wir sind die Nachwelt, er war die Mitwelt. Was diese darf, ist jener untersagt - vorausgesetzt, sie hält etwas auf Anstand und auf Redlichkeit.

Erlauben Sie im Folgenden eine Zweiteilung. Ich möchte Sie im ersten Teil in einige Lebenswelten führen, in denen Friedrich Eggers beheimatet war, die er sich eingerichtet hatte und in denen wir ihn finden, ohne daß sich Fontanes Urteil einfärbend darüber legt. Im zweiten Teil will ich Fontane und Eggers wieder zusammenführen und noch einmal abwägen, was diese Beziehung ausmachte, was ihr Licht, was ihr Schatten war.

2.1 Friedrich Eggers’ Lebenswelten

Regional betrachtet ist Eggers’ Lebenswelt, der er bis zu seinem Tod in Liebe verpflichtet blieb - Mecklenburg und da die Stadt Rostock, eine Hansestadt, die bis heute ihr eigenes Flair bewahrt hat. Dort wurde er in eine Kaufmannsfamilie hineingeboren und wuchs in einer Geschwisterschar auf, der er eine Treue hielt, die durch endlose, bis heute noch nicht umfassend gesichtete Berge beschriebenen Papiers bezeugt ist. Er blieb Kind dieser Familie bis zu seinem Lebensende. Den Sohn legte er nicht ab, den Bruder nicht, auch nicht den Vetter oder Onkel - wenn er einem Halt in seinem gebrechlichen Dasein vertraute, beinahe blind vertraute, dann war es das Eingebettetsein in die familiäre Gebundenheit.

Dabei war er, recht besehen, ein entlaufener Sohn, der keineswegs gewillt war, Familienwillen zu erfüllen. Der sah im Erstgeborenen natürlich den Nachfolger im kaufmännischen Gewerbe, dessen Platz nirgendwo anders sein konnte als in der Ostseestadt, deren Aufblühen Familiensache war. Und ebenso natürlich sah man in dem Jungen, der dort am 27. November 1819, im selben Jahr also wie Fontane, geboren und auf die Namen Hartwig Karl Friedrich getauft worden war, auch den Stammhalter, mit dem der Familienname würdig fortgepflanzt werden sollte. Doch Friedrich Eggers stand weder nach dem einen noch dem anderen der Sinn. Ohne Übermut, ohne jugendliche Empörung, eher schicksalhaft.

Denn der Sohn unterließ es nicht, die ersten Jahre als Jugendlicher im elterlichen Sinne zu verbringen, das ging so weit, daß er viereinhalb Jahre Kaufmannslehre in Kauf nahm, und das ging später so weit, daß er, erwachsen und in die Jahre kommend, zahllose Versuche unternahm - tatsächliche oder fingierte sei hier dahingestellt -, eine „Frau fürs Leben“ zu finden. Aber aus ihm wurde weder ein zünftiger Kaufmann noch ein bedächtiger Ehemann, der einer stetig wachsenden Kinderschar vorstand. Was dazwischenkam, war die Kunst. Und die Kunst übernahm auf ihre Weise das Regiment, geheimnisvoll, auf verwickelten Wegen, aber stetig. Sie wurde die Größe, der sich Eggers unterwarf, weil er in ihrer Welt die Welt entdeckte, die er als seine begriff. Aber sie sollte sich als eine sperrige Größe erweisen, als eine, die nur erkennt, wer sich ihr uneingeschränkt offenbart. Und dieses Sich-uneingeschränkt-Offenbaren war Friedrich Eggers’ Sache nicht, er mußte es lernen - die Lebenszeit, die ihm dafür gegeben war, war kurz, vielleicht zu kurz.

Was Eggers früh erkannte, war die Lust an der bildenden Kunst und die Lust am Schreiben, am Dichten. „Wer Gott fürchtet, kennt keine Menschenfurcht“ - so hieß seine erste Erzählung, da war er 15, die Jugendzeitschrift „Iduna“ verlieh ihm einen Preis dafür. Aber was er als Ermunterung hätte nehmen können, als Fortsetzungsschub, das wirkte so nicht. Unentschiedenheit, diese Eigenschaft sowohl starker als auch schwacher Naturen, sie diktierte Eggers’ Lebensweg - ohne Gnade und mit einer Verlässlichkeit, die einem Fluch gleichkam. Eggers fühlte die literarische, er fühlte die künstlerische Ader, aber er ließ ihr nicht den freien Lauf, den sie benötigt. Er mißtraute ihr, wie er sich zeitlebens mißtraute. Oder die Kunst fand bei ihm nicht den Lauf, ohne den sie versiegt oder immer wieder vom Versiegen bedroht ist. In dem Maße nun, wie sich Eggers von der Kunst als Inhalt seines Wunsch-Lebens angezogen fühlte, in dem Maße suchte er Umgang mit jenen, die sie betrieben: die mit ihr auf vertrautem Fuß standen, sie lebten, sie lehrten oder die wie er tief gewillt waren, sie zu erlernen.

Die Studien, die 1839 begannen, über Rostock, Berlin, München, Leipzig führten und erst 1848 mit der Promotion ein akademisch beglaubigtes Ende fanden, standen unter dem Stern von Freundschaften. Die künstlerischste, die poetischste dieser Freundschaften verband ihn mit Joseph Viktor Scheffel. Der Dichter, der nach 1850 mit dem Trompeter von Säckingen, mit seinen Studentengedichten und mit dem Ekkehard einen Erfolg hatte, der keinem mehr so recht begreiflich zu machen ist, schreibt Mitte Oktober 1844 aus dem heimischen Karlsruhe an Eggers:

Mein treugeliebter Friedrich!
Heute sind es schon 5 Wochen, daß wir zum letztenmale zusammen durch Münchens Straßen zogen - Arm in Arm und Herz an Herz, und nun liegt die weite Entfernung zwischen uns - Du an der Elbe, ausruhend von den philosophischen Vorträgen und Zweckessen - ich in meiner alten grünen Stube in der alten grauen Vaterstadt - und wenn ich hinausschaue, so hat die Natur schon einen gelben Rock angezogen, die Blätter fallen von den Bäumen - o das erinnert mich an unser Zusammensein - es war ein schöner Sommer, aber es ist auch ein Blatt nach dem andern von dem stolzen Baum der Wirklichkeit abgefallen, und itzt sind wir auseinander, ein jeder „ein entlaubter Stamm“, wie ich so oft zu sagen pflegte. O mein treuer Friedrich! Du bist, wie immer, mir ein Muster in allem, - während ich, Dein Junge, durch die lange Zeit unserer Trennung keine Silbe an Dich geschrieben - und all die Gedanken an Dich, wie sie mir kamen, wieder habe enteilen lassen, so denkst Du allüberall an mich und sendest mir zum Zeichen daran die schriftlichen Boten, die mir Kunde brachten von den Freuden und Leiden allen in Böhmen und dem größtenteils traurigen Marschieren meines Liebsten.5

Eggers, durch seinen späten Studienbeginn ja ohnehin der Ältere, erscheint hier schon in der Rolle, die ihm zur Lebensrolle wurde, die er spielte und liebte, in der er sich verbarg und in der er sich offenbarte, die ihm zur zweiten Haut wurde, die aber, wo sie verletzt wurde, ganz und gar riß und das Bild auf einen Schutzlosen freigab: Es ist die Rolle des Kunst- und die des Lebenslehrers, der jeden Ort seiner Welt in einen geselligen Bildungsverein umformte, in dessen Mitte er dozierend und wertend wandelte. Diese Welt hielt, solange sie nicht bezweifelt wurde. An nachwachsenden jungen Leuten hatte es nie Mangel.

Scheffel der Süddeutsche, Eggers der Norddeutsche - Eggers hat diese Grenzgängerei geliebt, hat mit ihr wie mit dem Feuer gespielt und sich an ihr, immer wenn er ihre Gesetze mißachtete, die Finger verbrannt. Die Wurzeln, die er nach dem Studium schlug, schlug er in Preußen. In Berlin absolvierte er die letzten Semester, schrieb für Tageszeitungen und stieß zum literarischen Verein Tunnel über der Spree, wo ihn Theodor Fontane einführte. Wie und wo er ihn kennengelernt hatte, läßt sich nicht mehr recht ermitteln. Seine Dissertation war der Blick Scheffels - hier geworfen nicht in den persönlichen, den privaten, sondern in den wissenschaftlichen Spiegel: Die Kunst als Erziehungsmittel für die Jugend (als zweiter Titel kursiert, nicht minder bezeichnend: Von der erziehenden Macht der Kunst für die Jugend). „Nicht mehr quält mich, was meine Jugend mir trübte, / Grausame Wahl des Berufs; - nun bin ich berufen / Zu der schönsten Lebensarbeit - zum Lehren“ (aus seinem Gedicht: Lobgesang6), wird er später, Mitte der sechziger Jahre, dichten. Da ihm Kunst zu praktizieren Schranken setzte, setzte er sich über sie hinweg, indem er eine schrankenlose Lehrtätigkeit begann. Für sie tastete er die Lebensräume ab, die ihm die preußische Metropole bot, und er war lange Jahre bereit, sie auf allen möglichen Feldern aufzuspüren. So hatte er schon während des Studiums begonnen, kunstwissenschaftlich zu rezensieren, Artikel zu schreiben, Artikel im übrigen, die bald andere Gebiete einbezogen und besonders das der Politik. Wir bewegen uns im Vormärz, Eggers war ein Mann des Vormärz, kein Radikaler, aber einer der Reformen. Er stand im dreißigsten Jahr, wenn Lebensentscheidungen zu fällen waren, dann jetzt. Die Familie drückte behutsam, sie wollte den Sohn und Bruder in hellem Licht sehen - und in manchem Brief, den Eggers nach Rostock sandte, polierte er das, was er tat, etwas auf. Vor einem Quäntchen Übertreibung der eigenen Bedeutung war Eggers nicht gefeit.

Im Revolutionsjahr 1848 mußte sich für Eggers etwas entscheiden - sollte er, was er erwog, an eine Zeitung gehen, um sich auf dem Gebiet des Feuilletons zu profilieren, oder sollte er eine Lehrtätigkeit anstreben? Wenn ja, wo? Erst einmal jedoch griff er in die Märzereignisse ein, indem er eine Waffe ergriff - freilich genehmigt und in den Reihen der Bürgerwehr und mit dem Ziel, Ruhe wieder als die erste Bürgerpflicht in Rang und Würden zu setzen. Daß er dabei mit der Macht, der politischen Macht in Berührung kam, scheint wie eine Prophetie. Friedrich Wilhelm IV. inspizierte das Schloß und richtete sein Wort an den Posten stehenden Eggers! Der hatte danach natürlich nichts Eiligeres zu tun, als das Gespräch im Wortlaut nach Hause zu melden:

„König: Wie ist Ihr Name?
Ich: Eggers.
König: Was sind Sie für ein Landsmann?
Ich: Ein Mecklenburger.“ [daraufhin nannte einer aus dem Umfeld des Königs den Namen von Eggers’ Vater, darauf der König:]
„Sieh, sieh! is nich möglich!“7

Lebenseinschneidend war für Eggers jedoch nicht diese Begegnung, sondern die Bekanntschaft mit Franz Kugler, dem Dichter, dem Geheimrat und dem Kunstreferenten am Kultusministerium. Der erkannte in Eggers die Begabung und die Ambition, Kunstangelegenheiten als allumfassende, als ganzheitliche für Staat und Nation, für den einzelnen wie für das Gemeinwesen zu begreifen - und den lebhaften Wunsch, das in Würde und Respekt zu propagieren. So entstand die Denkschrift über die Reorganisation der Kunstverwaltung im preußischen Staat, und so kam Eggers in sein viertes Lebensjahrzehnt. Über ihm liegt Glanz - und der Glanz hat Namen: das Deutsche Kunstblatt, später das dazugehörende Literaturblatt, Feuilleton der offiziösen Preußischen Zeitung während der Neuen Ära, deren Politiker Eggers in ihre Preßgeschäfte einbeziehen. Der Ton, den Eggers nun anschlug, ist bezeichnend:

[...] ich habe immer die Vorstellung in Gedanken, daß ich der Einzige in Deutschland bin, der ein solches Blatt [gemeint war das Deutsche Kunstblatt - d.Verf.] redigirt, daß ich also die große und wichtige Pflicht habe unser ganzes liebes Vaterland würdig zu vertreten u. in dem Blatte vertreten zu sehen.8

Das war edel gedacht und gut geschrieben. Nun war seine Stimme multipliziert worden, er kam sich vor, als wäre er am Zuge: „Ich sag’ immer: Pfleget die Künste!!“, rief er seinen Verwandten stellvertretend für die Menschheit, wenigstens die deutschsprachige Menschheit, zu: „Es ist Gottesdienst!“9 Berlin, so empfand er, so vertrat er, sei nun sein Sitz, weil es „einer der Orte großer künstlerischer Produktion“ sei, hier habe auch „die größte literarische Thätigkeit im Kunstgebiete ihren Sitz“.10 Ein Brief an die Eltern - geschrieben am 9. November 1853 - verrät, mit welcher geballten Energie er Profil gewinnen wollte und mit welcher Entschlußkraft er das als Selbstanspruch formulierte:

Ich brauche eins [gemeint ist ein Feuilleton - d. Verf.]; ich will mich dem gebildeten Publikum dorten mittheilen, ich will ein Organ haben, ich will wissen, wohin mit den Arbeiten meiner Freunde und will damit eine Wirksamkeit ausüben.11

Hier nun müßten die Kreise, die Eggers organisierte, nachdem er sie ins Leben gerufen hatte, die er vorantrieb und auf Produktivität trimmte, zur Sprache kommen - hier müßte also auch von Fontane die Rede sein, der in ihnen verkehrte und der in den fünfziger Jahren auf vielfältige Weise mit Eggers zu tun hatte. Mit gemischten Erfahrungen, wie wir sehen werden.

Das Stichwort Neue Ära ist gefallen. Es war sein Stichwort, auf das er, wenn auch nur kurze Zeit, setzte:

Meine Freude über den Ministerwechsel ist eine ganz uneigennützige. Mir wird wirklich wenn ich die Kunstangelegenheiten im Staate schlecht gehen sehe weit mehr innerlich gram, als wenn ich sehe, daß es mir schlecht geht.12

Am Ende ist nicht viel geworden damit, und das wenige, der kleine Rang, der Eggers gebührt, ist hinweggefegt von einer Geschichtsschreibung, deren Weiträumigkeit ohne Geduld und ohne Vertrauen auf das Kleine ist. Eine Zeitlang gehörte Eggers zum Presseberaterkreis um Max Duncker. Kunst, Freundschaft und Pädagogik, vielleicht - halbherzig, liberal-konservativ, gegen Lebensende wohl ganz und gar konservativ - Politik: Das waren die Lebensachsen, um die sich Eggers’ Bahn bewegte.

Wo er Kunst praktizierte, kamen nicht viel mehr als Achtungserfolge heraus: als Librettist zu Wilhelm Tauberts Oper Macbeth 1857 zum Beispiel (hier zog Eggers sogar im Zorn und in letzter Minute seinen Namen zurück, als er mitbekam, daß der Komponist unabgesprochen Änderungen am Libretto vorgenommen hatte) oder bei seinem Text zur Kantate auf der Gedächtnisfeier für den Bildhauer Christian Daniel Rauch, und seine Novelle Die Reise ins gelobte Land - 1864 in Westermanns Monatsheften - hat nirgends eine Spur hinterlassen und wird, wenn überhaupt, so am Rande erwähnt, daß es einer Einladung zum Vergessen gleichkommt.

Wo Eggers aber über Kunst parlierte, hörte man auf ihn - und zwar nicht nur so lange, wie er das Kunstblatt redigierte und sein eifrigster Autor war. Den wichtigsten Künstler- , Kunst- und Architektur-Verbänden und Vereinen gehörte er nicht nur an, sondern hatte Stimme und Sitz in ihren Vorständen. Es ist eine unerledigte Aufgabe, diese Seite seines Wirkens einmal gründlich unter die Lupe zu nehmen und zu wägen. Auf diesem Terrain nämlich errichtete er auf eine elend mühselige Weise sein Haus. Und für dieses Haus arbeitete er zäh, gleichsam von der Pike auf: in Form von Vorträgen und Vorlesungsreihen, Kontakten zu bildenden Künstlern, kunstpolitischen Referaten. Man muß sich das so quälend vorstellen, wie es klingt. Eggers verbrachte Jahre damit, Vorlesungen für ein gemischtes Publikum anzubieten, auf dessen Zahlungen er angewiesen war. Ohne seine Familie wäre Eggers außerstande gewesen, bis zu seinem 44. Lebensjahr eigenständig für sich zu sorgen. 1863 endlich erhält er eine Anstellung an der Akademie der Künste, die ein paar Monate - natürlich ohne ordentliche Bezahlung - auf Probe lief, um an seinem Geburtstag, also am 27. November 1863, in eine Professur umgemünzt zu werden. „Herzlichsten Glückwunsch zum Professor“, rief ihm Fontane zu, „Gut ist gut und besser ist besser.“13 Wäre seine Vortragsweise nicht so populär gewesen, dann hätte Eggers das fünfzigste Jahr erreicht, ohne angemessen „untergebracht“ zu sein. Vier Vorträge, die 1867 in gedruckter Form erschienen, über Thorwaldsen, Schinkel, Rauch und die neuere Bildhauerei, konsolidierten und dokumentierten diesen Teil seines an Ruhm dürftigen Berufslebens.14

Dürftig ja, stünde da nicht am Ende seines Lebens eine Art doppeltes Happy-End, oder doch etwas, das wir geneigt sind, so zu nennen: Ende 1869 erreichte Eggers eine Einladung, den Großherzog Friedrich Franz, der sich in Rom aufhielt, vor Ort über Kunst und Kultur der italienischen Hauptstadt zu unterrichten. Auf diese Weise sah Eggers, worüber er seit Jahr und Tag ausgedehnt öffentlich sprach: die antike römische Welt.

Die Sonne lag auf Rom. Da war nun der volle Frühling im Gange, der schönste, reichste Rasen, Palmen und Aloe, die Bäume im frischen Frühlingsgrün. So sieht man hinüber und sieht den St. Peter im Dufte ragen. Ein einziger Anblick. Mit diesem Morgengang kann ich sagen bin ich wirklich im Süden. Die Vögel sangen zu den Lämmerwolken auf. Dies war wieder einer jener Prachtaugenblicke, wie sie plötzlich auf so einer Reise auftauchen mit der Gewißheit, nicht wieder vergessen zu werden. [...] Dann schlug ich eine Orientierungsfahrt nach Bädeker vor, welche von dem großen Führer Dick mit Wonne angenommen wurde. Via Cosso herab, dann hat man das neue Rom durchschritten und kommt gleich in die antike Trümmerwelt. Am Colosseum stiegen wir ab und traten hinein, ebenso an St. Marie maggiora, dann über das Trajans-Forum nach der andern Seite des Tiber und auf den Petersplatz. Wir traten in St. Peter ein und blieben längere Zeit. Wie wächst er im Bleiben. Eifernd denkt man, wohl öfter solche Räume an Größe gesehen zu haben. Aber man geht und geht und hinter Euch hüllt Euch es wieder in Duft; es ist erstaunlich!15

Und im Mai 1872, eigentliches Happy-End, wurde Eggers zum Leiter der preußischen Kunstangelegenheiten ins Kultusministerium berufen. Sein Erfolg bei der Gestaltung der Prachtstraße anläßlich des Empfangs der preußischen Truppen nach dem Krieg gegen Frankreich in Berlin hatte ihn namhaft gemacht - er war das geworden, was man „ministerabel“ nennt. Seine Zusage - nach Zögern übrigens - führte zu Wochenzettel-Notierungen, denen Glück nicht abzulesen ist:

[Mittwoch, 5. Juni 1872]
Ich lerne niemals das „Verfügen“. Es ist nicht zu behalten.
[Donnerstag, 25 Juli 1872]
[Die Sitzung beim Minister - d. Verf.] die reine Qual. [...] Ich konnte die Augen nicht mehr aufhalten und kämpfte den äußersten Kampf. Lauter gänzlich intresselose Dinge, wobei ich von 12-3 festgenagelt sitzen muß. [...] Verdruß über die verlorene Zeit.
[Sonnabend, 27. Juli 1872]
Ich gehe in’s Ministerium. Wieder einmal ein unfördersamer Morgen. Akten über Akten und mit keiner Sache von der Stelle zu kommen. Ich bewundere nur den satanischen Gleichmuth, der sich meiner schon dabei bemächtigt.

Eher Ausnahme ist ein Bericht, wie er sich unter dem 18. Juli 1872 findet:

Endlich wieder Vortrag beim Minister, der mich Stunde lang sprechen läßt und dabei unverwandt mit seinen braunen Augen anschaut. Und wenn ich dann endlich ende und die etwa 3 einzuschlagenden Wege zur Auswahl vor ihm ausbreite, dann sagt er: „Ja, dann thun Sie, was Sie für das Beste halten.“ - Punktum -.16

Das Glück, war es Glück? Jedenfalls war es kurz. Magenkrämpfe und qualvoller Kopfschmerz, dessen Ursache nie erkannt wurde, vergällten Eggers den Alltag, ihre Zunahme signalisierte das Ende. Zusammenbrüche blieben nicht aus, mehr als einmal mußte er vor der Zeit nach Hause gebracht werden. Am 11. August endete dieses Leben, beklagt und betrauert von einer ungewöhnlich großen Schar Menschen, die den Mann ohne „Lebenswerk“ geliebt hatten, denen er Lehrer, Freund, vielleicht Geliebter gewesen war. Scheffel, der Freund aus den Studientagen, schrieb:

Es ist mir, als wäre ein Stück von mir selber begraben, denn wir haben unsere Studienjahre in idealer Liebe zur Kunst und idealer persönlicher Freundschaft verlebt und in München wie Berlin Stoffe und Gedanken gesammelt, die weit in das spätere Leben hineinreichten.17

Und Fontane? Fontane schilderte in der Vossischen Zeitung die Überführung des Eggerschen Sargs nach Rostock, zurückhaltend anteilnehmend - ohne persönliche Anteilnahme. Mit der Person, die zu Grabe getragen wurde, verband ihn viel - Persönliches, Freundschaftliches am Ende wohl kaum noch. Paul Heyse kam, wenn er am 15. August 1872 an Fontane schrieb „[...] doch ist mir selten so wie diesmal alles eigentliche Schmerzgefühl in eine gewisse wehmütige Freudigkeit untergetaucht, daß ich dem treuen Gefährten, der sich so ohne Abschied empfohlen, fast mit einem stillen Neide nachblicke“, kaum über Sentimentales hinaus. „Laß mich ja lesen, was Du etwa über unsern ,Friede‘ schreiben wirst. Ich bringe so etwas nicht zustande.“18 Fontane ging es, genau betrachtet, nicht viel anders.

Eggers Lebenswelten: Lebenswelten, das war das Wort, das ich anfangs gewählt habe. Zu ihnen gehört, worüber bisher nur beiläufig etwas gesagt wurde. Eggers lebte, unverwechselbar in seiner Gestalt, in seinen Sonderlich- und in seinen Liebenswürdigkeiten. Die publizierten Texte, das ist zu sagen, spiegeln nicht, was sein Leben war. Die Nachwelt läßt, was Eggers hinterließ, nicht gelten - zuviel wird ihr zugemutet, zu ungewiß, was es bringt: Papierberge, beschrieben mit kleiner, enger, schöner Schrift. Immer gerichtet an jemanden - die Familie, Freunde, Bekannte. Wer seinen Nachlaß in Rostock und Kiel sichtet, seine Bestände in ihrer Ganzheit als materialisierte Lebenszeugnisse aufnimmt, der bekommt einen eigenen Begriff von Eggers, ein Spiegelbild, das verschwimmt, je näher man herantritt. Eggers überantwortete sich nicht einer Nachwelt als Richtmaß, nicht ihr galt seine Aufmerksamkeit. Das Chaos, als das der Nachlaß erscheint, es ist ein getreues Selbstporträt, es ist ein Bild, das Eggers hinterlassen wollte. Wenn ihm an einem „Werk“ gelegen war, dann an einem für seine Gegenwart, für die eigene Zeit, im eigentlichen Sinne für die Menschen, die er als sein Leben begriff. Für uns nicht. Zu versäumen, einen - vielleicht - unsterblichen Vers auf das Papier zu bringen, war ihm verzeihlich, einen Gefährten ohne Geburtstagsgruß zu lassen, nie. An der Rauch-Biographie, die sein Bruder Karl dann mit Aufwand, Energie und Zuneigung aus dem Papierwust schälte, saß er wie an einem work in progress - wo er schrieb, ohne den Widerhall von Freundlichkeit und Freundschaft zu hören, trocknete die Feder ein oder flog in einer ziellosen Unaufhörlichkeit über das Papier: als verfolgte sie keinen anderen Zweck, als die Zeit des Alleinseins zu überbrücken.

Ohne sich in lebendigen Beziehungen zu wissen, war Friedrich Eggers unfähig zu arbeiten, zu dichten, zu schreiben oder zu reisen. Einen Tag, ach, einen halben Tag in Rom allein, und Rom war ihm verleidet. Die bildende Kunst seiner Gegenwart, die ihn beschäftigte, faszinierte ihn dort am meisten, wo eine Bekanntschaft mit den Künstlern wie ein schlagendes Herz ihr Seele gab. Im Kunstblatt richtete er eine Rubrik ein, die unter der Überschrift Werkstattbesuche stand. Das war es, was Eggers liebte. Hier ahnte er den Geist aus der persönlichen Aura, die dessen künstlerische Arbeit umgab. Hier wollte er sein Herz öffnen, weit, ungeschützt und arglos, so arglos, als habe er sich gar nicht vorstellen können, daß jemand diesen Grad der Nähe nicht wolle und unter ihm eher leide, als sich an ihm zu freuen. Wichtig war ihm, im Tunnel ein Gedicht zu lesen, wichtig war ihm, den Tunnel mit sich verbunden zu fühlen in diesem Moment - wichtig war ihm nicht, die poetische Instanz des Tunnel herauszufordern oder sich ihr zu stellen. Kunst war ihm Mittel zum Zweck, nie Zweck, für das er nach Mitteln suchte: Er brauchte Menschen, er gebrauchte sie nie, schon gar nicht zu „Höherem“, und ganz und gar nicht für seine Karriere, sein Fortkommen, seinen Ruhm. Friedrich Eggers scharte um sich Lernwillige, er lehrte und bildete sie und glaubte, allein durch diese Arbeitswelt, die ihm ausschließliche Lebenswelt war, schon produktiv zu sein. Er staffierte die Räume, in denen er lebte, aus zu Kulissen von Wissen und Bildung, von ästhetischer Schönheit und schönem Schein - und verschwand in dem Gewirr der Beziehungsfäden, die er immer und immer wieder zu einem Knäuel aufrollen wollte. Doch wie sollte ein Knäuel möglich werden, wenn beständig neue Fäden aufgenommen und mit alten verflochten wurden? Berühmtheiten waren darunter: Paul Heyse, der bedeutende Novellist des 19. Jahrhunderts, Wilhelm Lübke, der populärste und geschmeidigste Kunstschriftsteller seiner Zeit, Adolf Wilbrandt, der kurz und intensiv als großer Dramatiker gefeiert wurde, der Architekt Richard Lucae, Heinrich Seidel, der Berlin-Erzähler ...

Ordnungswille, auf den sich Eggers kaprizierte, half nicht, jedenfalls nicht in der Weise, wie Eggers ihn praktizierte. Unter dem 18. Mai 1856 schilderte er seinem Vater Bilder seines Alltagslebens:

Ich stehe um 4 Uhr auf und bin 5 Uhr mit meinem Anzug fix und fertig. Dann nehme ich den Stock in die Hand und laufe nach Schöneberg. Das dauert bis 6 Uhr. Dann trink’ ich 2 Gläser kalte Milch und esse meine Semmel dazu und fange an, zu arbeiten. Das dauert bis 8 Uhr. Dann kommen die Zeitungen und Briefe und Geschäfte. Die treiben’s dann oft so weit, daß all meine gute Laune drauf geht. Erst abends gegen 6 oder 7 Uhr hab’ ich wieder Frieden. Dann schließ’ ich ab und laß keinen mehr rein. Oft auch schon um 5 Uhr. Da kann ich dann noch ruhig bis 9 Uhr arbeiten. Dann steig’ ich, wie ein altes Huhn, zu Bette.19

Seidel erzählte von jenem verwirrenden Kassensystem, das sich Eggers eingerichtet hatte, um seine unterschiedlichen Ausgaben zu koordinieren. Da konnte dann das Stiefelkonto einen Schuldschein vom Westenkonto bekommen, der bei der nächsten größeren Einnahme einzulösen war.

Diese Sonderlichkeit, besonders die der legendären bunten Westen, der auffälligen Kleidung und sein stetes Bedauern, daß er in einer Zeit lebe, wo farbige Stoffe zu tragen verpönt sei, berühren das Geheimnisvolle der Lebenswelt Eggers’. Der, der seine Freunde gerne umarmte und herzte, sie sogar mit „mein Schatz“ oder „mein Herz“ anredete, mußte mit einer „Unordnung“ seiner Liebesneigungen leben: in einer Zeit, die auf Verdrängung drängte, die Ehelosigkeit nahe an Ehrlosigkeit rückte. „Weiberregiment“, so Eggers, als er 1872 wegen jener Ministeriumsstelle gefragt wurde, habe er immer gefürchtet (WZ, 7. April 1872). Als ich mit dem Briefwechsel zwischen Friedrich Eggers und Fontane befaßt war, suchte ich lange vergeblich nach einem diesbezüglichen Wort. Man spielte die bemühte Arglosigkeit mit, Sonderling - ja, Homosexueller, Schwuler, Bisexueller - nein. Bis ich auf eine Untersuchung stieß, die Adolf Wilbrandts Geschichte Fridolins heimliche Ehe aus dem Jahr 1875 analysierte. Das war eine Erzählung, die mit erstaunlicher Beherztheit Eggers’ Neigung und Not schildert, freilich unter Benutzung von Entschärfungsmaßnahmen, die aber leicht die Codierung des bisexuellen Diskurses erkennen lassen. Ich zitiere die bezeichnende Passage. Fridolin alias Friedrich Eggers führt nach Wilbrandt Folgendes aus:

„Die [so bestimmten Menschen - d. Verf.] daher ihre Ergänzung - da ja jedes Geschlecht nach seiner geistigen Ergänzung strebt - sowohl nach rechts als nach links, sowohl beim Manne als beim Weibe suchen; deren seelische Magnetnadel bald nach dem Nordpol der Männlichkeit, bald nach dem Südpol des Weiblichen zeigt. Die man“ (Fridolin seufzte) - „die man leider tragische Erscheinungen nennen muß: denn sie suchen ihre Ergänzung, aber sie finden sie nicht. Suchen Sie den Mann? Nur die weibliche Hälfte ihrer Seele sucht den Mann. Die andere Hälfte nicht; sie hat den Mann in sich selbst. Suchen Sie die Frau? Nur diese andere Hälfte ihrer Seele sucht nach der Frau. Sie können sich nicht ergänzen, denn sie sind schon ergänzt. Sie sind mit sich selbst verheiratet. Sie leben mit sich selbst in einer heimlichen Ehe.“20

Wilbrandt, Freund von Eggers, habe in seiner „reizenden Geschichte“, schreibt Fontane in Von Zwanzig bis Dreißig, Eggers „frei nach dem Leben gezeichnet“.21 Wir sind bei Fontane angelangt, wir bleiben bei ihm - bei seinem Verhältnis zu Friedrich Eggers. Oder Eggers’ Verhältnis zu ihm?

2.2 Ein Jahrgang, zwei Welten: Friedrich Eggers - Theodor Fontane

Wie ist es denkbar, daß sich ein Leben von dem skizzierten Zuschnitt einpaßt in das von Fontane? Ist es überhaupt denkbar? Immernoch spüre ich den Wunsch, dieses Leben zu verteidigen gegen Fontane, der das letzte Wort gegenüber Eggers hatte - ein „Charakter wie zum Dilettantismus prädestinirt“, „ganz auf Zerstreuung“ seiner „Gaben gestellt“.22

Ganz hübsch, so Fontane, seien die Tunnel-Gedichte Eggers, den er in den vierziger Jahren dort traf, den er dort einführte, und meint: ganz hübsch unerheblich. Anfangs jedoch und über Jahre während ist Sympathie im Spiel, möglicherweise viel Sympathie. Sie wird erstmalig gedämpft, als Eggers 1848 „auf dem Punkt steht einer reactionairen mecklenburgischen Zeitung seine Feder zu leihen“: „Kann mich“, schreibt Fontane Lepel, „das gegen Champagner einnehmen, daß Andre begeisterte Weißbiertrinker sind“.23 Das hindert ihn nicht, sich von Eggers beim Verlag seiner Gedichte helfen zu lassen. Freilich ist er pikiert, als ihm Eggers 1850 - Fontane steckt in einer beruflichen Misere - rät, Bilderaufseher im Museum zu werden.

Du kennst doch die langweiligen Gesichter und die dünnen Leiber mit dem Bedientenrock drauf! Nächstens, wenn beim Latrinen-Personal ein altes Weib gestorben sein wird, werden sie mich fragen, ob ich nicht um ihre Stelle einkommen will,24

mokiert sich Fontane gegenüber Lepel. Den Tratsch, den Eggers anzieht und erzeugt, verbreitet Fontane mit oder läßt ihn sich von seiner Frau dankbar mitteilen; „... er scheint von seiner Reise nichts weiter mitgebracht zu haben, als eine brennend rothe Weste, die er am Donnerstag zu unser Aller Entsetzen, selbst dem, der milden Merckel anhatte.“25 - Er ärgert Fontane nicht und ist für ihn aber auch kein Grund, Schutz zu bieten. Ärger bekommen beide nur, wenn es um Eggers’ Redakteursverständnis geht. Da hört der Spaß auf. Ein Gutteil Verdruß, der später gehöriges Ausmaß erfahren soll, wurzelt hier. Als Fontane nach London geht, nimmt er freundschaftliche Schulterschläge von Eggers mit auf den Weg. Man mag sich, eher mehr als weniger, zumindest so sehr, daß Fontane im November 1856 ernsthaft vorschlägt, Eggers solle doch hinüber nach Britannien kommen. Sogar ein gemeinsames Wohnen ist - im selben Jahr - eine kurze Zeit im Gespräch. Eggers redigiert das Kunstblatt, in seiner Hand liegt das dazugehörige Literaturblatt, und die Geschäfte der Argo als Album für Dichtung und Kunst gehen weitgehend über seinen Tisch. Alle Bildbeschreibungen, Fontane spricht von „Bilderfracht“ und meint >Last<, stammen aus Eggers’ Feder. Fontane liest das Kunstblatt zeitweilig aufmerksam, aufmerksamer wohl, als man gemeint hat, denn als er 1862 über den Bildhauer Wilhelm Wolff einen biographischen Artikel zu schreiben hat, benutzt er nicht nur eine Arbeit von Eggers, sondern bedient sich ihrer fast wortwörtlich. Vielleicht lohnt es, einmal genauer nachzusehen, wo Fontane sich der kunsthistorischen und -kritischen Arbeiten des mehr geschmähten als geschätzten Vereinsgefährten annahm, um sie für Eigenes auszuschlachten.

Was er aus London noch zurückhaltend an Frust über redaktionelle Vernachlässigung durch Eggers äußert, führt 1858 vor Fontanes Rückkehr aus London und dann in Berlin zum offenen Streit. Eggers, der sich engagiert für Fontane bei Minister und ministeriellen Beamten verwendet, muß sich Fontanes Mißtrauen gefallen lassen - und läßt es sich auf eine merkwürdige Weise gefallen. Fontane schreibt am 1. Dezember 1858 an Lepel:

Im Vertrauen gesagt ich vermuthe, daß mein lieber alter Eggers mal wieder eine seiner glänzendsten Karten ausgespielt und vor versammeltem Rütli-Volk die Erklärung abgegeben hat: „hier hielt ich seine Ernennung zum deutschen Kaiser, 1355 rth. Gehalt, volle Pension, Amtsrock und freie Wohnung, aber denken Sie sich meine Herrn, er wollte nicht.“ Chor: Wehe, Wehe!26

Und nicht einen Monat später schläft er, nach Berlin heimgekehrt und noch ohne Wohnung, auf Eggers Sofa, geniert sich, Eggers so viel Zeit zu stehlen - und läßt sich von diesem das Feuilleton der Preußischen Zeitung (ein regierungsnahes Blatt, die Nachfolgerin der Zeit) mehr oder minder huldvoll antragen. Um wenige Tage danach sich über Eggers auszulassen, als sei der ihm schon immer gegen den Strich gegangen:

Eggers benimmt sich so ächt-eggersch d. h. so schnurrig und wunderlich, daß ich halb und halb entschlossen bin die bewußte Stellung [Feuilleton der Preußische Zeitung - d.Verf.] aus seinen Händen nicht anzunehmen. Eggers ist ein guter Kerl, aber ich kann mich mit seinen Formen und Manieren nicht befreunden, ich konnt’ es nie und jetzt am allerwenigsten. In sein gutes Herz und seine Bereitwilligkeit zu helfen, hab ich nie einen Zweifel gesetzt, aber diese mysteriöse Unbestimmtheit, dies sich offenherzig zeigen, um dann im nächsten Moment wieder zugeknöpft zu sein, das alles ist nicht mein Fall.27

Alle Rede vom guten Herzen zerschellt, wo Fontanes tatsächliche Meinung zutage tritt, der Typ, so der Eindruck, mißfällt ihm - eigentlich komplett, nur fehlen im Freundeskreis Mehrheiten, das zu thematisieren. Nach Eggers’ Tod wird Fontane Mühe haben, seine Gnadenlosigkeit im Urteil abzumildern und zu mäßigen. Plastisch zeichnet Fontane im Schicksalsjahr 1859 den Habitus Eggers’, mit dem er nichts beginnen kann - und eigentlich auch nichts beginnen will:

Letzterer [Friedrich Eggers - d. Verf.] empfing mich in der ihm eigentümlichen Weise. Wenn Du nämlich aus China kommst, die Ming-Dynastie in 3 großen Schlachten wie derhergestellt und den jetzt regierenden Kaiser gezwungen hast, seinen eignen Zopf runterzuschlucken, so bist Du sicher, daß die erste Frage, die Eggers an Dich richtet, die ist, ob Du der Witwe Randow auf der Treppe begegnet seist oder ob es nicht Zeit sei, Adelheid einen neuen Mantel zu schenken.28 [BWFH, 49]

Obwohl ihm Eggers einen Platz im ministeriellen Pressebetrieb besorgt (den Fontane allerdings „versiebt“), schreitet Fontanes Auf-Distanz-Gehen fort. Kleinkariert, in eigenen Fäden verstrickt, kein Format, ein penetranter Kerl, der ihm die Freundschaft aufnötigt - so grollt es in Fontane. Ende des Jahrs 1859 kaschiert Fontane nur den „völligen Bruch“ (an Heyse, 28. November 1859) und läßt die Beziehung „freundschaftlich“ weiterkrepeln.29

Das ließe sich so weiterzeichnen. Man möchte Luft holen, möchte anhalten, möchte Frieden stiften, aber es scheint kaum möglich. Fontanes Weg in die Redaktion der Kreuzzeitung sorgt für die nächste Entfernung - und im August 1867 ist es zu einem neuerlichen Bruch zwischen den beiden gekommen, die sich ja nach wie vor, wann immer es geht, allsonnabendlich im Rütli-Kreis treffen. Was immer es war, nur die „Not der Verhältnisse“, schreibt Fontane am 4. August 1867 seiner Frau, die eine Schwäche für die fürsorgliche Art Eggers’ hat, „führt zu Versöhnungsscenen“.30 Doch gleich im nächsten Jahr brennt es wieder - als sich Friedrich Eggers nämlich dagegen wehrt, August von Heyden, Kunsthistoriker wie er, wohlhabend und angesehen, zum Rütlionen zu küren. „Es grenzt an Tollheit“, stöhnt Fontane, „Friede ist nach wie vor verrückt.“31 Das gipfelt schließlich in seiner Bemerkung vom 31. Oktober 1868:

Die Rütli-Sitzung heut bringt also wieder die alte Streitfrage; wenn sie abermals durch Friede angeregt ist, so sollte meinem Gefühl nach der alte Junge ein bischen an die Luft gesetzt werden; ich bin überzeugt hinter all seinen Phrasen verbirgt sich der Groll, daß seinem Bruder Senator so zu sagen durch Heyden der Rang abgelaufen ist.32

Und doch, und doch: Rütli bleibt, es erfolgt keine Preisgabe. Die Wochenzettel, die Eggers nach Rostock schreibt, vermelden getreulich, worüber verhandelt wurde und wer teilnimmt: Fontanes Name fehlt selten.

Es gibt ein Wende wohl - auch hier, eine Wende zum Guten, zum Friedlichen. 1869 findet Fontane, spontan eingeladen, Gefallen an der Umsicht, mit der Eggers ein kleines Diner gestaltet, feinfühlig im Detail und nicht ohne geistvollen Witz - und als er beinahe eine Art Ehrengast war am 27. November 1869 im Kreis von Eggers’ nächsten Verwandten und Bekannten, um dessen fünfzigsten Geburtstag zu feiern, und einen Toast vorträgt, der als Glanzstück angesehen wird, da beginnt der unmäßige Zorn aus den früheren Tagen für geraume Zeit zu verdampfen - es ist die verbleibende Lebenszeit von Friedrich Eggers:

Am anmuthigsten war das Diner bei Friede. Ich wünschte wohl, Du wärest zugegen gewesen; [...] Die Arrangements exquisit wie immer; vorzüglicher Chateau la Rose aus alten, großen Erbgläsern getrunken. Die ganze Toasterei bestritt Friede selbst, er ließ sich und uns leben, in einer ganzen Reihe von Gedichten. Ich kam am glänzendsten weg, wie Du aus der Beilage ersehen magst.33

Da weiß Fontane noch nicht, daß nur wenige Monate vergehen sollen, um ein weiteres Beispiel freundschaftlicher Zuneigung von Eggers demonstriert zu bekommen. Als das Ungeschick es will und Fontane in französische Kriegsgefangenschaft gerät, da springt Eggers in die Bresche und gehört zu den Freunden, die keine Belastung scheuen, um ihn dort herauszuholen. Eggers schließt sich einem Krankenzug an und begibt sich auf die Suche: ohne den persönlichen ausschlaggebenden Erfolg, aber mit einem aufopferungsfreudigen Herzen. Wäre, erlaube ich zu fragen, Fontane zu einer gleichen Handlungsweise in der Lage gewesen?

Und doch, dann auf einmal, findet, wer sucht, einen kleinen Satz, der aufhorchen läßt: Fontane - auf dem Chateau Oleron festsitzend - hat Feder und Papier, es ist der 26. November 1870, und er schreibt an seine Frau:

Morgen ist Friede’s Geburtstag. Sag ihm daß ich seiner und des Festes im vorigen Jahr dankbar gedenken würde. Den Geburtstag meines Theo hab ich ganz vergessen; er soll es mir nicht übel nehmen.34

Den Geburtstag des Sohnes vergessen, den des alten Gefährten, der soviel Vorbehalte provoziert hat, im Kopf - Fontane gibt Rätsel auf.

Und hier will ich abbrechen, um zu einem Ende zu kommen. Es wäre ein leichtes, Belege von Fontanes Verdrießlichkeit über Eggers’ Kunstsinn und -verstand zu mehren, sie weicht nach dem Tod von Eggers keiner Milde. Erleichtert ist Fontane, als sich Menzel 1879 gegen Friedrich Eggers noch einmal Luft macht, erleichtert, weil er sich bestätigt findet - aus berufenem Munde. Aber diese Worte, auch nicht die späten aus den Erinnerungen, sollen das Resümee einleiten und Teil von ihm sein. Ich führe Sie vielmehr noch einmal zurück in die fünfziger Jahre, jene Jahre, wo in die gemeinsame Beziehung so viel Hoffnung, so viel Energie gesteckt worden war. Eine Hoffnung, die uneingelöst blieb - aber die doch Hoffnung gewesen war. Fontane hatte in einem Brief, der nicht überliefert ist, sich seinen Ärger über Eggers von der Seele geschrieben, der durch dessen wechselhafte Stimmungen verursacht worden war. Eggers reagierte - und er reagierte betroffen, sein Versuch, mit lockerer Hand zu erwidern, mißlang. Zum Glück. Es ging um Lebensinhalte, um Lebensbestimmungen, um Projekte von gehörigem Ausmaß. Ich möchte aus Eggers’ Brief zitieren:

Deine ewigen Vorwürfe, daß ich verstimmt sei, verletzt, ver- ich weiß nicht was - sei, treffen mich immer wie Essig aus der Weinflasche, völlig unvermuthet und genau dann, wenn meine arme Seele am entferntesten davon ist. Aber es wird Dir doch nicht gelingen, mich darüber verstimmt oder böse zu machen.

Trotzdem, daß Du es nicht glauben wirst, vielmehr Dein schneidend hartes Wort wiederholen wirst: „Wer steht mir dafür, daß Du nicht jetzt Comödie mit mir spielst?“ - so muß es doch hier stehen, daß das, was Du, wenn ich manchmal etwas stiller werde, für Verstimmtsein hältst, nichts ist, als eine gewisse stille Traurigkeit, die aber mich ganz allein angeht. Ich bedaure dann, daß meine Kräfte in so schlimmen Verhältniß zu meinem Willen stehn und ich Euch nicht genug sein kann. Dafür giebt es kein anderes Mittel, als sich seiner Stelle bewußt zu sein und keine andere einnehmen zu wollen. [...]

Sieh mal, das thut mir fast weh: Ich war gestern den vollen halben Tag mit K[ugler] zusammen. Wir sprachen von allem möglichen. Ich auch ganz unbefangen - nicht ahnend was wieder für schwarze Meinungen über mich gingen - [...] ich genoß das Glück, das ich immer habe, wenn ich mit K. verkehre, so daß nur der Respect mich abhält, ihm zuweilen aus dem Stegreif um den Hals zu fallen und mit Gretchen zu sagen: „Du lieber Mann, wie lieb’ ich Dich!“ - Und doch hat er mir Nichts von Eurem Gespräch gesagt! Und er weiß doch, daß ich ihm einmal mit einem feurigen, dankbaren Kuß geantwortet habe, als er zu mir sagte: „Du, das und das verstehst Du nicht, da bleib davon!“ - weil meine Freude zu sehen, daß Er sich unterweisend um mich bekümmerte, größer war, als meine Traurigkeit darüber, daß ich etwas nicht verstand, was ich so gerne verstanden hätte.

Du, verbrenn’ dies; ich liebe nicht, daß solche Geständnisse und Bekenntnisse, die man eigentlich nur mit sich und seinem Gott abzumachen hat, schwarz auf weiß von mir existiren!35

Fontane hat diesen Brief nicht verbrannt, seine Antwort fehlt. Ist sie unterblieben? Nichts, schreibt er in Von Zwanzig bis Dreißig, was Eggers geschaffen habe, sei ausgereift gewesen. Er, der sich das eigene Werk abringen mußte, auf Umwegen, gegen Selbstzweifel und Zweifel anderer, wußte, daß das, was bleiben soll, keine falsche Nachsicht verträgt noch durch sie befördert wird. Ohne Gnade.

Wir wollen widersprechen, ein literarisches Werk steht gegen ein Leben. Das Leben unterlag seinen Gesetzen, die anzunehmen es lernen mußte. Eggers bezog aus der Zuneigung seiner Mitmenschen den Mut, sein Leben in einen besonderen Raum, in eine sonderliche Welt zu verwandeln. Wo sie ausblieb, drohte die Katastrophe. „Ich bedaure dann, daß meine Kräfte in so schlimmem Verhältniß zu meinem Willen stehn und ich Euch nicht genug sein kann.“ Wo er die Zuneigung erfuhr, gelang ihm, was nicht nur Respekt erfordert: seinem Leben eine Gestalt zu geben, die überdauert und exemplarisch wird.

Anmerkungen

1 Theodor Fontane: Autobiographische Schriften. Hrsg. von Gotthart Erler, Peter Goldammer und Joachim Krueger. Band 2: Von Zwanzig bis Dreißig. Bearbeiter des Bandes Peter Goldammer. Berlin, Weimar 1982, S.186

2 Ebenda

3 Ebenda, S. 188

4 Ebenda, S. 189/190

5 Brief vom 11.-13. Oktober 1844. Eine Studienfreundschaft. Scheffels Briefe an Friedrich Eggers 1844/1849. Im Auftrage des Deutschen Scheffel-Bundes eingeleitet und herausgegeben von Gerda Ruge. Karlsruhe: Konkordia 1936. S. 1

6 Friedrich Eggers: Gedichte. Breslau 1874. S. 129

7 Friedrich Eggers an die Eltern, 19. März 1848. Zit. n. Theodor Fontane und Friedrich Eggers. Der Briefwechsel. Mit Fontanes Briefen an Karl Eggers und der Korrespondenz von F. Eggers mit Emilie Fontane. Hg. von Roland Berbig. Berlin, New York 1997. S. 16 (Einleitung)

8 Friedrich Eggers an seine Eltern, 14. Februar 1850. Zit. n. Theodor Fontane und Friedrich Eggers. Der Briefwechsel, S. 28 (Einleitung)

9 Friedrich Eggers an die Eltern, 23. Dezember 1850. Rostock, Stadtarchiv, NL Eggers

10 Undatierter Brief Friedrich Eggers’ in Kunstblatt-Angelegenheiten. Rostock, Stadtarchiv, NL Eggers

11 Friedrich Eggers an seine Eltern, 14. Februar 1850. Zit. n. Theodor Fontane und Friedrich Eggers. Der Briefwechsel, S. 28 (Einleitung)

12 Friedrich Eggers an den Vater, 15. November 1858. Rostock, Stadtarchiv, NL Eggers

13 Theodor Fontane an Friedrich Eggers [25. November 1863]. Theodor Fontane und Friedrich Eggers. Der Briefwechsel, S. 258

14 Berlin: C. Duncker 1867

15 Friedrich Eggers: Rom. 9. April 1870. RSA, NL Eggers. Der Bericht findet sich in den Wochenzetteln, die Eggers allwöchentlich an der Verwandten in Rostock verfaßte

16 Friedrich Eggers: Wochenzettel. RSA, NL Eggers

17 Eine Studienfreundschaft. Scheffels Briefe an Friedrich Eggers 1844/1849. S. XV

18 Paul Heyse an Theodor Fontane, 15. August 1872. Der Briefwechsel zwischen Theodor Fontane und Paul Heyse. Hg. von Gotthard Erler. Berlin, Weimar 1972. S. 126 und 127

19 RSA, NL Eggers

20 Zit. n. Klaus Müller: Aber in meinem Herzen sprach eine Stimme so laut. Homosexuelle Autobiographien und medizinische Pathographien im neunzehnten Jahrhundert. Köln 1988, S. 275

21 Theodor Fontane: Von Zwanzig bis Dreißig, S. 188

22 Ebenda

23 In: Theodor Fontane und Bernhard von Lepel. Ein Freundschaftsbriefwechsel. Hg. von Julius Petersen. Zwei Bände. München 1940. Bd. 1, S. 116

24 Theodor Fontane an Bernhard von Lepel, 15. Januar 1850. Theodor Fontane und Bernhard von Lepel. Ein Freundschaftsbriefwechsel. Bd. 1, S. 239

25 Emilie Fontane an Theodor Fontane, 13. Juni 1857. In: Emilie und Theodor Fontane: Geliebte Ungeduld. Der Ehebriefwechsel 1857-1871. Hg. von Gotthard Erler unter Mitarbeit von Therese Erler. Berlin 1998, S. 82

26 Theodor Fontane und Berhard von Lepel. Ein Freundschaftsbriefwechsel. Bd. 2, S. 250-251

27 Der Ehebriefwechsel 1857-1871, S. 112-113

28 Theodor Fontane an Paul Heyse, 1. April 1859. Der Briefwechsel zwischen Theodor Fontane und Paul Heyse, S. 49

29 Ebenda, S. 72

30 Der Ehebriefwechsel 1857-1871, S. 312

31 Ebenda, S. 371 und 383

32 Ebenda, S. 385

33 Ebenda, S. 426

34 Ebenda, S. 553

35 Friedrich Eggers an Theodor Fontane, 20. Juni 1853. In: Theodor Fontane und Friedrich Eggers. Der Briefwechsel, S. 100 und 102


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