Eine Rezension von Anne Mann


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Erbe ohne Erbschaftssteuer

 

Hans Müncheberg: Blaues Wunder aus Adlershof
Der Deutsche Fernsehfunk - Erlebtes und Gesammeltes.

Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2000, 251 S.

 

 

Am 21. Dezember 1952 ging der Deutsche Fernsehfunk zum ersten Mal auf Sendung. Es war Stalins Geburtstag, und das Ganze hieß damals Fernsehzentrum Berlin. Das offizielle Versuchsprogramm lief von 20 bis 22 Uhr.

39 Jahre später, am 31. Dezember 1991, null Uhr, wurde der Deutsche Fernsehfunk abgeschaltet. Zappenduster auf der Ostfrequenz. Mühlfenzel war der Name des Beauftragten für die Liquidierung des Senders. Der Mann aus Bayern erfüllte brav, pflichtbewußt und von Herzen gern den Kampfauftrag seiner politischen Klasse (selbstverständlich demokratisch legitimiert und durch und durch rechtsstaatlich der Vorgang). Wie war wohl der Mannschaft zumute, die das Silvesterprogramm gefahren hatte, von den Tausenden entlassenen Mitarbeitern nicht zu reden. Ein schöner, würdiger Beginn neuer Freiheiten.

Zwischen Anfang und Ende des DFF liegen 39 Jahre Geschichte und Geschichten, ein bißchen davon erzählt der Verfasser des Büchleins, der als Dramaturg und Autor die Entwicklung des Fernsehens miterlebte.

Wie anderes auch begann alles in einer Baracke, in der der bereits 1946 von Hans Mahle angeheuerte Ernst Augustin - Rundfunk- und Fernsehpionier schon aus den Jahren vor 1933 - daran tüftelte, in Berlin und Ostdeutschland das Fernsehen einzuführen. Seit Oktober 1949 unterstützte ein entsprechender Beschluß der „Deutschen Wirtschaftskommission“ das Unternehmen. In Hamburg arbeitete ein Team ebenfalls am Aufbau eines neuen deutschen - von vornherein als westdeutsch geplanten - Fernsehens. Mit von der Partie waren einstige Autoren, Redakteure und Regisseure des Reichsfernsehens. Mitte Juli 1950 wurde aus der Hansestadt das erste Fernsehbild nach dem Krieg ausgestrahlt, für Weihnachten 1952 kündigte die ARD den Beginn eines regulären Fernsehprogramms an. Auch das war ein Grund für den zügigen Aufbau des Fernsehzentrums Berlin. Der Kalte Krieg hatte längst begonnen, und der „Kampf um die Köpfe“ bekam mit dem Fernsehen ein neues, wirkungsvolles Medium. Am 11. Juni 1950 wurde nahe des S-Bahnhofes Adlershof am für Fernsehmitarbeiter legendären Birkenwäldchen der erste Spatenstich getan, ein Jahr drauf war Richtfest für den ersten Bauabschnitt, einen weißen, kubistisch geformten Gebäudekomplex. Als im Mai 1952 das erste Ansagestudio durch einen Brand zerstört wurde, war an eine kurzfristige Inbetriebnahme des Senders nicht mehr zu denken. Das hatte Folgen. So wurde Hans Mahle - 1950 „wegen mangelnder ideologischer Klarheit“ bereits als Generalintendant abgesetzt - nunmehr endgültig in die Wüste geschickt. Wolfgang Kleinert übernahm die Leitung des Fernsehzentrums und erhielt von Hermann Axen, Leiter der Abteilung Information beim ZK der SED, den Auftrag, eine Fernsehredaktion aufzubauen. In aller Schnelle sollte ein Programm auf den Sender. „Wie konnte ein sofort realisierbares Notprogramm aussehen? Eine einsatzbereite Fernsehkamera in einem sendefähigen Studio gab es noch nicht. Lediglich ein Dia-Geber und ein Normalfilmprojektor standen zur Verfügung. Durch Oszillographen mit ,Grünstrahlabtastung‘ konnten Diapositive übertragen und Filme ausgestrahlt werden, komplett allerdings nur Kurzfilme, denn in einen Projektor paßten lediglich die üblichen Filmrollen von knapp 20 Minuten. Große Spielfilme hätten also ,aktweise‘, mit Pausen für den Rollenwechsel, gesendet werden müssen. Das Problem stellte sich jedoch zunächst nicht, denn das FZ verfügte nur über drei Kurzfilme: einen über das Segelschulschiff der DDR, einen mit dem vielversprechenden Titel ,Pferde‘ und einen über die Gebote der Zahnpflege.“ Es sah nicht richtig gut aus für das Programm. Ein Mitarbeiter erinnert sich an das Zustandekommen der Nachrichtensendung „Bilder aus dem Zeitgeschehen“ (Tage später umbenannt in „Aktuelle Kamera“): „Er knallt mir einen Stapel Fotos auf den Tisch. Ich starre auf diesen Stapel ... Was soll das sein? Eine Sendung? ,Aus diesen Fotos werden Diapositive gemacht, dann werden sie vorgeführt wie bei einem Lichtbildervortrag! Den Vortrag dazu schreibst Du!‘“ So war das, und so ging das, bis Filmkameras angeschafft wurden. Der erste Spielfilm war eine sowjetische Leihgabe (gegen drei Flaschen Adlershofer Wodka getauscht). „Die steinerne Blume“ - fast jedes Kind in der DDR hat den Märchenfilm in irgendeiner x-fachen Wiederholung gesehen. Hans Müncheberg kramt aus der Fernsehkiste etliche interessante und skurrile Details heraus: die unzulängliche Technik, Pannen, die keiner merkte, öffentliche Fernsehstuben, Geräte mit Bildschirmen im Postkartenformat, ganze Sendungen, die aus Dia-Serien bestanden, das Hin und Her der Programmpolitik.

Natürlich klingt das heute ziemlich sonderbar - der Mangel kaum vorstellbar, die „Wir machen es einfach“-Haltung mindestens naiv. Ja und? Es war das siebente Jahre nach Kriegsende, das Land war arm, hatte aber große Pläne und Träume, die durchaus überzeugend waren. So vermischten sich im Alltäglichen Lebensträume und Politikinteressen zu einem Knäuel aus Chaos, Spaß und Ärger. Im übrigen war es für viele ihre beste Zeit. Da muß man sich nicht das Gegenteil einreden lassen. So ist das Buch zu verstehen: Da macht einer eben auch eine Bilanz seines Lebens - des Mit-Erlebens von Entwicklungen, ihrer Widersprüchlichkeit und Erfolge, ihrer Hoffnungen und Illusionen. Vom Februar 1953 bis 1992 beim Sender, ist Hans Müncheberg ein kompetenter Zeitzeuge für die Höhen und Tiefen der Anstalt, besonders aber für die Fernsehdramatik, die immer - mehr oder weniger - verkettet war mit politischen Entwicklungen, die sich u. a. aus der Existenz zweier deutscher Staaten ergaben. In „Über Kunst im Kalten Krieg“ erinnert sich der Autor, daß Westberlin, „die Frontstadt“, erklärtermaßen manchen Antikommunisten als „billigste Atombombe im Kampf gegen den Bolschewismus“ galt - ein Konzept, gegen das auch mit künstlerischen Mitteln anzugehen der Deutsche Fernsehfunk sich sowohl verpflichtet sah, als auch beauftragt war. So behandelten vier von 12 Fernsehspielen im Jahr 1956 die Ost-West-Problematik. Die Umbenennung des Senders im Januar 1956 in Deutscher Fernsehfunk (DFF) wurde als Programm empfunden, deutschlandweit - neben der ARD - wirksam, möglicherweise sogar zu einer Alternative zu werden. Das entsprach der offiziellen politischen Linie, die „Aktionseinheit der Arbeiterklasse“ mit Sozialdemokraten und Gewerkschaften herzustellen. Absicht und Name blieben praktisch eine Illusion, dennoch wurde der Name bis zur Umbenennung 1972 in „Fernsehen der DDR“ beibehalten. Die Träume des Anfangs hatten inzwischen viel von ihrem Glanz verloren, trotzdem gab es künstlerisch interessante und wertvolle Arbeiten. Müncheberg erinnert sich z. B. an eines der traditionellen Weihnachtsprogramme: eine Operninszenierung, „Carmen“, in der Hauptrolle die damals noch unbekannte Ruth-Maria Kubitschek, die zu einer Musikaufnahme perfekt die Carmen gab. Die Inszenierung erhielt aus Ost und West begeisterte Zuschriften. Leider gibt es keine Aufzeichnung. Das war der Nachteil des damals noch herrschenden Prinzips des Life-Fernsehens besonders im künstlerischen Bereich, ein schätzenswerter Vorteil fehlender Aufzeichnungstechnik bestand allerdings darin, daß allen Beteiligten (zwangsläufig) ein hohes Maß an Eigenverantwortlichkeit zugestanden wurde. Die endgültige Gestalt einer Sendung zeigte sich eben erst während der Sendung. Für Kontrollinstanzen aller Art war das ein unhaltbarer Zustand, ein „Schlupfloch für Indifferente“, Aufweichler, Abweichler und was noch so zu vermuten war. So traf es auch Hans Müncheberg als Mitverantwortlichen an dem Fernsehspiel „Die Glocke von Uville“ - „ideologisch leichtfertig“ befand die Intendanz. Hätte man sich das Stück vor der Sendung ansehen können, wäre es nicht zur Ausstrahlung gekommen. Zu dieser Praxis kam es dann auch. Einer der ersten „Fälle“ war der Film „Monolog für einen Taxifahrer“ von Günter Kuhnert und Günter Stahnke. Ohne Erklärung für die Änderung flog die Sendung am 23.12.1962 aus dem Programm. Um diesen Film sowie um die bereits gesendete Fernsehfilm-Oper „Fetzers Flucht“ gab es Diskussionen bis ins Politbüro, es ging um die Einhaltung von „Parteilichkeit und Volksverbundenheit“ - führte tatsächlich aber dazu, „daß die Kultur von der SED vergewaltigt würde und der letzte Rest eines freien Gedankens abgeschafft werden solle ...“, wie in einem MfS-Bericht Johannes Bobrowski zitiert wird. Die darauf folgenden politischen Festlegungen hinterließen „in der Arbeit der Fernsehkunst ähnlich tiefe Einschnitte (...) wie später das berüchtigte 11. Plenum des ZK der SED für die Spielfilmproduktion“. Angesichts der stupiden Ausrichtung des gesamten Fernsehens als Instrument der Agitation und Propaganda, der Abhängigkeit vorgesehener Stoffe und fertiger Sendungen von politischen Situationen, gesellschaftlichen Konflikten und wirtschaftlichen Engpässen (wovon auch der Buchautor mehrfach betroffen war) - angesicht dieser Zensurpraxis ist es um so bemerkenswerter, was an bleibenden künstlerischen Arbeiten entstand. In der Erinnerung sind Literaturadaptionen wie Falladas Wolf unter Wölfen, Kleiner Mann - was nun? , Jeder stirbt für sich allein, wie Nackt unter Wölfen von Bruno Apitz, Mehrteiler zu historischen und Gegenwartsthemen wie „Sachsens Glanz und Preußens Gloria“, „Gewissen in Aufruhr“, „Wege übers Land“, liebenswerte Kinderfilme und sogar sinnvolle (weil alltagsnah und irgendwie menschenfreundlich) Unterhaltungssendungen. Einschließlich der Krimi- und Kundschafterserien (mit fürsorglicher, geistiger Verwirrung beim Zuschauer vorbeugender politischer Belehrung) und Familienschwänke wird diese zum Teil hochwertige Erbmasse, ohne Erbschaftssteuer natürlich, immer wieder gern von den neuen und einigen alten Landesanstalten ins Programm genommen. Das spart Geld, bindet (Ost)-Zuschauer und vermittelt ungewollt ein ziemlich realistisches Bild von Lebensweise, Werteverständnis und Alltagskultur in der DDR (manchmal wirkt es ausgesprochen subversiv). Leider etwas sehr zu kurz kommt im Buch der gesellschaftliche Umbruch, der 1989/90 auch im Fernsehen der DDR stattfand. Nunmehr wieder als Deutscher Fernsehfunk sendend, rappelte sich die Anstalt zu einem wirklichen Massenmedium auf - mit Einschaltquoten, von denen heutige Sender träumen. Quantitativ und qualitativ entwickelte sich Adlershof tatsächlich zu einer Alternative. Wurde ein ernstzunehmender Konkurrent - und also abgeschafft.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 06+07/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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