Eine Rezension von Jürgen Harder


„... da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein.“

Roland Kaehlbrandt: Deutsch für Eliten
Ein Sprachführer.

Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1999, 192 S.

 

Dieser ebenso originelle wie nützliche Sprachführer ist - auf den ersten Blick - schlicht: ein Wörterbuch. Sieht man von des Verfassers Vor- und Nachwort ab, so besteht die vorliegende elitedeutsche Sprachfibel nämlich ausschließlich aus einem Glossar. Aus einem Verzeichnis von genau den Wörtern, die in ihrer Gesamtheit eben den respektheischenden Wortschatz der deutschen Eliten ausmachen. Wohlgeordnet wird uns dieser sprachliche Schatz präsentiert. Sauber unterteilt in: Substantive, Verben, Adjektive, andere Wortklassen. Um dem Leser die Wortsuche zu erleichtern, finden sich - am Ende des Bandes - alle Wörter noch einmal da, wo sie hingehören: auf dem Index.

Indes: Was wäre ein Glossar ohne Erläuterungen? Der höchst sachkundige Autor zelebriert daher - aus guten Gründen - Nutz und Frommen der Anstrengung des Begriffs. Mit seinen heiter-ironischen Erklärungen zu jedem einzelnen Wort bietet Kaehlbrandt seinen Lesern - auf den zweiten Blick: einen Blick für sprachliche Genießer - also recht eigentlich eine Semantik an. Eine Bedeutungslehre. Freilich - eine mit dem Charme des Absurden. Denn diese Bedeutungslehre attestiert den meisten elitedeutschen Wörtern einfach nur - deren Bedeutungsleere. Bei den restlichen Wörtern diagnostiziert sie mindestens einen Bedeutungsschwund. Auf jeden Fall eine geradezu charakteristische Bedeutungsarmut. Im günstigen Fall: einen Bedeutungswandel. Gemach, gemach. Günstig sind die Fälle kaum zu nennen, die der Verfasser im Auge hat. Ein Bedeutungswandel hätte ja schließlich noch etwas Kreatives. Im Elitedeutsch indes läuft jeder Bedeutungswandel auf eine Bedeutungsinflation hinaus: „Die Umdeutung von Begriffen, die einst eine relativ klar umrissene Bedeutung hatten, wie zum Beispiel Kultur, Kreativität und Philosophie, macht das Alltagsleben nicht kultureller, kreativer oder gar philosophischer. Indem alles und jedes mit der Aura von Begriffen umhüllt wird, die eigentlich etwas höchst Außergewöhnliches bezeichnen, wird alles und jedes nur scheinbar bedeutender.“ Keine Frage: Unsere Medienerfahrungen belehren uns täglich über den hohen Anwendungs- und Verbreitungsgrad des Elitedeutschen. Inzwischen habe auch ich mich daran gewöhnen müssen, daß beispielsweise ein Sportreporter sich bei einem Fußballprofi hartnäckig nach dessen Philosophie erkundigt, die dieser seinen Torschüssen zugrunde legt.

Längst ist hier ein Wort zu den in Rede stehenden Eliten fällig! Kaehlbrandts Definition ist so einleuchtend wie modern: „Trotz aller Klagen über mangelnde Förderung für Hochbegabte - es gibt Eliten in Deutschland. Freilich nicht mehr in der Geschlossenheit wie einst Adel und Bildungsbürgertum. Es bietet sich eher ein Kessel Buntes dar: Fußballspieler sitzen neben Wissenschaftlern, ,Darsteller‘ neben Kirchenfürsten, Pop-Stars neben Mittelständlern, Talkmaster neben Unternehmensberatern, Models neben Politikern; doch alle sitzen in der ersten Reihe.“ Und in der ersten Reihe wird natürlich „auch und vor allem gesprochen“. Der Autor weiß selbstverständlich, daß die verschiedenen Eliten - auch weiterhin - ihren ganz eigenen Jargon pflegen. Genausogut weiß er, daß es aber oberhalb der Milieu-Jargons eben auch „eine Art übergreifendes Elitedeutsch“ gibt, das den Diskurs in unserer Medien- und Kommunikationsgesellschaft prägt. Mit Wortprägungen, die eigentlich des ironischen Kommentars gar nicht bedurften: Vom „interdependenten Beziehungsgeflecht“ bis zur „partiellen Vollverkabelung“, vom „zentralen Eckpfeiler“ bis zum „Markenbewußtsein“, von der „deutschen Leitkultur“ bis zur „Immobilienethik“, vom „intelligenten Parkhaus“ bis zum „wachsenden Desinteresse“, von „ich sag’ mal“ bis „und, und, und“ ... Wichtiger ist freilich, wenn uns der Autor sprachsensibel macht für das Schicksal ganz einfacher, klarer und wunderbarer Wörter der deutschen Sprache. Für das Schicksal etwa, das ein Wort wie „gestalten“ erleiden muß, wenn es beispielsweise in die Fänge von Politikern gerät: „Je mehr sich die Dinge auf Grund ihrer Komplexität und ihrer Eigendynamik unserem Zugriff entziehen, desto stärker ist die Weigerung, dies hinzunehmen. Die Sehnsucht nach Beeinflussung des Geschehens begnügt sich dabei nicht mit der Tat oder dem Tun, sondern verlangt nach Höherem: Die Dinge sollen gestaltet werden. Aber nicht nur die Dinge, sondern vorzugsweise ganze Gegenstandsbereiche, ja vor allem Abstraktes wie Gegenwart und Zukunft. Seit insbesondere der Politik die Gegenwart abhanden gekommen ist, weicht sie auf die Selbstverpflichtung zum Gestalten der Zukunft aus. In dieser Betrachtung ist die Zukunft ein handlich Ding, bestimmbar und kunstgerecht modellierbar. Politik gebärdet sich hier als eine Art Kunsthandwerk oder Kunst, nicht jedoch des Möglichen, sondern des Unwägbaren.“

Bei aller Ironie - Kaehlbrandt verdeutlicht auch hier: Uns liegt mitnichten ein bloßes Scherzbuch vor. Seine Kommentare zu den einzelnen Wörtern sind so ernstzunehmen wie seine historische, gesellschaftliche und politische Aufhellung der in Rede stehenden Merkwürdigkeiten des gegenwärtigen öffentlichen Sprachgebrauchs. Außer durch ein paar ganz typische Wortkreationen wird das Elitedeutsch nämlich vor allem durch seinen ganz eigentümlichen Sprachgebrauch charakterisiert. Ein besonderer Gebrauch von - uns längst bekannten und vertrauten - Wörtern ist es nämlich, durch den sich das Elitedeutsch verrät. Dieser Sprachgebrauch verrät erstens eine s c h e i n b a r e E n t p o l i t i s i e r u n g - mit Grundvokabeln wie Standort, Globalisierung, Machbarkeit etc.; er ist gekennzeichnet von einer U n b e s t i m m t h e i t, die sich besonders wohl fühlt in Plastik-Wörtern wie Vision, Struktur oder Synergie, die weder faßbare Sachverhalte noch Gedanken beschreiben; dieser Sprachgebrauch pflegt den S c h e i n, wie ich bereits an den gewichtigen Wörtern Kultur, Kreativität und Philosophie aufgezeigt habe, und er liebt die Ü b e r t r e i b u n g. Letztere tobt sich sprachlich am liebsten aus mit Wörtern wie: unheimlich spannend, Erlebnis, Katastrophe, Herausforderung oder Risiko - auch und gerade wenn’s an Spannung und Erlebnissen mangelt und die Katastrophe - gottlob - noch weit weg ist. Schließlich moniert der Verfasser am Elitedeutschen die H u m o r l o s i g k e i t: „Das Elitedeutsche gebärdet sich zwar nicht gerade ernsthaft (im Sinne von Sorgfalt, Genauigkeit), kommt aber mit unübertroffener Verkniffenheit daher. Das Pathos, mit dem leere Abstraktionen verkündet werden, scheut naturgemäß jede ironische Brechung wie der Teufel das Weihwasser.“

Der Autor hat viel Eigenständiges eingebracht. Doch die wohl wichtigste Anregung für sein Projekt hat er sich von unserem größten Sprachmeister - von Goethe - geholt: „Denn eben wo Begriffe fehlen, da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein.“ So souverän wie vergnüglich spielt Kaehlbrandt dies als „konzeptionelle Grundlage der elitedeutschen Wortbildung“ aus. Aber Kaehlbrandt schärft nicht nur unseren Sinn dafür, wie kristallklare deutsche Wörter im Munde elitedeutscher Wortführer einen ungeahnten Grad von Eintrübung erfahren - er nimmt auch die elitedeutsche Sucht nach der Englisch-Vokabel ins kritische Visier. So lächerlich sich in einer globalisierten Welt auch jeder sprachliche Puritanismus ausnimmt, so wenig entbehrt freilich auch der übertriebene und vor allem überflüssige Gebrauch von englischen Wörtern in der deutschen Sprache der Lächerlichkeit. Amüsieren wir uns also noch kurz über Kaehlbrandts „ernsthaften Ratschlag“ an eine bekannte deutsche Schriftstellerin: „,Keine Location, nirgends‘ müßte Christa Wolf ihre 1980 erschienene Erzählung ,Kein Ort, nirgends‘ betiteln, wenn sie heute neu aufgelegt würde. Bis auf das stille Örtchen, das gleichwohl durch Beschallungen aus der Konserve mehr und mehr seiner besinnlichen Bestimmung verlustig geht, bleibt an Orten nicht mehr viel übrig. Orte, die etwas auf sich halten, heißen heute Locations.“

Für sein Buch wirbt Kaehlbrandt mit einer koketten Einladung: „Dieser Sprachführer lädt ein zum Flanieren durch die Kathedralen elitedeutscher Sprachschöpfung.“ Wer dieser Einladung folgt, bedankt sich am besten so. Ohne des Autors ständige Einleitung von geistiger Frisch- und Zugluft in ebendiese Kathedralen wäre jedem Flaneur der Aufenthalt in diesen monströsen Worträumen schnell verleidet.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 06+07/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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