Eine Rezension von Crauss.


cover  

Voll aus dem Leben gegriffen

 

Peter Nahtschläger: Alles besser
Gedichte.

MännerschwarmSkript Verlag, Hamburg 1999, 87 S.

 

 

Voll aus dem Leben gegriffen, denkt man beim Lesen von Nathschlägers (erstem) Gedichtband. Oder: Da versucht einer, die ungeschliffene Sprache der Straße, zumindest die des Alltags, in Text zu übertragen. Das gelingt nicht immer, aber oft genug, um dem dreigeteilten Band einen Ton vergeblicher Sehnsucht des Begehrenden, aber nicht Wiederbegehrten zu geben. Parallelnennungen wären hier Olaf N. Schwankes „bis dato trallala“, was den Versuch der Beschreibung einer authentischen Jugendsprache und -gestik betrifft, oder Eva Strittmatters Obsession „Der Schöne“ hinsichtlich der Verehrung einer „Leibanziehungskraft“ mittels Gedichtzyklus. Ganz so unerreichbar wie bei Strittmatter sind Nathschlägers Straßenjungen nicht, aber auch ihnen widmet er Andichtungen in Abfolge; der erste Reigen gehört „Rico“, dem puertorikanischen Hausmeistersohn, der zweite „Samson“ und der dritte dem „magischen Jungen“.

Was zu Beginn noch sehr handfest daherkommt - „Rico erlegt alles, was auf zwei Beinen / geht, Rico / fasst sich an die Eier, und die Erde steht still, Rico leckt sich / über die nackte Schulter, und / das hysterische Kreischen aller Planeten / ist ihm sicher. // Rico kann das.“-, das wird nach hinten hinaus immer transzendenter: Samson ist kaum mehr auszumachen als eine einzige bestimmte Person, der magische Junge ist gleich so magisch, daß das dritte Kapitel ihn fast gar nicht mehr erwähnt, er dafür aber schon in vorhergehenden Texten auftaucht. Die freirhythmischen, ungereimten Gedichte könnten gut halb so lang sein, sie haben immer wieder hübsche Schlußzeilen, aber der Autor bekommt offenbar genausowenig wie das Ich genug von eckenstehenden oder biertrinkenden Jugendlichen, die genau wissen, wie sie einen schwulen Schreiber provozieren müssen (und gegebenenfalls zusammenschlagen können: „ich flieg / um wie geköpft, und Rico beugt / sich über mich, zischt, spuckt“), die gegebenenfalls auch Geld für schwulen Sex nehmen, aber im Grunde stockhetero sind und mit ihrer „Göre“ um die Ecke biegen.

Was im Samson-Kapitel mythische Dimensionen entwickelt, sind immer wiederkehrende Motive wie knallenge Jeanshosen oder der im Alkoholnebel sich ständig verlierende Blick sowohl auf die Realität als auch auf die illusorisch Begehrten, und nicht etwa Anspielungen auf den Hermes (der entpuppt sich als österreichischer Pädophiler Hermes Phettberg) oder den starken Kerl, der seine Manneskraft verliert: Samson ist zunächst „der kleine türkische / Stricher mit den großen Augen und / dem verhurten Gesicht“ und verliert höchstens seine Anziehungskraft gleichzeitig mit der Distanz zum Ich. Das ist nicht mehr nur Zuschauer, sondern gewinnt gelegentlich körperlichen Kontakt zu den Jungen, zumindest, wenn es nüchtern ist. Allerdings: Dem jeweiligen Samson beim Liebesspiel im Gras die Haare abschneiden kann und will es nicht. Es bleibt bei der gewohnten Unterordnung des Älteren unter den Selbstbewußteren: „mit süßem / Lächeln dirigiert er meinen/ Leib [...]; wie immer macht er, / was er will, und das macht / er perfekt.“ So perfekt es jugendliche Ungeübtheit zuläßt und sich erwachsene Unreife eben einbilden will.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 06+07/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

zurück zur vorherigen Seite