Eine Rezension von Dorothea Körner


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Hyazinthenduft, der über der Gegend liegt

 

Margriet de Moor: Die Verabredung
Roman. Aus dem Niederländischen von Helga van Beuningen.

Carl Hanser, München 1999, 190 S.

 

 

Dieses Buch liest sich im ersten Teil faszinierend, wirkt im zweiten Teil etwas hektisch, weil ständig zwischen den Erzählsträngen springend, mit schwer oder gar nicht verständlichen Bezügen. Die erste Lektüre war also für mich enttäuschend. Ein zweites, genaueres Lesen ließ mich vermuten, daß die Autorin mit diesem Roman einen höheren Anspruch erhebt, als man zunächst meint, allerdings hätte ich mir dann gewünscht, daß die Andeutungen und heimlichen Korrespondenzen klarer und überzeugender herausgearbeitet worden wären. Aussparungen in einer Erzählung können für das Geheimnis und die Unverfügbarkeit der Wirklichkeit stehen, mehrere Ebenen eines Romans die Vieldimensionalität des Lebens wiedergeben, unmotiviert nebeneinander gestellte Erzählstränge können aber auch auf das Unvermögen der Autorin zurückgehen, die gewollte Tiefendimension des Romans zu gestalten, und den Leser etwas ratlos zurücklassen. So bin ich mir nicht sicher, ob das Buch so hintergründig ist, wie der Begleitzettel des Verlages es behauptet, oder ob das Thema - ein Ehebruch - einfach nicht bewältigt wurde.

Keine Frage, Margriet de Moor ist eine großartige Schriftstellerin, ihr Stil erinnert mich manchmal an Virginia Woolf, etwa das Ineinander der verschiedenen Zeitebenen, die noble, niemals ins Triviale abgleitende Art, Alltägliches zu erzählen - so die abendliche Begrüßung eines bereits lange verheirateten Paares oder ein beider Leben veränderndes Gespräch der Eheleute, von dem kaum ein Satz wiedergegeben wird. Aber auch Bilder wie „Hoch oben im Raum hat der Wind begonnen, die Stille zu zerschlagen“ - als ein Gewitter sich vorbereitet - oder die kühne Art, die neue Liebesbeziehung zu charakterisieren: „Fast acht Monate lang studieren sie sich gegenseitig, mit viel Phantasie, aber wenig Text“, verraten die große Erzählerin. Auch der Hauptgegenstand des Romans, durch den Beginn und Ende der Liebesgeschichte bestimmt werden, ist höchst originell: ein Taschenkalender, den der vierzigjährige Tierarzt Vincent Lukas bei einem abendlichen Spaziergang auf der Straße findet. Er gehört Gemma Meeuwenoord, einer Vincent fremden Frau aus dieser Gegend. Beim Blättern darin entdeckt er seinen eigenen Namen, einen Termin in seiner Sprechstunde.

Der erste Teil des Buches beginnt mit diesem zufälligen Fund und beschreibt die drei Wochen bis zum gegenseitigen Kennenlernen - vom 16. April bis zum 7. Mai -, in denen Vincent in größter Spannung lebt, sich Gemma vorzustellen versucht, bereits von ihr besessen ist und ihrem Besuch in seiner Praxis entgegenfiebert. Der Leser begleitet Vincent zu seiner Arbeitsstelle an die Utrechter Universität, er lernt sein Haus in einem Dorf nahe der See kennen, seine Tochter, die zehnjährige nette und gewitzte Sonja, das portugiesische Dienstmädchen Diamantina de Fatima und seine schöne Frau Noor, die in diesem Buch am eindrücklichsten dargestellt wird.

„Noor ist einer jener Menschen, denen die Dinge widerfahren. Sie kann mit Leichtigkeit einen Tag herumbringen, ohne etwas Nennenswertes zu treiben.“ Sie gehört zu den Menschen, die „etwas weniger handelnd durchs Leben“ gehen. Noor und Vincent verbindet eine große Liebe. „Aber warum gibt sich meine Frau soviel Mühe? Manchmal ist es geradezu so, als wolle sie eine komplette Sammlung von mir anlegen“, charakterisiert Vincent seine Ehe. „Was mir gegen den Strich geht, ist das Ohr, das sie oft wie eine Lupe auf meine Äußerungen richtet, etwas damit herauspickt und es dann, grauenvoll hohl und aufgebläht natürlich, für hübsch genug befindet, um es einzurahmen und in ihrer Seele anzunageln.“ Vincent wehrt sich gegen die „Heiligenbilder“, die Noor sich von ihm gemacht hat. Ihre Assistenz in seiner Privatpraxis ist Ausdruck einer stillschweigenden Abmachung des Ehepaares, die seit einer tiefen Verunsicherung Noors vor einigen Jahren gilt: „Daß er sie sein Leben lang nicht betrügen würde. Und daß sie das glauben würde.“

Der zweite Teil des Romans setzt mit der ersten Begegnung von Vincent und Gemma ein, einer Frau, die ebenfalls glücklich verheiratet und um die Vierzig ist. In diesem Teil wird die acht Monate währende Liebe - vor allem aus der Sicht der Frau - erzählt. „Heute hat in ihrem Leben das Liebesabenteuer begonnen, das bis zum einunddreißigsten Dezember dieses Jahres dauern wird und keinen Tag länger. Eine die Sinne täuschende Affäre, die Sinne täuschend, weil die Anrufe und die Verabredungen und die Umarmungen ihr von Anfang an völlig normal vorkommen werden.“ Doch wer nun eine romantische Liebesgeschichte, vielleicht begleitet von Skrupeln und schlechtem Gewissen, mit einem trostlosen oder versöhnenden Ende erwartet hat, wird enttäuscht. Die kurzen und später ausgedehnteren Begegnungen werden kaum geschildert, wichtig ist der Erzählerin allein die selbstverständliche Realisierung dieser Liebe, die einem Naturereignis gleicht und in der wenig gesprochen wird. „Gewissen Dingen, Dingen, die ihren Willen in den Sternen bekundet haben, kann man einfach nicht entrinnen, es gibt niemanden, der das im Grunde seines Herzens nicht wüßte. Vincent wird [...] damit beginnen, sich Ausreden auszudenken. Erst ganz normale. Dann, in dem Maße, wie er immer größere Risiken eingeht, werden seine Ausflüchte etwas Verrücktes bekommen [...] Noor wird alles glauben.“

In diesem zweiten Teil wird - die Liebesgeschichte begleitend und sie im Grunde dominierend - die tragische Geschichte von Gemmas Familie, eines alten und erfolgreichen Blumenzüchtergeschlechts, erzählt. Besonders die Gestalt der liebeswütigen, wesentlich älteren Schwester Quirine zieht sich wie ein Leitmotiv durch diese Kapitel, obwohl Gemma kaum von ihr spricht. Nach dem Willen der Erzählerin bildet Quirines selbstmörderische Verrücktheit den Hintergrund für Gemmas gefährliches Liebesabenteuer: „Hatte sie (Gemma, D. K.), ganz zum Schluß, nun doch das Bedürfnis, ihn auf die erfreuliche, erschreckende und etwas zu große Welt von Quirine und deren jüngerer Schwester zu weisen, die gleichsam versprochen hatte, ihr überallhin zu folgen?“ lautet ein Schlüsselsatz im Roman. - Ich muß gestehen, daß mich die Kindheitserlebenisse Gemmas mit der vergötterten Schwester nicht immer überzeugten und daß die Relevanz dieser Erinnerungen sich mir nicht unbedingt erschloß.

Der Roman, der in der Landschaft zwischen Nordwijk und dem Haarlemer Polder, einer berühmten Hyazinthengegend, spielt, hat zum eigentlichen Gegenstand eine Straße, die Oude Zeestraat, die von der See über eine Düne zu den Blumenfeldern führt. Der Originaltitel lautet deshalb Zee - Binnen. Es ist die Straße, auf der Vincent den Taschenkalender findet, die Gemma befährt, als sie seine Praxis besucht, und die Vincent fortan nächtlich entlangrast, um sich mit seiner Geliebten zu treffen. Die Kapitel des zweiten Teils sind dementsprechend nach markanten Punkten dieser Straße benannt: „Der Kreisel“, „Scheunen, Wassergräben“, „Die S-Kurve“, „Die Kreuzung“, „Der Randstreifen“. - Mir erschien diese Metaphorik ein bißchen gesucht und vom Text her nicht ganz gerechtfertigt.

Die Oude Zeestraat ist berüchtigt wegen der vielen - zumeist tödlichen - Verkehrsunfälle, die sich auf ihr ereignen. In einem Epilog, dessen „parapsychologische“ Konstruktion mich wirklich geärgert hat, begegnet Noor, die von der Affäre ihres Mannes nichts bemerkt hat, dem vor über dreißig Jahren tödlich verunglückten Bruder Gemmas auf einer Düne. Laurens‘ Unfall auf der Oude Zeestraat, den die Autorin zum Schluß ausführlich schildert, soll darauf verweisen, daß Noor, die im Begriff ist, die gleiche Straße mit dem Auto zu benutzen, aufs äußerste gefährdet ist.

Das eigentliche Motiv dieses Romans scheint mir der Hyazinthenduft zu sein, der im Frühling über der gesamten Gegend liegt und die Menschen zu Verrücktheiten verleitet. Er zumindest wird sich dem Leser bleibend einprägen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 06+07/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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