Eine Rezension von Bernd Heimberger


Zeit der Zerrissenheit

Eva-Maria Hagen: Evas schöne neue Welt

Econ-Verlag, München 2000, 496 S.

 

Seit wann hackt eine Krähe der anderen ein Auge aus? Laßt euch, liebe Leute, nichts von Nina H. erzählen! Sie inszeniert, wo und was sie kann, daß es nur so klimpert - auch in der Kasse! Statt einen Schmatz für Mutti, hat sie ihr wieder mal eins auf die Nuß gegeben. Wiederum hat Mutti ihren Mund nicht im Zaumzeug gehalten. - Eva-Maria Hagen wartet nicht ab, bis ihr Erbin Nina eines fernen Tages das Nachsehen gibt. Mama räumt beizeiten alle Schubladen leer. Die schrecklichen, schönen, sinnlichen wie sinnreichen Briefe plündernd, hat Hagen in Eva und der Wolf alle Zweifler vom Zweck ihrer ungehemmten Direktheit und Deutlichkeit überzeugt. Vom allgemeinen Zuspruch für die Sache mächtig mobilisiert, macht die Groß-Mutter des Hagen-Clans munter weiter. Was Eva-Maria Hagen zu bieten hat, sind wahrlich keine mitleidserregenden Masturbationen einer frustierten Frau. Ungeniert haut sie „Herzangelegenheiten“ raus, die sie ihren Tagebüchern anvertraute, und die, neben anderen Selbstzeugnissen, eine Menge Material für Evas schöne neue Welt hergegeben haben. Unbefangen und gut begründet bekennt sich Eva zur schöneren Westwelt, in der sie komfortable Zimmer bezogen hat, ohne zu vergessen, daß das Fundament ihres Lebenshauses in der Ostwelt gegossen wurde. Vom Osten verstoßen, ohne von ihm innerlich loszukommen - wieso auch? -, hat Hagen seit ihrem Rausgehen aus dem „Ländchen“ - 1977 - intensiv eine deutschdeutsche Existenz gelebt. Nur wenigen Aus- und Übersiedlern ist das wirklich gelungen. Das macht die Äußerungen der Autorin wichtiger als vieles Geäußerte. Der zugemuteten Zerrissenheit zum Trotz, ließ sich Hagen nicht zerreißen. Das macht die Lebenskunst der Künstlerin aus. Wenn Eva-Maria Hagen tatsächlich etwas stabilisierte, so ihr steter Wunsch: „Ich sehne mich nach Harmonie.“ Wissend, daß sie Entschiedenheit und Eindeutigkeit am ehesten jedem Wunsch näherbringt. „Das Leben tut wieder mal nur weh“, schreibt Hagen just in der Stunde, als „Das Leben fetzt“, das heißt scheinbar himmelhohe Mauern einstürzen. So sind sie nun mal, die Schnappschüsse des Lebens, von denen die Verfasserin wiederholt redet. Evas schöne neue Welt ist eine Serie von Schnappschüssen. Besser im Wort als im Bild flieht das letzte Vierteljahrhundert des vergangenen Jahrhunderts vorüber. Gesehen, gedacht, gefühlt, gelebt von einer Frau, die glücklich darüber ist, „das Kind in mir nicht erdrückt“ zu haben. Gott hat ihr die Kraft gegeben, der Eva-Maria. Aber keine Zauberkraft, einen Tee zweimal aufzubrühen. Die einmalige Würze ist weg, seit Eva und der Wolf serviert ist.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 06+07/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

zurück zur vorherigen Seite