Eine Rezension von Hans-Rainer John


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Abgerungen der heiligen Inquisition

 

Peter Dempf: Das Geheimnis des Hieronymus Bosch
Roman.

Eichborn Verlag, Frankfurt/M. 1999, 408 S.

 

 

Hieronymus Boschs Triptychon „Der Garten der Lüste“ gehört unumstritten zu den bedeutendsten und faszinierendsten Werken der bildenden Kunst. Reich an „fabelhaften“ Figuren, Handlungen und Vorgängen, ermöglicht es vielfältigste Interpretationen. Peter Dempf (41) - er studierte Germanistik und Geschichte und schrieb bisher Lyrik, Drehbücher, Rundfunkbeiträge und Sachbücher - bekennt, daß er dem kühnen und ausschweifenden Bild seit seinem 18. Lebensjahr verfallen ist. Nun hat er seinen ersten Roman geschrieben. Er hat ihn diesem Gemälde gewidmet. Dabei kommt ihm zupaß, daß es seiner Vieldeutigkeit wegen oft als geheimnisvoll und rätselhaft apostrophiert wird und daß über seinen Schöpfer wenig bekannt und das Wenige in den Archiven der Inquisition verschwunden ist. Für einen Schriftsteller eröffnet sich also ein weites Feld der Deutung und der Spekulation.

Dempf hat es gut und geschickt bestellt. Es ist nicht die stilistische Qualität, die an dem Roman besticht (in dieser Hinsicht bleiben viele Wünsche offen), es ist eher der dramaturgische Zugriff, dessen sich der Autor bedient. Er hat die Handlung auf zwei Ebenen angelegt, in der Gegenwart und in der Zeit der Entstehung des Bildes, und es sich so ermöglicht, im Rahmen spannender Vorgänge das Bild (eine Reproduktion im Kleinformat ist dem Buche beigefügt) ausführlich zu beschreiben, sein unglaubliches inneres Leben zu enthüllen und einleuchtend zu interpretieren.

Madrid 1998. Im Prado ist auf das Triptychon Boschs ein Säureanschlag verübt worden. Der deutsche Restaurator Dr. Michael Keie und sein spanischer Kollege Antonio de Nebrija untersuchen den sehr begrenzten Schaden und verhören gemeinsam mit der Kriminalpsychologin Grit Vanderwerf den Attentäter. Es ist Pater Baerle, ein Dominikanerpriester, der in der Bibliothek von Salamanca in der Handschriftenabteilung tätig ist und Texte auf ihre theologische Rechtmäßigkeit überprüft. Er war dort auf ein Manuskript aus dem Jahre 1511 gestoßen. Petronius Oris, einer der Gesellen von Meister Hieronymus, schildert darin der Inquisition rechtfertigend die Umstände der Entstehung des „Gartens der Lüste“. Dadurch angeregt, wollte Baerle durch Säurespritzer auf ganz bestimmte Stellen des Bildes aufschlußreiche Symbole unter der weggeätzten Farbschicht zutage fördern.

Das Manuskript bietet nun die zweite Ebene: s’Hertogenbosch, 1511. Petronius Oris wird von Bosch als Geselle eingestellt und erlebt die ungeheuren Spannungen zwischen dem Rat der Stadt, den Dominikanern, die mittels der Heiligen Inquisition über die Reinheit der katholischen Lehre wachen, und der Gemeinschaft der Adamiten, einer Sekte, einer Bruderschaft des Freien Geistes, die mittels nudistischer Messen eine Geheimlehre pflegt und verbreitet, die die Herrschaft der katholischen Kirche untergräbt. In dieser Umwelt, da die Menschen um ihres Glaubens oder Wissens willen verfolgt, gefoltert, getötet werden, da die überwachende Bespitzelung allgegenwärtig ist, malt Bosch, der sich künstlich in Trance setzt, den „Garten der Lüste“, der den Dogmen der Kirche ketzerisch zuwiderläuft. Das kühne und obszöne Bild muß unter konspirativen Bedingungen entstehen und vor dem Zugriff der Inquisition aus der Stadt gebracht werden, ehe die Stimmung, die den geachteten Bosch noch schützt, zugunsten der Dominikaner umschlägt.

Unbestritten: Dempf bietet einen hervorragenden Zugang zu Boschs Meisterwerk, dessen ausufernde Symbolik auch heute noch viele Rätsel aufgibt, indem er den Leser zum aufmerksamen und staunenden Betrachter macht. Die Gegenwartshandlung ist im Stile eines gängigen Kriminalromans angelegt. Spannung erwächst vor allem daraus, daß Baerle die Motive seiner Tat entlockt werden, daß er plötzlich verschwindet und unkostümiert wieder auftaucht, daß irgendwelche Bewacher, dringend herbeizitiert, ausbleiben, und daß Grit Vanderwerf als undurchsichtig und verdächtig dargestellt wird. Das geschieht allerdings grundlos, denn sie hat es nicht auf die Negative der Röntgenuntersuchung, sondern - wie profan - auf Dr. Keie persönlich abgesehen. Mit der Überrumpelung des Mannes und einem Beischlaf an Ort und Stelle endet denn auch der Roman, wohl eine Konzession des Autors an Erwartungen des Lesers, die in letzter Minute nun auch noch erfüllt werden.

Der historische Teil gemahnt in seinen Vereinfachungen und oft künstlich gesetzten Spannungsmomenten (da zuckt der Held dreimal hintereinander zusammen, weil sich unerwartet von hinten eine Hand auf seine Schulter legt usw.) mitunter an ein Abenteuerbuch für Heranwachsende. Angesichts der geschilderten Verdienste und Vorzüge disqualifiziert das allein den Roman noch nicht. Daß das Buch, das anfänglich fasziniert und in den Bann schlägt, mit fortschreitender Lektüre enttäuscht, liegt vielmehr daran, daß es weit mehr Fragen aufwirft als beantwortet, daß es Mittelpunktsfiguren hat, die geheimnisvoll und undechiffrierbar sind und bis zum Ende bleiben. Da wird aus dem Langen Zuider, einem groben, stinkenden, grindigen Bettler, zunächst ein intelligenter, kenntnisreicher und vielseitiger Helfer und Partner von Petronius und schließlich sogar ein kraftvoller Reiter und Fährtensucher, ohne daß seine Entwicklung irgendwie begründet wäre oder sich seine soziale Lage geändert hätte. Zita van Kleve ist zunächst deftige Kellnerin in einer schlimmen Kellerkneipe, später führt sie als Eingeweihte des Bundes Unserer lieben Frau Petronius zartfühlend bei den Adamiten ein, dann taucht sie als Nonne bei den Dominikanern auf, am Ende geht sie schließlich mit Petronius auf und davon, ohne daß der jemals erstaunt ist über den Wechsel der Lager und des Outfits; eine Begründung gibt es nicht. Vor allem ist da Magister Jacob van Almaengien, Gelehrter, Stadtbürger, Freund und Vertrauter von Hieronymus Bosch. Es heißt, er verfüge über gewaltiges Wissen, da ihm aber Visionen fehlen, bedürfe er schöpferischer Geister wie Bosch und Petronius. Sein Geheimnis besteht darin, daß er eine Frau ist, und wer es aufdeckt, muß sterben (auch hier: keine Gründe). Ist diese obskure Figur der Kopf der Adamiten mit den Klauen einer Bestie? Einer Bewertung der Sekte geht der Autor aus dem Weg. Verbirgt sich auf dem „Garten der Lüste“ tatsächlich die Botschaft der Adamiten? Welche Verbindung besteht zwischen der Sekte und der Werkstatt Boschs? Alles bleibt in der Schwebe.

„Aber das alles klingt so phantastisch“, sagt Keie in dem Roman einmal zu Baerle. Gegen Phantasie, und sei sie noch so ausschweifend und verwegen, sind Einwände natürlich nicht angebracht, Logik aber sollte doch im Spiele, die wesentlichen Figuren sollten glaubhaft und realistisch sein, und Denkspiele sollten irgendwo ihre Auflösung finden. Das geschieht hier nicht, und deshalb legt man am Ende das Buch doch unbefriedigt aus der Hand.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 06+07/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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