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Auf Fontanes Spuren

Zu Besuch in der Geburtsstadt des Dichters

 

„Ruppin hat eine schöne Lage - See, Gärten und der sogenannte ,Wall‘ schließen es ein. Nach dem großen Feuer, das nur zwei Stückchen am Ost- und Westrande übrigließ ..., wurde die Stadt in einer Art Residenzstil wieder aufgebaut. Lange, breite Straßen durchschneiden sie, nur unterbrochen durch stattliche Plätze, auf deren Areal unsere Vorvordern selbst wieder kleine Städte gebaut haben würden. Für eine reiche Residenz voll hoher Häuser und Paläste, voll Leben und Verkehr mag solche raumverschwendende Anlage die empfehlenswerteste sein, für eine kleine Provinzialstadt aber ist sie bedenklich. Sie gleicht einem auf Auswuchs gemachten großen Staatsrock, in den sich der Betreffende, weil er von Natur klein ist, nie hineinwachsen kann. Dadurch entsteht eine Öde und Leere, die zuletzt den Eindruck der Langenweile macht.“ So Fontane über seine Geburtsstadt im 1862 erschienenen Band Die Grafschaft Ruppin, mit dem die Wanderungen durch die Mark Brandenburg beginnen.

Neuruppin, an einem Junitag 2000. Auf dem großen Platz vor dem ehemaligen Gymnasium, „auf dem wenigstens drei Kölner Dome hätten stehen können“, dröhnt aus Lautsprecherboxen Pop-Musik. Schüler toben sich beim Streetball aus. Info-Stände verschiedener Organisationen sind aufgebaut. Die AOK präsentiert einen Job-Tag. Wer mehr Informationen wünscht, kann im nahe gelegenen Hof der „Bilderbogen-Passage“ im Internet surfen. Im Schatten alter Bäume schaut vom Sockel König Friedrich Wilhelm II. dem Treiben gelassen zu. Durch seine Order wurde die durch den Brand von 1787 zerstörte Stadt im klassizistischen Stil wiederaufgebaut.

„Civibus aevi futuri“ steht wie zu Fontanes Zeiten in goldenen Lettern über dem Eingangsportal. Seit 1920 ist in dem ehemaligen Gymnasium die Bibliothek untergebracht. Schade, mittwochs ist Schließtag. Wir können also nicht nachschauen, ob es noch die „ausgelaufene Treppe“ gibt, die Fontane als Tertianer hinauf zum „alten Thormeyer“ stieg, ein „mindestens sechs Fuß hoher alter Herr, gedunsen und rot bis in die Stirn hinauf, die Augen blau unterlaufen ...“ Als literarische Figur ist dieser „Schulmonarch“, wie er im Buche steht, später im Stechlin verewigt. Aber allzu gut kommt er dabei nicht weg.

Vom alten Gymnasium sind es nur ein paar Schritte zur „Löwen“-Apotheke, in der alles seinen Anfang nahm. Hier wurde am 30.12.1819 Fontane als erstes Kind des Apothekers Louis Henri Fontane und seiner Ehefrau Emilie geboren. Das zweistöckige Haus Nr. 84 in der heutigen Karl-Marx-Straße hatte der Vater für 14750 Reichstaler gekauft. Gemächlich ruht ein frisch herausgeputzter Löwe über der Tür. In den Schaufenstern ein Porträt des Dichters. Dazu Apothekerwaage, Mörser, ein Rezeptbuch. Man weiß ja, was man einem ehemaligen Kollegen schuldig ist. Bis zu seinem 8.Lebensjahr lebte Fontane in der Stadt. Als Zwölfjähriger - die Familie war inzwischen nach Swinemünde verzogen - kam er für fünfzehn Monate zurück, um das Gymnasium zu besuchen. „Civibus aevi futuri“ - „Den Bürgern des künftigen Zeitalters“. „Ein solcher civis sollte ich nun auch werden“, erinnerte sich später der Dichter.

Neuruppin gehört zu jenen Städten, in denen trotz Weiträumigkeit im Zentrum alles gut zu Fuß erreichbar ist. Von der Apotheke sind es nur ein paar hundert Meter zum Heimatmuseum. Es hat sein Domizil in einem sorgsam restaurierten klassizistischen Bau vom Ende des 18. Jahrhunderts. Oben, im ersten Stock, zwei Räume, die der Zeit des Dichters nachempfunden sind. Mobiliar, Gemälde, Fotos aus dem Familienalbum, eine Auswahl von Werken, darunter die 1. Lieferung der wohlfeilen Ausgabe Wanderungen durch die Mark Brandenburg aus dem Jahre 1892. Im Bücherschrank das respektable, mehrbändige Conversations-Lexikon von Brockhaus, das Handexemplar Fontanes.

Nicht das epische Schaffen des Dichters steht im Mittelpunkt, so Dr. Irina Rockel, die Museumsleiterin. Die Besucher wollen sowohl etwas über Fontane als auch über die Region erfahren. Mit Gespür und Sachkenntnis sind Gegenstände, Bilder, Texte, Korrespondenzen zusammengetragen, die die vielfältigen Beziehungen Fontanes zur Geschichte und den Menschen dieser Landschaft veranschaulichen.

Für seine „Wanderungen“ hat er mehrfach in Neuruppin Station gemacht, zumal es noch private Bindungen gab. Die Mutter und die Schwester Elise lebten hier. Später siedelte sich auch sein jüngster Sohn Friedrich an. Vor allem Elise war dem Dichter eine unentbehrliche Helferin bei seinen Recherchen. Wieviel er ihr verdankt, geht aus einem Brief hervor, in dem er andeutet, ihr als „Meiner treuen Mitarbeiterin ...“ eine Widmung zu schreiben. Sie sammelte Material, vermittelte Kontakte, u.a. zur Neuruppiner Kaufmannsfamilie Gentz, deren Geschichte in den „Wanderungen“ ausführlich abgehandelt wird. Eine vergilbte Beilage der „Vossischen Zeitung“ vom 4. Januar 1874 liegt bei, wo erstmals das Kapitel „Gentzrode“ veröffentlicht wurde. Zu sehen auch Porträts von Leuten, die wir aus den „Wanderungen“ kennen. Der alte Zieten, der Husarengeneral aus Wustrau, ist dabei. Sein Sohn verfügte über eine umfangreiche Sammlung naturhistorischer, ethnografischer, vaterländischer Altertümer, die er zunächst dem Gymnasium übereignete und die heute den Grundstock des Museums bildet. Ein „Schatz“ dieses „Zieten-Museum“, konstatierte Fontane. Neben Illustrationen zu Effi Briest und Schach von Wuthenow Landschaftsimpressionen und Fotos vom Tornowsee und Stechlin, vom Rittergut Kränzlin, wo Fontane oft bei der Familie Scherz zu Gast war. Mit Hermann Scherz verband Fontane seit der Kinder- und Gymnasialzeit lebenslange Freundschaft. Gemeinsam reisten die beiden nach England, wo übrigens auch die Pläne für die „Wanderungen“ entstanden.

Auch Kurioses fehlt nicht. Ein Stück Holz, nein, nicht irgendeines, es stammt vom Birnbaum aus dem Garten des Herrn von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland. Das dies die pure Wahrheit ist, bezeugt auf ebendiesem Holz der Küster a.D. Ernst Seiffert. Den Baum gibt es nicht mehr. Im Frühjahr 1911 fiel er einem Sturm zum Opfer. Aber den Zungenbrecher von Herrn Ribbecks Birnbaum kennt dank Fontanes Gedicht heute jedes Schulkind. Und dann, zur vollen Stunde, der helle Klang einer Standuhr. Es ist das älteste Erinnerungsstück der Familie Fontane, über sechs Generationen blieb sie im Familienbesitz. Dem Dichter muß sie viel bedeutet haben, wie aus einem Brief an den Schwager Sommerfeldt am 29.Oktober 1867 hervorgeht. „Als einziger überlebender Sohn, der den Namen Fontane trägt, hätte ich vielleicht den nächsten Anspruch auf das viel besprochene Erbstück ....“ und sein Wunsch sei es, „dermaleinst bei dem Schlage derselben sterben zu können, bei dem Ticktack, wo Vater und Groß vater gestorben sind. Ich hätte sozusagen ein poetisches aus der Geburt erwachsendes Anrecht an die Uhr.“ Am 20. September 1898 ist Fontane in Berlin gestorben. Die Tochter Mete fand den Vater tot im Schlafzimmer, die Tür zum Arbeitszimmer mit der schönen Biedermeieruhr stand offen.

Seit 1998 nennt sich Neuruppin „Fontane-Stadt“. Ein Ehrenname, der ihr verliehen wurde. Der Dichter war seiner Geburtsstadt zeitlebens zugetan, worüber in vielen detaillierten Schilderungen nachzulesen ist. Wenn auch diese Zuneigung nicht frei von Widersprüchen war.

Unbestritten ist die „schöne Lage“ Neuruppins. Es gibt sie noch, die langen, breiten Straßen, die Wallanlagen und den schattigen Tempelgarten. In neuem Glanz erstrahlt an der Zentralen Omnibushaltestelle die Pfarrkirche mit dem Denkmal Schinkels, ebenfalls ein berühmter Sohn der Stadt. Am Ruppiner See, der „fast die Form eines halben Mondes hat“, die Schiffsanlegestelle und eine hübsche Uferpromenade mit frisch herausgeputzten Hotels und Gaststätten im Schutz der wuchtigen Klosterkirche. Die Buchhandlung samt Antiquariat führt, wie könnte es auch anders sein, den Namen des Dichters. Schon wenige Jahre nach seinem Tod hat die Stadt dem Dichter ein Denkmal gesetzt. Es zeigt einen würdigen, älteren Herrn. Hut, Stock und Schal sind abgelegt, in der linken Hand hält er ein Buch, rechts den Stift. Ist er gerade von einer seiner Wanderungen zurückgekommen? Oder sinniert er: „Wer in der Mark reisen will, der muß zunächst Liebe zu ,Land und Leuten‘ mitbringen, mindestens keine Voreingenommenheit. Er muß den guten Willen haben, das Gute gut zu finden, anstatt es durch krittlische Vergleiche totzumachen. Der Reisende in der Mark muß sich ferner mit einer feineren Art von Natur- und Landschaftssinn ausgerüstet fühlen. ... Es ist mit der märkischen Natur wie mit manchen Frauen. ,Auch die häßlichste‘ - sagt das Sprichwort -, hat immer noch sieben Schönheiten.‘ Ganz so ist es mit dem ,Lande zwischen Oder und Elbe‘; wenige Punkte sind so arm, daß sie nicht auch ihre sieben Schönheiten hätten. Man muß sie nur zu finden verstehn. Wer das Auge dafür hat, der wag es und reise“.

Recht hat er! Und vielleicht sollte man auch das im Jahr 2000 beherzigen: „Wenn du das Wagstück wagen willst -, füll deinen Beutel mit Geld‘. Reisen in der Mark ist alles andere eher als billig.“ Na, da wissen wir doch gleich Bescheid.

Gudrun Schmidt


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 06+07/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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