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Fontane in Zeuthen

Im Gespräch mit Joachim Kleine

 

Herr Dr. Kleine, Zeuthen (im grünen Gürtel von Berlin) besitzt drei Attraktionen: den Zeuthener See, DESY (Deutsches Elektronen Synchrotron) und den Fontane-Freundeskreis. Alle drei wiederum sind mit Fontane verbunden. Topographisch, wie noch zu zeigen sein wird, inhaltlich, weil das DESY dem Fontane-Freundeskreis für seine Veranstaltungen Gastfreundschaft gewährt. Diese Veranstaltungen können sich von der Zahl wie vom Inhalt her sehen und hören lassen. An vielen Abenden im Jahr pilgern seit nun 15 Jahren Freunde Fontanes und solche, die sich auf das Abenteuer Fontane einlassen wollen, zu den unterschiedlichsten Veranstaltungen Ihres Kreises. Höhepunkt ist der „Zeuthener Fontane-Tag“, der einmal im Jahr durchgeführt wird. Wissenschaftler und Publizisten stellen einem großen interessierten Kreis zu einem Thema ihre Forschungsergebnisse und Auffassungen in einer ganztägigen Veranstaltung vor. Der diesjährige Fontane-Tag war Freunden und Freundschaften der Fontanes gewidmet (nachfolgend veröffentlichen wir die Beiträge). Inspirator der Veranstaltungen ist Joachim Kleine, der als Vorsitzender des Fontane-Freundeskreises Zeuthen auch hierzu einlädt und mit hoher Sachkenntnis und Leidenschaft - aber auch einem unverwechselbaren Dialekt - wie immer, auch diesen Fontane-Tag moderierte. Wie kommt ein Sachse nach Brandenburg und zu Fontane?

Wie das Leben so spielt. Von Beruf Maurer, hatte ich mich in den fünfziger Jahre für eine Offizierslaufbahn bei der NVA entschieden. Die führte mich in den sechziger Jahren in die Umgebung von Berlin, und das Glück wollte, daß ich in Zeuthen eine Wohnung bekam und seitdem hier Wurzeln geschlagen habe. Unsere vier Kinder wuchsen hier auf, ihre Familien wohnen in der Nähe. Nur den Ältesten zog es zurück in die alte Heimat. Der fühle auch ich mich heute noch verbunden. Aber die engste und vielseitigste Bindung verspürt man doch zu dem Ort, wo man „zu Hause“ ist. Von den Erzählungen der Urgroßmutter her rührte mich immer auch die Geschichte meiner Lebenswelt an. Es dauerte nicht lange, und ich begann ihr auch hier in Zeuthen nachzugehen. Dabei stieß ich auf Theodor Fontane...

Nun wird Offizieren in der Regel nicht gerade nachgesagt, daß sie literarische Interessen pflegen. Ausnahmen gibt es natürlich, auch in der Geschichte Brandenburg-Preußens. Wie sind Sie zur Literatur, zu Fontane gekommen?

Zunächst möchte ich behaupten: Literarische Neigungen dürften sich bei Militärs nicht seltener finden als in anderen Berufen. Ausnahmen räumen Sie selbst ein. Es lassen sich aber nicht nur Schriftsteller finden, die einmal Soldaten waren - mir fällt auf Anhieb Ernst Jünger ein. Oder ein ganz anderer: Ludwig Renn. Oder Norman Mailer. Oder Simonow ... Um wieviel größer ist erst die Zahl derer, die sich dem Lesen und Schreiben aus bloßer Liebhaberei zuwenden! Einer der engsten und längsten Freunde Theodor Fontanes war Bernhard von Lepel. Er dilettierte lebenslang auf literarischem Feld und war - wie ich - Berufsoffizier.

Seit ich lesen kann, gehört Lesen zu meinen Leidenschaften. Daß Fontane dabei einmal einen gewichtigen Platz einnehmen würde, war eher dem Zufall geschuldet. Fontane war für mich bis in die 70er Jahre hinein ein Autor unter vielen, ein bemerkenswerter sicher, aber keineswegs derjenige, der für mich im Vordergrund stand. Gekannt habe ich von ihm verhältnismäßig wenig. Im Gedächtnis haften geblieben waren vorerst nur ein paar Balladen, wahrscheinlich aus dem Schullesebuch: der Ribbeck, John Maynard, Die Brück am Tay - es war wie bei den meisten. In den 70er Jahren half dann der Zufall nach: Leute aus einem Nachbarhaus baten mich, ihnen beim Bergen von Büchern von einem undichten Dachboden zu helfen. Das machte mich neugierig, und ich ließ es mir nicht zweimal sagen. Ich erinnere mich noch genau der Hitze an diesem Juli-Tag, während ich die zum Teil schon bedenklich beschädigten Bücher sichtete. Bald ergriff mich das Fieber des Schatzsuchers, denn was ich unter anderem in den Händen hielt, waren frühe Ausgaben der Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Beim Schmökern unter dem Dach stieß ich auf den Namen Hankels Ablage. Es war wie ein „Aha-Erlebnis“: Dort wohnte ich ja! Also lebte ich auf literaturgeschichtlichem Boden! Der Sache mußte einfach nachgegangen werden. Bald stellte sich heraus, daß sich Fontanes folgenreicher Aufenthalt hier - schließlich hat er im „Etablissement Käppel“ auf Hankels Ablage den Entwurf von Irrungen, Wirrungen vollendet - 1984 zum 100. Mal jähren würde. Die Idee, in Zeuthen daran zu erinnern, lag nahe. Natürlich gab es schon eine Fontaneallee, den Fontaneplatz und die Fontane-Lichtspiele in Zeuthen - beredte Zeugnisse dafür, daß die Zeuthener auch schon in der Vergangenheit den großen Brandenburger zu würdigen wußten. Was wir aber noch nicht hatten, war eine Gedenktafel, ein Gedenkstein, etwas, das an Fontane und Hankels Ablage erinnert. Es ist müßig, hier aufzuzählen, wie viele vergebliche Versuche es gab, um diese Idee umzusetzen. Zum Schluß kam jemand - es war Rudolf Weiß - auf die rettende Idee, wenigstens mit einer Veranstaltung dieses Jubiläum zu feiern. Auch hierzu waren Verbündete erforderlich. Als erste gewann ich den stellvertretenden Direktor des Instituts für Hochenergiephysik, Prof. Krecker, und Frau Ing. Linsbauer. Gemeinsam gelang es uns, das Fontane-Archiv in Potsdam, den Aufbau-Verlag, das Märkische Museum und andere für unser Vorhaben zu interessieren: eine Ausstellung über Fontane in Zeuthen. Allein zur Eröffnungsveranstaltung - einer Mischung aus Lesung, Film, Musik und literaturwissenschaftlichem Vortrag - kamen 120 Besucher. Ein unerwarteter Erfolg. Ich kann all denen, die uns selbstlos halfen, nicht genug danken: Dr. Erler vom Aufbau-Verlag, Dr. Keiler, später Dr. Horlitz vom Fontane-Archiv, dem Autor und Brandenburg-Kenner Albert Burkhardt, Jörg Lüderitz aus Grünheide und noch anderen - ich kann sie nicht alle namentlich nennen. Ohne ihre Sachkenntnis, ihre nur vom gemeinsamen Bestreben getragene Mithilfe und Begeisterung wäre ich nicht weit gekommen. So aber gibt es „uns“ nun bereits 15 Jahre, und „wir“ hoffen, noch ein bißchen älter zu werden. Die nächsten Ideen ergaben sich beinahe von selbst: Wir wollten Jahr für Jahr wenigstens eine literarische Veranstaltung anbieten. Ein Verein mußte her. Bereits ein Jahr später, am 17. April 1985, haben wir den Fontanekreis Zeuthen ins Leben gerufen. Anfangs unter dem Dach des Kulturbundes der DDR, sind wir inzwischen eine Sektion der Theodor-Fontane-Gesellschaft, an deren Gründung wir 1990 mitwirkten. Mitte der 90er Jahre gelang es endlich auch, den Fontaneplatz zu gestalten und ein Denkmal auf dem letzten, heute noch frei zugänglichen Teil der einstigen Ablage aufzustellen.

Seit zwei Jahren führen Sie mit dem „Zeuthener Fontane-Tag“ eine ganztägige Veranstaltung zum Leben, Werk und der Wirkung dieses Autors durch, die man ob ihres wissenschaftlichen Gehaltes eher in den Räumen eines germanistischen Seminars als in der Idylle Zeuthen erwartet. Daß Sie trotzdem - oder deshalb - einen großen Zulauf haben, spricht für diese Veranstaltungsreihe. Was ist Ihr Erfolgsrezept?

Mit der Hochschulgermanistik wollen wir durchaus nicht konkurrieren. Im Unterschied zu den Literaturwissenschaftlern der Humboldt-Universität Berlin zum Beispiel - die veranstalten „Fontanetage“ bereits seit den 80er Jahren, tauschen dort neue Erkenntnisse und Sichtweisen aus - verstehen wir die Zeuthener Veranstaltungen als zwar gehaltvolle, aber doch allgemeinverständliche Angebote für Literaturliebhaber im weitesten Sinne. Wir möchten Mittler sein zwischen Werk und Leser, zwischen Fachmann und Laien, nicht mehr- und nicht weniger.

Von Anfang an haben wir uns das Ziel gesetzt, mit unseren Angeboten Spuren im Gedächtnis der Teilnehmer zu hinterlassen, sie auf Fontane neugierig zu machen bzw. ihrer Neugierde Nahrung zu bieten. Das ging und geht nur durch eine gründliche Vorbereitung. Unser Grundsatz heißt: Lieber etwas weniger anbieten, dafür aber das Bestmögliche. Gleichzeitig wollen wir neben den „Fachleuten“ auch die „nur“ ganz allgemein an Literatur Interessierten zu Worte kommen lassen. Nur so kann sich Literatur schließlich verbreiten. Diese Balance, denke ich, haben wir einigermaßen halten können. Deshalb auch die jährlich wechselnden Inhalte und Formen: Sie wechseln zwischen Lesung, Vortrag, spielerischer Reflexion, einmal von Gästen, das andere Mal von uns selbst gestaltet.

1985 wurde der Fontane-Freundeskreis Zeuthen durch Sie begründet. Damals war Ihr Kreis ein Exot in der literarischen Vereinslandschaft der DDR. Die Ausnahmeerscheinung garantierte wachsenden Zulauf. 1990/91 erlebte, dank Mauerfall und Einheit, Fontanes Werk und Wirken weit über Berlin und Brandenburg hinaus eine so nicht erwartete Renaissance. Das Interesse an Fontane ist im allgemeinen gewachsen, die Neugier auf Ihre Veranstaltungen auch? Und ist dieses Interesse inzwischen auf „Normalmaß“ gesunken oder hält es an?

Gewiß hatten wir es in den ersten Jahren unserer Existenz leichter, Aufmerksamkeit zu erwecken mit unseren Veranstaltungen. Inzwischen hat sich das Angebot an Vorträgen, Aufführungen, Dokumentationen, Ausstellungen, Lesungen usw. zur Literatur im allgemeinen und zu Fontane im besonderen vervielfacht. Ganz zu schweigen von den vielfältigen alternativen Angeboten der Medien. Es stellt sich das „normale“ Interesse an Fontane wieder ein. Dies gilt es zu pflegen und zu hegen. Die Ansprüche an unsere Arbeit wachsen damit. Literatur findet auf vielfältige Weise ihre Verbreitung und über unzählige Wege ihre Leser. Ein Freundeskreis wie der unsrige kann dabei vieles befördern. Was mir Sorgen macht, ist, daß wir „vergreisen“. Es fehlen die Jungen, die darin für sich einen Sinn sehen. Dabei haben wir in den letzten Jahren zeitweise durchaus junge Leute, Schüler der Paul-Dessau-Schule, in die Gestaltung von Fontane-Themen einbeziehen können. Doch auf Dauer gelang dies noch nicht. Offensichtlich müssen wir uns - ganz im Geiste des Realisten Fontane - stärker den literarischen Strömungen der Gegenwart widmen.

Rund zwanzig Jahre nach der Entdeckung, daß Hankels Ablage und Ihr Wohnort identisch sind und Sie Ihren Weg zu Fontane fanden, sind Sie nun selbst Autor eines Büchleins geworden, das im vorigen Jahr unter dem Titel „Die Hankels auf Hankels Ablage. Wo Fontane in der Sommerfrische war“, erschienen ist. Sie, der Sie über Jahre Wissenschaftler, Publizisten, Schauspieler und Autoren zum öffentlichen Meinungsstreit über Fontane gewonnen haben, haben Ihre inzwischen erworbene Kenntnis über Fontane und den Ort publiziert und sind vom Moderator - der Sie ja bleiben - in die Reihe der Autoren gewechselt. Gibt es weitere Pläne?

Kleinere Beiträge für Zeitschriften allenfalls. So bin ich, von den Hankels und ihrer „Krugwirtschaft“ ausgehend, den Spuren aller alten Gaststätten auf Hankels Ablage gefolgt und denke, es ist etwas Lesenswertes dabei herausgekommen. Auch die Broschüre habe ich ja nicht aus schriftstellerischem oder historiographischem Ehrgeiz geschrieben. Sie ergab sich einfach als logisches Glied einer Kette. Im Laufe der Jahre hatte ich zu diesem Thema soviel Material gesammelt, daß die Kapazität unserer Dauerausstellung seiner Veröffentlichung Grenzen setzte. Andererseits erweckte die Ausstellung bei vielen Besuchern den Wunsch nach einem handlichen Dokumentenmaterial, einer kleinen Druckschrift. Mit Hilfe einer ortsansässigen Kleinverlegerin, der Fontanegesellschaft, von Firmen und vielen Freunden erblickte diese kleine Schrift das Licht der Öffentlichkeit.

Welches sind Ihre Pläne für den Fontane-Tag 2001?

Der wird wieder im April oder Mai 2001 stattfinden und - die Gründung des preußischen Staates jährt sich nächstes Jahr zum 300. Mal - dem widerspruchsvollen Verhältnis Theodor Fontanes zu Preußen gewidmet sein: seiner Sympathie für den altpreußischen Adel, seine Leistungen und seine Tugenden, doch ebenso Fontanes Antipathie gegen den zunehmenden Borussismus unter Wilhelm II., dem sich auftuenden Widerspruch zwischen Beschränktheit und militärisch betontem Geltungsanspruch - etwas vereinfacht gesagt. Auch dazu sollen in Zeuthen wieder namhafte Sachkenner zu Wort kommen: Prof. Nürnberger, Fontane-Biograph, Herausgeber und Vorsitzender der Fontane-Gesellschaft, hat bereits zugesagt. Desgleichen Prof. Peter Wruck, seit jahrzehnten Experte für diese Thematik. Vielleicht läßt sich auch Gerhard Friedrich in Heidelberg gewinnen, Autor des Buches Fontanes preußische Welt - viele sehen darin eine Art Gegenstück zu Hans Heinrich Reuters Fontanebild. Sinnigerweise referierte Friedrich 1999 auf einem Symposium in Meißen Fontanes Verhältnis zu den Sachsen. Das bringt mich zu Ihrer anfänglichen Frage zurück: Lokale Borniertheit war Fontane ja fremd. Liebe zur Heimat schloß bei ihm Anerkennung des Andersartigen ein. Und so wie er Preußen in Liebe und Erbitterung, Tadel und Bewunderung, Hoffnung und Sorge bis zuletzt verbunden blieb, wußte er auch an uns Sachsen manches zu schätzen. - Oder wie würden Sie diese Stelle aus einem seiner späten Briefe verstehen: „Daß der Volkscharakter gut sei, will ich nicht behaupten, aber alles vertritt einen Grad von Manierlichkeit, der bei uns (Preußen) doch noch vielfach fehlt. Alte Kultur ist kein leerer Wahn. Daß sie hier (in Sachsen) gegen alles Preußische gereizt sind, kann ich ihnen nicht verdenken; die Preußen gerieren sich als die Überlegenen und sind es doch vielfach nicht ...“ - Also, wenn Sie so wollen, hatte - und habe - ich in Zeuthen eine alte sächsische Dankesschuld an dem Alten aus Berlin, Potsdamer Straße 134 c, zu begleichen.

Das Gespräch führte Hans-Jürgen Mende


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 06+07/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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