Eine Rezension von Heinrich Buchholzer


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Kritischer Filter empfehlenswert

 

Jeffrey Archer: Das elfte Gebot
Roman.

Aus dem Englischen von Lore Straßl.

 Gustav Lübbe Verlag, Bergisch Gladbach 2000, 383 S.

 

Unter den zehn alttestamentarischen Geboten, die auch von überzeugten Christen nicht immer eingehalten werden, hat das Verbot des Tötens sicherlich besonderes Gewicht, obwohl es in der biblischen Rangfolge erst an fünfter Stelle steht. Moralischer Anspruch und alltägliches Verhalten sind jedoch zweierlei, auch in den bigotten USA, wo stündlich ein paar Dutzend Morde verübt werden. Nicht gerechnet jene gelegentlichen Morde, die amtlich zugelassen sind und amtlich totgeschwiegen werden.

Der vorliegende Roman von Jeffrey Archer suggeriert nämlich, daß dort Töten und Tötenlassen erlaubt sein können, sofern der jeweilige Präsident aller US-Amerikaner dies aus Gründen der Staatsräson für erforderlich hält, wobei es natürlich Sache des Präsidenten ist zu definieren, was er unter Staatsräson für den vorliegenden Fall verstanden wissen will. Historisch gesehen haben die Briten hierfür die handlichste Formel entwickelt: Recht oder Unrecht - mein Land! Der Präsident also darf die Auflassung geben, und eine ganz geheime Sektion eines seiner Geheimdienste beauftragt einen ihrer Mitarbeiter mit der Exekution.

Dieses rein männliche Fachpersonal hat die Lizenz zum Töten, sofern der allerhöchste Befehl erteilt wird. Das wissen wir eigentlich alles, seit es James Bond gibt. Hier bekommen wir die amerikanische Ausgabe von Ihrer Majestät bekanntestem Geheimagenten vorgeführt. Er ist geheimer als Bond. Weiblich sind nur die nichtsahnenden Sekretärinnen der ganz geheimen Sektion, jemand muß sich ja um die Flugtickets kümmern und Kaffee kochen, falls dies beides nicht auch top secret ist. Im beschriebenen Fall handelt es sich um einige Auslandsflüge, und die geschilderte Sektion ist ein offiziell nicht existenter Ableger der Agentur CIA, zuständig für die außenpolitische Drecksarbeit.

Jeffrey Archer beschreibt die Praxis recht anschaulich, auch die Behelfskette vom fiktiven US-Präsidenten Tom Lawrence bis zum Töter Connor Fitzgerald, ein Profi irischer Abstammung, was sich für dieses Metier immer gut macht, weil alle Iren ja zu Gewalttaten neigen, wie man auch aus der jüngsten britischen Geschichte weiß. Fitzgerald nun erschießt einen kolumbianischen Drogenboß, aber nicht wegen dessen Rauschgiftgeschäften, was man zur Not verstehen könnte, sondern weil er der falsche Präsidentschaftskandidat seines Landes ist, jedenfalls nach Ansicht der bösen CIA-Chefin Dexter. Der gute Präsident im Weißen Haus weiß aber in diesem Fall von nichts, die böse Dame macht eigenmächtig Politik.

Nachzuweisen ist ihre hochverräterische Praxis - Anmaßung der Befehlsgewalt des Präsidenten - jedoch erst bei der nächsten Aktion: Töter Connor Fitzgerald soll, bevor er nach 28 Jahren segensreicher Arbeit als CIA-Exekutor in Pension geht, einen letzten Auftrag ausführen und sich damit gleichzeitig ans Messer liefern, nämlich den designierten russischen Präsidenten umlegen. Der telefonische Auftrag kommt scheinbar aus dem Weißen Haus, tatsächlich aber hat die Dame Dexter den Anruf aus passenden Redetexten des US-Präsidenten zusammenstellen lassen.

Sie sorgt auch dafür, daß der lizenzierte Killer nicht zum Schuß kommt, sondern von den Russen festgenommen wird. Damit hat er gegen das elfte Gebot - du sollst dich nicht erwischen lassen - verstoßen, und seine Direktorin kann sicher sein, daß er diesen Fehler mit dem Leben bezahlen wird, also auch nichts über seinen Auftrag in Kolumbien erzählen kann. Zu Tode allerdings kommt er nicht, sondern kann, wenn auch arg lädiert, die böse Dame zur Strecke bringen. Dafür ist ihm sein Präsident ewig dankbar, und einen fetten Scheck bekommt er dazu.

Im Rücktitel des Buches wird die „Los Angeles Times“ zitiert: „Jeffrey Archer ist einer der besten Erzähler der Welt.“ Nun, erzählen kann er durchaus, wenn man das Handwerkliche nimmt. Die Geschichte ist professionell gebaut und wird mit verhaltener Spannung vorangebracht, wie es sich für einen Politkrimi gehört. Aber welch eine Räuberpistole mutet uns der Autor zu! Selbstverständlich bleibt es dem Leser überlassen, für sich zu entscheiden, wie weit Dichtung und Wahrheit des Tötendürfens der CIA miteinander verwoben sind. Archer erweckt allerdings durch seine Danksagung an den ehemaligen CIA- und FBI-Direktor Webster, den Ex-Generalstaatsanwalt Thornburgh sowie andere hohe Amtspersonen für „große Hilfe bei den Recherchen“ den Eindruck eines Wahrheitsgehalts des Roman-Hintergrunds, der durch keine seriöse Quelle bestätigt werden kann. Bleiben also der üble Ruf der CIA und die gängige Ansicht, daß Geheimdienste „notfalls“ eben auch morden dürfen, wofür es durchaus Indizien gibt. In dieser Grauzone nutzt der Schriftsteller Archer seine wie auch immer zu qualifizierende Freiheit, Figuren und Ereignisse zu erfinden, deren Wahrscheinlichkeit fragwürdig ist.

Besonders schlimm erscheint einem halbwegs anspruchsvollen Leser, der einige moralische Mindestmaßstäbe nicht pervertiert wissen möchte, die Zeichnung des Killers Fitzgerald. Er ist ein gebildeter und geschmackvoller Mensch mit guten Manieren, ein vorbildlicher Ehemann und Vater, heißgeliebter Gatte und inniggeliebter Dad. Er ist ein standhafter und höchstdekorierter Kriegsheld aus dem fatalen Feldzug gegen den grausamen Vietcong und ein geachteter Freund zahlloser Ehrenmänner überall in der freien Welt, wie sich bei seiner fingierten Beisetzung zeigt. Merke: Killer sind anders, sie können große Vorbilder sein.

Besonders mißlungen erscheint einem politisch interessierten Leser das Sittengemälde Rußland. Archer bedient jedes Klischee, das eine Boulevardpresse im Nachgang zum Kalten Krieg zu bieten hat, von einem russischen Präsidenten (Nachfolger des bei Archer bereits verstorbenen Jelzin) als gefährlichem Stalin-Imitator bis zur allmächtigen russischen Mafia, deren Oberhaupt ein veritabler Zar ist, Sproß des Hauses Romanow. So gerät ein beträchtlicher Teil des Buches zur ungewollten Parodie mit einer offenbar gewollten unterschwelligen Botschaft: Im Grunde ist Rußland noch immer der Feind.

Der englische Autor, als Sir Jeffrey Mitglied des britischen Oberhauses, wie immer er in seinem wechselvollen Leben dazu gekommen ist, hat ein gekonntes, aber kein gutes Buch vorgelegt. Es bleibt unter dem Niveau, das man von einem Politkrimi verlangt, der Akzeptanz bei einem gesellschaftlich und literarisch interessierten Publikum sucht. Wer sich von diesem Roman unterhalten lassen möchte, sollte einen kritischen Filter verwenden.

Wahrscheinlich ein Zufall, vielleicht auch Absicht - die mit wenigen Strichen scharf konturierte CIA-Direktorin Dexter, böse Fee dieses geheimdienstlichen Märchens, die sich selbst hat erwischen lassen, assoziiert eine reale Gestalt der nordamerikanischen Politik: Außenministerin Albright. Honi soit qui mal y pense. Verachtet sei, wer Arges dabei denkt.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 05/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.luise-berlin.de

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