Literaturstätten


Bücher auf grünem Grund

Marga Schoellers Bücherstube gehört zu den Top ten der englischsprachigen Literatur

 

Bücherstube - das klingt im Internet- und Cyberspace-Zeitalter nach Wohnzimmer-Behaglichkeit. Wände mit Regalen bis hoch zur Decke, keine Bücher unter Folienhaut, statt Mausklick Verführung zum Berühren, Blättern, Festlesen. Die Besucher wissen das zu schätzen. Viele sind seit Jahren in Marga Schoellers Bücherstube in der Knesebeckstraße Stammkunden. Es kommen vor allem Leute, die in der Gegend wohnen oder hier arbeiten. Die Straße und der benachbarte Savignyplatz gelten seit jeher als Mekka für Bücherfreunde. Antiquariate mit bibliophilen Kostbarkeiten, auf Kunst spezialisierte Fachbuchhandlungen, Galerien. An schönen Sommertagen werben Wühltische vor den Geschäften um Aufmerksamkeit. Wer sucht, der findet. Thomas Rodig, einer der beiden Geschäftsführer aus Marga Schoellers Bücherstube, sieht die Konkurrenz durchaus positiv. Die Besucher gehen von einer Buchhandlung zur anderen, lassen sich inspirieren und informieren, und im besten Fall wird gekauft. Besonders der Sonnabend sei Büchertag. Und während gelegentlich der Lesung mißtraut wird, weil es schicker ist, einen Event zu veranstalten, hat die Lesung hier nichts von ihrer Anziehungskraft verloren. Die Plätze reichten nicht, als kürzlich Peter Schneider aus seinem neuen Buch Die Diktatur der Geschwindigkeit las. Die Reportagen zum Deutschlandbild der Amerikaner oder Texte über Begegnungen im sich verändernden Deutschland nach der Wende boten viel Stoff für eine lebendige Debatte. Ähnlich war es, als eine Woche später die Berliner Literaturwissenschaftlerin Nyota Thun ihre neue Majakowski-Biographie Ich - so groß und so überflüssig vorstellte. Zu rund zehn Veranstaltungen mit Autoren lädt die Bücherstube im Jahr ein. Tilman Spengler, Robert Gernhardt, Ines Geipel waren zu Gast. Die Besucher sitzen inmitten der Bücherwelten auf schmalen Klappstühlen, so finden viele Platz. Nach den Lesungen wird meist noch ein Glas Wein gereicht, Zeit auch für individuelle Gespräche mit dem Autor oder zum Stöbern in den grünen Regalen. Am Eingang liegt ein Gästebuch aus. Wer sich einschreibt, erhält Einladungen für künftige Veranstaltungen.

Bücherstube ist nicht mehr ganz zutreffend, denn mit 160 Quadratmeter Verkaufsfläche ist die Wohnzimmerdimension überschritten. In mehreren Räumen finden die Kunden ein gut sortiertes, vielseitiges Angebot. Und der Computer ist hier genauso präsent wie anderswo. Neu seit dem vergangenen Jahr ist eine Kinderecke mit Schaukelpferd, niedrigen Stühlen und Lesetisch. Früher war dieser Raum der Filmliteratur vorbehalten. Aber um einen kompletten Überblick über das immer umfangreicher werdende Gebiet zu präsentieren, hätte der Platz nicht gereicht. Außerdem gibt es in der Nähe darauf spezialisierte Fachbuchhandlungen.

Ein besonderer Schwerpunkt in Marga Schoellers Bücherstube bildet seit jeher die englische und amerikanische Literatur. Im vergangenen Jahr würdigte die führende englische Fachzeitschrift „The Bookseller“ die engagierte Arbeit der Berliner mit der Einstufung als eine der zehn besten Buchhandlungen mit englischsprachiger Literatur in Europa. Unter die Top ten gelangte in Deutschland nur noch eine Buchhandlung in München.

Mit dieser Auszeichnung hat sich die Bücherstube selbst ein schönes Geschenk zum 70.Jubiläum gemacht. Marga Schoeller war 24 Jahre, als sie 1929 am Kurfürstendamm 30 ihre kleine Bücherstube eröffnete. Der Kudamm war damals mehr Flanier- als Shoppingmeile wie heute. Theater, Cafés lagen am Wege. Bald wurde die Bücherstube zu einem Treffpunkt von Künstlern. George Grosz, Walter Mehring, Gustav Gründgens, Johannes Tralow, Robert Musil, Elias Canetti, Ilja Ehrenburg, Ricarda Huch, James Baldwin, Erich Kästner schauten vorbei. Das Gästebuch von damals wartet mit großen Namen auf. Beliebt war die Bücherstube wohl auch, weil „braune Literatur“ hier nicht zu finden war. Mit Zivilcourage versteckte Marga Schoeller im Keller Bücher von Autoren, die verfemt waren und deren Werke im Mai 1933 von nationalsozialistischen Studenten ins Feuer auf den Opernplatz geworfen wurden. Marga Schoeller hatte Glück, niemand hat sie verraten. Als in den Kriegsjahren amerikanische und englische Literatur nicht mehr genehm war, hielt sich die junge Frau mit dem Verkauf von Pferdebildern über Wasser. Nach dem Krieg fuhr sie mit dem Fahrrad umher, um den Bestand wieder aufzubauen. Ihr Geschäft gehörte zu den ersten, die eine Lizenz zum Buchverkauf bekamen. Englische Titel wurden wieder aufgenommen und die englische Abteilung kontinuierlich ausgebaut. Ein zweites Geschäft kam hinzu. Das Antiquariat teilte man sich mit der Galerie Gerd Rosen. Auf einer Lesung erinnerte neulich ein Besucher an die Glanzzeiten. Stets umlagert seien in den sechziger Jahren die Vitrinen zwischen den beiden Läden in der Kurfürstendamm-Passage gewesen, wo aktuelle Buchrezensionen, aber auch Artikel zum Zeitgeschehen ausgehängt waren. Die Gruppe 47 tagte bei Marga Schoeller, zum Programm gehörten Lesungen, Ausstellungen mit englischen Verlagen. 1974 mußte sich die Bücherstube eine neue Bleibe suchen. Der Eigentümer hatte den Buchmenschen gekündigt. Einige der grünen Regale, erzählt Marga Schoellers Sohn Thomas Rodig, stammen noch aus der Kudamm-Zeit. Sie werden bleiben. Aus Tradition und „weil Grün gut zu Büchern paßt“. Er und seine kleine Mannschaft sehen sich heute vor neuen Herausforderungen. Kaufgewohnheiten verändern sich, viele Leser machen gern Gebrauch davon, über Internet zu bestellen und mit Kreditkarte zu bezahlen, einen langen Schatten werfen die Großen der Branche. Aber so lange es noch Leute gibt, die den unmittelbaren Kontakt, das Gespräch mögen, haben auch Buchhandlungen als Mittler zwischen Literatur und Leser eine Chance.

Gudrun Schmidt


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 05/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.luise-berlin.de

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