Eine Rezension von Volker Strebel


Das unbekannte Mädchen aus Prag

Josef Škvorecký: Feiglinge
Aus dem Tschechischen von Karl-Heinz Jähn.

Franz Deuticke Verlag, Wien 2000, 494 S.

 

„Da brennen sie, die Tiger und die Panther, und die SS-Männer mit ihren Lederhelmen springen schnell aus den Turmluken, fallen in den Dreck und flüchten auf die Felder, während die kleinen grünen Spitfires sie im Tiefflug abschießen. Ich fühlte mich großartig. Im Zimmer war es dunkel und warm, auf dem Piano lag aufgeschlagen der Klavierpart des ,Yellow Dog Blues‘, draußen war Nachmittag, und die Fahnen hingen schlaff im Regen.“ Von Danny Smirický, dem ewig unglücklich verliebten Helden, wissen wir etliches aus seiner Schulzeit (Eine prima Saison) und vieles aus dem späteren Leben (Der Seeleningenieur), als er im kanadischen Exil als Hochschullehrer seine Jahre verbrachte. Mit Feiglinge schließt sich eine Lücke in diesem biographischen Bogen eines halben Jahrhunderts, obwohl dieser Roman lediglich den Zeitraum einer Woche umfaßt. Zwischen Freitag, dem 4. Mai 1945, und Freitag, dem 11. Mai 1945, spielt sich in Kostelec, dem böhmischen Heimatstädtchen von Danny Smirický, das widersprüchliche Drama des Kriegsendes ab. Helden waren sie nicht, die Einwohner des Städtchens, und die ausgehängten Fahnen werden schnell gewechselt und vertauscht, je nach dem Stand der Front oder den Gerüchten darüber. Und die wirklichen Helden fallen, wie Hrob, „der kleine Rothaarige. Aus der Grundschule“, von einem Schuß getroffen, kopfüber mit dem Gesicht ins Gras, ohne daß es jemand sieht. Außer Danny Smirický - aber auch dessen unfreiwillige Heldenrolle bleibt letztlich verborgen.

Jeden Tag warten Danny und seine Freunde auf den Aufstand gegen die sich auf dem Rückzug befindliche deutsche Wehrmacht. Noch ist der Kanonendonner der sich nähernden Roten Armee nur zu hören, und die Deutschen sind nicht mehr richtig im Sattel. Ein Zwischenraum entsteht, den die Kostelecer nutzen, um eine nationale Bürgerwehr aufzustellen. Klar, daß Danny und seine Freunde dabei sind, wenn auch nicht aus voller Begeisterung: „Mein Gott, immer, aber auch immer, ist mir im Leben alles vermasselt worden, verdammt. Immer mußte ich irgendwohin gehen, wenn ich gern bleiben wollte, und immer mußte ich irgendwo bleiben, wenn es herrlich gewesen wäre, anderswo hinzugehen. Ständig kam mir etwas dazwischen. Aber das war ganz ich. Jawohl. Vielleicht war ich wirklich nicht geschaffen dafür, nicht für die Liebe, nicht für das Glück, für nichts.“ Dannys große Liebe, Irena, ist fest mit Zdenek liiert, und alle Überredungskunststücke wollen nichts nutzen. Aber da sind auch noch Lucie und Evka und Mizzi. Danny sehnt sich nach einer wirklich großen Liebe, welcher er nichts vorspielen muß, und er malt sich ein unbekanntes Mädchen in Prag aus, die, ohne es zu wissen, bereits auf ihn wartet. „Ich dachte an die andern Jungs und wußte, daß sie alle nur ihr Mädchen im Kopf hatten und von ihren Mädchen und von sonst nichts sprachen. Nur noch von der Musik. Ja. Von der Musik und von den Mädchen. Das war das Leben. Die Musik war etwas Herrliches, und alles, was ich dachte, ob Vergangenes oder Bevorstehendes, stand immer im Zusammenhang mit der Musik und mit den Mädels.“

Als Kitt all der existentiellen Kümmernisse bleibt der Jazz. Danny Smirický läßt dann alles hinter sich, was ihn betrübt und bewegt hat, sobald die Jungs zu ihren Instrumenten greifen. Danny spielt das Saxophon, und er weiß, daß er das Leben, wie es sich ihm darstellt, liebt, daß sich Höhen und Tiefen ergänzen und ertragen lassen, sobald die Musik ertönt: „Und dort stand ich und hatte ein weißes Sakko an und spielte mein schönes zärtliches Solo I’ve Got A Guy oder das wüste Hotsolo in Liza Likes Nobody, und ich fühlte mich so wohl wie nie zuvor; nie ist einem so wohl, als wenn man spielt. So stand ich da, und Herr Fluxa strahlte mich mit dem Scheinwerfer an, und ich stand dort, ganz in Weiß, mit den Koteletten und dem blitzenden Saxophon, und im Dunkeln des Saals saß Irena und beobachtete mich.“

Der Roman Feiglinge war bereits 1958 in der Tschechoslowakei erschienen und löste durch seine Benennung zahlreicher tabuisierter Themen jenen Respekt aus, welchen der Autor - trotz Emigration und zwanzigjährigem Publikationsverbot - bis heute dort genießt.

Josef Skvorecký ist ein Magier des Atmosphärischen und zugleich vermag er nichts Geringeres, als die Geschichte unserer Zeit in packender Weise zu erzählen. Ein mitteleuropäischer Romancier, der zu den ganz Großen gehört und dessen Können sich endlich auch unter deutschsprachigen Lesern herumzusprechen beginnt.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 05/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.luise-berlin.de

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