Eine Rezension von Friedrich Schimmel


Ein ewig Ruheloser: Goethe im Krieg oder unter Frauen

 
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Eckhard Henscheid: Goethe unter Frauen
Mit Illustrationen von Klaus Ensikat.

Alexander Fest Verlag, Berlin 1999, 229 S.

 

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Dieter Kühn: Goethe zieht in den Krieg
Eine biographische Skizze.

S. Fischer Verlag, Frankfurt/M. 1999, 283 S.

 

  Goethe-Jahr ist immer. Und längst ist der Berg der im vergangenen Jahr erschienenen Bücher von und vor allem über Goethe noch nicht abgetragen. Denn es gibt nur wenige Autoren, die es sich verkniffen haben, noch immer eine unentdeckte Seite im Leben Goethes auszuleuchten. Dieter Kühn, Spezialist für Dichter-Biographien - unter ihnen Oswald von Wolkenstein, Wolfram von Eschenbach oder Clara Schumann - läßt Goethe in den Krieg ziehen. Er entdeckte einen „Spielraum“ für sich, registrierte staunend: „Goethe leitete das Weimarer Militär-Departement, er nahm teil an Rekrutenaushebungen, er bereitete den Verkauf von Soldaten ins Ausland vor. Bei solchen Bindungen ans Militär war es kein Wunder, daß er an drei ,Kriegsoperationen‘ teilnahm: Am Aufmarsch in Schlesien, am Feldzug in Frankreich, an der Belagerung von Mainz.“ Daß auch der Krieg zweimal zu ihm kam (und zu Christiane, die sich zu wehren wußte), bietet Stoff genug. Nicht für einen Roman, nur für eine biographische Skizze. Daß Goethe Herzog Carl Augusts „Waffenbruder“ war, ist nicht unbekannt. Neu ist der Blickwinkel, unter dem hier das Ereignis erzählt wird: „Eine Geschichte aus Goethes Leben, geschrieben in Goethes Gartenhaus von einem Wolfgang, einem Wolf von Goethe: ja, das sollte früh schon so dargelegt, offengelegt werden.“ Und in dieser Art geht es dann munter drauflos. Die Episode heißt Champagne in Frankreich und besteht aus zwei Teilen. Zuerst das Erlebnis, eine Kette von großen oder kleinen Ereignissen. Danach die Niederschrift Goethes Jahrzehnte nach der „Episode“.

Wolfgang Maximilian Goethe, Enkel und Nachlaßverwalter des Dichters Goethe, schreibt ein Buch. Genauer, er schreibt nur, wie das Buch ungefähr aussehen soll. Und das ist aber dann auch schon das Buch, das hier vorliegt. Er sammelt, recherchiert, rekonstruiert. Alles in der betulich-langsamen Art eines aktenwälzenden Akteurs. Denn für den heißt Schreiben „diktieren“, und das „kam meiner Mentalität entgegen, die allzu große Anstrengung scheut“. Auch Goethe selbst erscheint im Text, denn Maximilian rekonstruiert, so gut es ihm nur möglich ist. „Rekonstruktion mit Spielraum“ wird das genannt und dabei nie vergessen, daß es ja nur das zu schreibende Buch ist, worüber der Enkel nachsinnt. Dieser Goethe: „Er wird also allein am Tisch sitzen. Eine Tasse Fleischbrühe, langsam ausgetrunken. Nur selten Kaffee: ist teuer, scheint ihm ungesund. Wie nach innen verspiegelter Blick: Konzentration bereits auf den Text?“ Man kann es auch ironisch verstehen, wie hier ganz penibel an den Einzelheiten, an den wenigen verbürgten und an den etwas häufigeren erfundenen, vorgestellten gefeilt wird, wenn es um Stretegien im Kriege, um die Unterhaltung der Soldaten geht.

Trotz aller Miseren verliert Goethe im Krieg kaum die gute Laune, meint Dieter Kühns Maximilian. Und ein bißchen Spannung kommt wahrscheinlich schon auf in dem Buch, das geschrieben werden soll, denn Goethe entzog sich mitten im Krieg dem Krieg. Wie man das macht? Man singt Lieder und rezitiert Verse, auch „erotisch Unterhaltsames“, beschäftigt sich mit Farbenlehre und Mineralogie, projektiert und reflektiert Poetisches. Während Maximilian eifrig in der Bibliothek Goethes nach fündigen Stellen sucht, Zeitzeugen befragt und immer wieder aus den Werken zitiert. Dies wird mal forciert, dann wieder behäbig vorgetragen, immer durchwoben von den Unsicherheiten und Selbstzweifeln des Autors Goethe, Wolfgang Maximilian. Es bleibt zum Schluß eine komische Situation, die Schlacht ist verloren, das Wort nach der Kanonade von Valmy gesprochen, und Goethe mithin in einem „Hochgefühl“. Der Erzähler weiß es auch nicht, er ist auf Vermutungen angewiesen: „Die Erleichterung, aus dem Groben und Gröbsten heraus zu sein? Niedergedrückte Lebensgeister werden wieder munter? Die übertriebene Lustigkeit von Männern nach Strapazen und Gefahren?“

Für den Leser ist es nicht strapaziös, dieser biographischen Skizze zu folgen. Nur bisweilen erschüttert die schwerfällig abwägende Mentalität von Goethes Enkel die erzählerische Spannung. Keine Höhe, kein Abgrund, überwiegend lustarme Mühen der Ebenen.

Und noch einmal Goethe, weil es so schön schon zu schmerzen begann. Diesmal hat ein Satiriker und ein Kritiker zugleich seinen Versuch abgeliefert. Eckhard Henscheid, bekannt durch eine scharfe Zunge und spitze Feder, nennt sein Buch Goethe unter Frauen, was ja doch sogleich im Titel eine halberotische Anspielung sein sollte. Zumal auf dem von Klaus Ensikat gezeichneten Schutzumschlag in der Mitte die große, grobe Kartoffelnase prangt. Ein Kapitel in diesem Buch, in dem scheinbar Goethes Frauen zu einerlei-allerlei Worte kommen, ist aus der Sicht von Christiane gedacht. Mehr gedacht als erzählt. Zusammengedacht, verschroben montiert, nörglerisch gebosselt, selten satirisch zugespitzt. Also, Frau Christiane, die es wissen sollte, moniert: „Bei Goethe aber hat mir, ehrlich gesagt, weniger das allseits bejubelte Auge („Jupiterauge“ u. dgl.) gefallen, sondern der schöne Hinterkopf und die enorm große Nase. Diese richtig kartoffelgestaltige Nase. Man sagt ja auch nicht zu Unrecht, wie die Nase des Mannes, so auch sein Wolfgang Johannes.“

Große Nase, kleiner und gedrungener Körper, so wandelt Goethe als der Zwerg Nase der deutschen Literatur durch dieses durchgehend von Klaus Ensikat illustrierte Buch. Auf der Rückseite des Schutzumschlages heißt es zum Illustrator: „Erst jetzt legt er im Verein mit Henscheid richtig los.“ Wer andere, zumeist herrliche Kinderbücher von Ensikat kennt, könnte ein bißchen enttäuscht sein, aber der mutige Leser, der sich grinsend und gelangweilt durch die Seiten schlängelt, bekommt außer der pornographisch inszenierten Nase auch hübsche Vignetten zu sehen.

Eckhard Henscheid muß dem 250. Geburtstag Goethes heftig entgegengefiebert haben. Zuerst brachte der Verlag Zweitausendeins eine Nachauflage seiner Sammlung Unser Goethe. Ein Lesebuch heraus, mit Zeichnungen von Bernstein. Und nun diese dubiose Versammlung von Frauen, die aus Goethes Leben stammen. Ob Friederike oder Christiane, ob Mutter Aja oder Marianne, Ulrike oder Frau von Stein, sie alle schwadronieren hier in einem wild galoppierenden Jargon, der der schwatzenden Lust des Autors Henscheid entspringt. Alle sprechen sie schnoddrig wie von heute; halb dämlich, halb schlaumeiernd. Die eine kennt den Franz Josef Strauß, die andere den Boris Becker, allesamt kennen sie die Quellen der Literatur (primär und sekundär), eine jede steckt fleißig ihre Nase auch ins Feuilleton der FAZ. Mal ist die Schreibweise gesucht ältlich, dann ist alles, sogar bis auf die falsche Schreibweise, hochmodern-deutsch. Keiner möge sich nachher beim Autor beschweren. Eckhard Henscheid gibt schon auf Seite 8, bevor Goethes Mutter ans Spottpult tritt, bekannt, daß zuweilen die „Protagonistinnen allerdings auch manches durcheinander“ bringen, und sie „erinnern sich falsch oder schwärmen“.

Persiflage kann heißen, was gekonnt und witzig verspottet, was geschmäcklerisch durch Kopf und Finger gegangen ist. Henscheid hat vermutlich keinen guten Deutschlehrer gehabt oder einen, der ihm den Goethe schon früh kleingehackt serviert hat. Und so ist auch hier die Methode die des kecken und tolldreisten Zerstückelns um fast jeden Preis. Henscheid zitiert eine Bemerkung Goethes gegenüber Eckermann (den er auch gern mal Eckermeier nennt): „Meine Idee von den Frauen ist mir angeboren ...“ Und fragt danach: „War Goethe damals öfter mal angezwitschert? Oder halt einfach doch nicht so ganz bei der Sache respektive bei Trost?“ Und so weiter. Satire und Persiflage sind Willkür, aber ist das nicht albernes Blödeldeutsch, was hier vorgeblich Mutter Aja von sich gibt: „Ja, eine gewisse ,Verfremdung‘ (Bert Brecht) zwischen mir und meinem Sohn Goethe war ehedem wohl unvermeidlich oder jedenfalls unverkennbar ...“ Oder Friederike: „Allerdings warf Goethe, wie ich heute weiß, vielleicht ursprünglich gar nicht so sehr auf mich ein Auge, sondern vielmehr auf unsere gesamte Familie Brion; auf das Pfarrhaus, welches ihn wohl (doch, das findet sich in seiner für 1999 auch vom französischen RAF-Fernsehen verfilmten Autobiographie) an jenes des damals gern- und vielgelesenen ,Vicar of Wakefield‘-Romans von Alwin Goldsmith erinnerte und entsprechend ,anmachte‘, wie man in meiner Jugend im überaus ländlichen Elsaß sagte.“

Eckhard Henscheid/Charlotte von Stein palavert sogar: „Im übrigen finde ich mich als Traumgeliebte und ,Sex-Symbol‘ (,Münchner Abendzeitung‘) für ein Top-Model auf der bekannten von Goethe getuschten Silhouette von 1774 eigentlich sogar etwas zu dick geraten - ich habe auch kein Doppelkinn und hatte nie eines, Herr v. Goethe!“ Würde man einen von diesen elf Texten im Feuilleton lesen, wäre alles nicht sonderlich schlimm aufregend und schnell wieder vergessen. So aber quetscht sich der quietschend-quatschige Text über fast 330 Seiten hin. Ein schlapper Verschnitt von allerlei Texten, von willkürlichem Spiel und löchrigem Zitat. Wird ein Gedicht zitiert, folgt sofort läppischste Banalisierung. „Hui, das peitscht so richtig!“ meint „Lili“. Und Charlotte von Stein beklagt sich über die Feierei zu Goethes 250. Geburtstag, weil die Deutschen „eben immer was zum Feiern und Verehren brauchen. Und in der Folge verehren sie dann auch gleich mich noch mit. Mich und diese ganzen anderen blöden Weibsen. In der Not fressen sie halt Fliegen.“

Bettina von Arnim hat auch Grund zur Klage. Daß sie „leider nur auf dem Fünfmarkschein drauf“ ist. Viel lieber sähe sie sich „auf den vielleicht nächstens bevorstehenden 300-Mark-Scheinen - oder auch meinetwegen dann als Euro. Von 150 Euro aufwärts ist mir im Prinzip alles genehm.“

Ganz zufrieden scheint auch Eckhard Henscheid mit diesem Buch nicht zu sein. Auf der letzten Seite sieht er in der Darstellung von Klaus Ensikat recht griesgrämig in den leeren Raum hinein, in dem zur Zeit kein einziger Leser seiner Goethe-Frauen-Schnapsiade sitzt oder steht, denn der Rummel des letzten Jahres ist verflogen. Auch Goethes eilig zusammengestückelte Stopf-Schnatter-Gänschen, von Eckhard Henscheid aufwendig erfunden und mühevoll vorgestellt, haben sich nach kurzer Hör- und Leseprobe wieder auf und davon gemacht, der Rest ist Schweigen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 05/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.luise-berlin.de

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