Eine Rezension von Alfred Büngen


Gedanken und Gefühle eines Lebens in Zweisamkeit

Gisela Conring: Keine Falte meiner Zeit würde ich ausradieren
Gedankenwanderung.
Mit Illustrationen von Uwe Conring.

Geest-Verlag, Sage Hast 2000, 120 S.

 

Gisela Conring legt im kleinen Geest-Verlag ein umfangreiches prosaisches und lyrisches Buch ihres Schaffens vor. Kein Geringerer als ihr großer norddeutscher Autorenkollege Johannes Diekhoff vermerkt zu dem Buch, daß er als Leser und Wiederleser des Bandes „einen eigentümlichen Reiz der Betroffenheit“ verspürt habe. Genau diese, jeden Leser rasch ergreifende Betroffenheit macht den Stellenwert dieses Buches von Gisela Conring aus.

Hier verdichtet eine Frau, die zeit ihres Lebens mit beiden Füßen auf dem Boden der Wirklichkeit stand, Erlebtes - Schrecken und Schönheit gleichermaßen - in poetischer Weise. Literatur wird hier für jeden Menschen wieder nachvollziehbar, erlebbar. Das alltägliche Geschehen alltäglicher Menschen, ihre Hoffnungen, Sehnsüchte, Ängste, verdichtet sich in einer Sprache, die durch ein hohes Sprachgefühl der Autorin sich auch dem ungeübteren Leser vermittelt. Keine überhöhten Bilder, die nicht zum Wesen der Autorin passen würden, nicht zu ihrer Verbundenheit, ja ihrer Liebe zu den Menschen.

Sehr übersichtlich gegliedert, ermöglicht der Band dem Leser tiefe Einblicke in ein 70jähriges Leben, das nach den schwierigen Zeiten einer Kindheit und Jugend vor allem durch das tiefe Vertrauen der Autorin zu ihrem Mann geprägt ist. Zweisamkeit, bei der jeder seine Eigenart behalten hat, als Basis eines Lebens. „Feuer / und Wasser / Zwei / Menschen / im Strom / ihrer / Zeit.“ Weiteres prägendes Moment eines Lebens ist das Wort Heimat. „Heimat ist da, wo ich mich wohl fühle.“ Aus dem Ruhrgebiet kommend - die Erzählung „Fahrt in die Vergangenheit“ schildert beeindruckend die zwiespältige Gefühlslage einer Rückkehr -, ist Gisela Conring schon lange mit der Emden, der Nordseeküste und den Inseln verwachsen. Mit „Inselgedanken“ legt sie ein Gedicht von höchster Musikalität vor, eine wunderschöne Liebeserklärung an die Insel Juist.

Das Titelgedicht „Keine Falte meiner Zeit“ verdichtet noch einmal Fühlen und Denken der Autorin, die man wohl nach diesem Band zu Recht als eine der ganz wichtigen Autorinnen der norddeutschen Literatur begreifen darf. Noch immer ist sie ruhelos suchend, versucht sie, die lebensbildenden, ästhetischen Momente einer Phantasie einzufangen - „den Mond / mit Händen / fassen / in der Sonne / Regentropfen / fangen / und Neptun / mit den Nixen / tanzen sehen“. Basis dieses Unterfangens ist eine ungeteilte Bejahung jeden Lebens, auch des ihrigen mit allen Höhen und Tiefen. Sie würde eben keine Falte ihrer Zeit, ihres Lebens je ausradieren. So verklärt sie auch keinesfalls die Leiden ihres Lebens, den Verlust vertrauter Menschen, eigene Krankheit, Hunger, Krieg und Elend der Realität. Es verbleibt immer ein Zweifel an dem Sinn des Lebens, wenn - wie etwa in der Lyrik „Krieg“ - der Schrecken der Wirklichkeit die Träume und Phantasien einer Welt zerstört („Mensch, wozu bist du fähig“), die sie erhofft, erträumt und auch ein Stück weit lebt. Doch ein grenzenloser Lebenswille, der wie das Erklingen einer fernen, wunderschönen Melodie erscheint, treibt sie an: „Und noch im Verklingen / ist dir ein Singen, / Melodien tragen / durch Zeit dich und Raum.“

Doch auch das fortgeschrittene Alter führt Gisela Conring keinesfalls in selbstgefällige Positionen der Zufriedenheit. Zweifel an der Richtigkeit eigenen Handelns, Wissen über den so geringen eigenen Handlungseinfluß im Widerspruch gegen Ungerechtigkeit, läßt immerwährendes Unbehagen spüren:

„Bin meinem / Gewissen / begegnet / gebeugt, mit / verschleiertem Blick / lief es an mir vorbei // Ich schließe / die Augen / kein Entrinnen / Wortlos / Gewissensbisse.“

Keine Falte meiner Zeit würde ich ausradieren, eines der Bücher, das sicherlich bleibenden Wert weit über Emden und die norddeutsche Heimat der Autorin hinaus erlangen wird. Kaum jemand hat in liebevollerer Weise Land, Menschen und Atmosphäre der Heimat gezeichnet („Dieses Blau von weißen Wolken / bewohnt / lacht herab“). Vor allem aber schaffen die vielen einzelnen Beiträge dieses Buches (wobei wirklich jede Lyrik, jede Prosa sorgfältig bis in Kleinigkeiten formuliert ist) beim Leser eine optimistische Grundstimmung. Sie bauen Zuversicht auf. Wenn eine solche humane „Lebenspoesie“ noch entwickelbar ist, dann dürfen auch wir als Leser noch ein Stück Hoffnung entwickeln.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 05/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.luise-berlin.de

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