Eine Rezension von Friedrich Schimmel


Erinnerungen und Zustände

 
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Günter de Bruyn: Die Finckensteins
Eine Familie im Dienste Preußens.
Siedler Verlag, Berlin 1999, 271 S.

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ders.: Deutsche Zustände
Über Erinnerungen und Tatsachen, Heimat und Literatur.
Mit Fotos von Barbara Klemm.
S. Fischer Verlag, Frankfurt/M. 1999, 279 S.

 

Der Essayist und Erzähler Günter de Bruyn hat den Mittelpunkt seines Lebens immer in der Mark Brandenburg gesehen. Eine lebenslange Neigung, die „immer Neues (das auch Altes sein konnte) entdeckte“. Ein Autor, der in der Mark Brandenburg lebt, sucht und findet auch immer wieder Autoren, die in der Mark gelebt haben. Als Herausgeber der Reihe „Märkischer Dichtergarten“ hat Günter de Bruyn auf bekannte, weniger bekannte und nahezu vergessene Autoren dieser Landschaft aufmerksam gemacht. Es waren für ihn nie Zufallsbekanntschaften, denn er kommt bei den verschiedenen Gelegenheiten seiner unterschiedlichen Bücher auf jeden einzelnen zurück. Auf die unglückliche Liebe zwischen Rahel Levin, der späteren Frau Varnhagens, und Karl Graf von Finckenstein, deren Beziehung an der Standesungleichheit scheiterte, kommt er im Buch Die Finckensteins wieder zu sprechen. Aus Familienepisoden erwächst die Geschichte eines preußischen Adelshauses. Offiziere, hohe Beamte und Diplomaten, die nicht nur für Preußen fochten, sondern auch Vernunft und Recht, Ordnung und das Allgemeinwohl des Landes im Auge hatten. Und sie lebten ein kulturelles Bewußtsein, das den kleinen Ort Madlitz in einen Musenhof verwandelte. Brentano, Eichendorff, Chamisso, sie alle zog es hinaus in die Mark und an die Musenhöfe. Auch Ludwig Tieck war begeistert von dem Madlitzer Garten, „der allen romantischen Zauber auf die sinnigste Weise in sich vereinigt“, obwohl er doch zugleich, auch das schreibt er in seinem „Phantasus“, „in einer der traurigsten Gegenden Deutschlands“ liegt. Günter de Bruyn erzählt die Geschichte der Finckensteins ganz gegenwärtig, denn er weiß, „daß sich die Grundmuster menschlichen Fühlens nur wenig wandeln“. Durch Erinnerung wird Geschichte wieder lebendig, doch zugleich wird auch die Entfernung sichtbar. Denn was einst, um 1800, ein blühendes Dorf mit einem pulsierenden Musenhof war, wurde später, durch Krieg und DDR-Zeit, eine Brache. Man spürt den Schmerz des Autors, wenn er die blinde Zerstörungswut und die galoppierende Gleichgültigkeit von vierzig Jahren mit einer „fast achthundert Jahre alten Kultur“ des Adels in der Mark Brandenburg vergleicht. Brüche, Einbrüche, Verwahrlosungen. In der DDR-Zeit war es nach de Bruyns Auffassung das „Fehlen einer traditions-bewahrenden und kulturtragenden Schicht“, das den Zugang zu diesem wertvollen Teil der Geschichte abschnitt. Nun aber ereignete sich im Zuge der Einheit ein weltliches Wunder: Ein Finckenstein-Nachfahre kehrte an den Ort Madlitz zurück. Kaufte, was durch die Bodenreform verlorengegangen war, baute auf und ließ im alten Glanz den Ort wiedererstehen. Doch zur Freude gehört auch der Wermutstropfen. Günter de Bruyn schließt sein Buch über ein Stück preußische Kulturgeschichte so: „Ein Kleinod in märkischem Sand ist hier wiedererstanden, das nach einem halben Jahrhundert Verfall und Mißachtung des preußischen Erbes reine Freude erzeugen könnte, mischte sich nicht bei dem Gedanken an die vielen Adelssitze und Dorfkirchen, die in der Mark und in Mecklenburg weiter verfallen, Melancholie darunter, der man am besten auf dem kaum noch als solchen erkennbaren Friedhof der Finckensteins nachhängen kann.“

Aber es ist nur selten Melancholie im Spiel, wenn Günter de Bruyn seine Streifzüge durch die Mark Brandenburg beschreibt. Er ist fast immer in Gesellschaft eines Mannes, um den er einfach nicht herumkommt. Theodor Fontane, den er früh und immer wieder gelesen hat, dem seine Gänge durch die Landschaft gelten, dessen Bücher und noch unveröffentlichte Manuskripte er durchleuchtet, um doch noch eine Spur oder einen Widerspruch im Denken dieses unvergleichlichen Wanderers zu entdecken. Was Fontane schrieb, das könnte auch de Bruyn gesagt haben, bezogen auf die Mark: „Eine Fülle, ein Reichtum sind mir entgegengetreten, denen gegenüber ich die bestimmte Empfindung habe, ihrer niemals auch nur annähernd Herr werden zu können.“

Buch für Buch, Schritt für Schritt, de Bruyn wird, nun bereits im vorgeschrittenen Alter, allmählich Herr der märkischen Dinge. In dem Buch Deutsche Zustände erinnert er an ältere und jüngere Geschichte. Es geht wieder um Fontanes Wanderungen durch die Mark Brandenburg, und in verstreuten Notizen des Wanderers entdeckt er Bemerkungen zu den Musenhöfen. Der von Fontane gebrauchte Begriff „Dichterhöfe“ war nicht für alle zutreffend. Es geht um zwei „unterschiedliche Typen, nämlich den von Wiepersdorf und Nennhausen, wo der Gutsherr selbst dichtete, und den von Kunersdorf und Ziebingen-Madlitz, wo kunstliebende Adlige als Mäzene auftraten, indem sie Dichtern Unterkunft und Unterhalt boten oder sie durch ein gastliches Haus mit anderen Künstlern, Kunstliebhabern und einflußreichen Leuten zusammenführten“. Der Leser erfährt aus de Bruyns Nachforschungen auch etwas über die historische Eigenart der Dichter-Höfe in den Umbruchzeiten um 1800. Und über die Wandlungen des Adels. Eigentlich, meint de Bruyn, sind Fontanes „Wanderungen“ eher „Ein Werk der Verklärung“. Auf der einen Seite schätzte Fontane den märkischen Adel hoch, doch auf der anderen Seite sah er in ihm die Schnittstelle zur neueren Geschichte. Von weiteren neueren und neuesten Schnittstellen in der Geschichte handeln die Beiträge des ersten Teils „Deutsche Zustände“. Zur Lage der ehemaligen DDR-Autoren schreibt de Bruyn, waren sie Hätschelkinder des verflossenen Regimes, dann hat ihnen die Zensur auch nie Sorgen bereitet, „daß sie klagten, war selbstverständlich. Einigen hatte der Schock über das Ende der Macht, der sie sich verschrieben hatten, die Sprache verschlagen.“

Dem Wanderer de Bruyn erscheint auch Potsdam heute noch in erster Linie als ein eher gespenstischer Ort, lieber gleich nach Sanssouci gewandert, um sich „von dem Schock, den die ruinierte Stadt immer wieder auslöst“, zu erholen. Sicher, die Innenstadt hat schlimme Flächen, der neue Bahnhof ist eine grenzenlose Zumutung. Aber es bietet Potsdam außer Sanssouci noch viele „Ecken“, die von de Bruyn leider nicht erwähnt werden.

Sehr anregend lesen sich die kleineren Beiträge in diesem Band. „Zum Lobe des Lesens“ ist wunderbare Prosa. Allemal gilt, der Leser „lebt andere Leben mit“, und die Erlebnisse der Leser können sich ändern wie ihre Urteile. „Um Literatur genießen zu können, muß man sie lieben. Liebe zur Literatur aber kann man so wenig wie andere Liebe verordnen. Die in dieser Hinsicht Lieblosen aber sollte man weder geringachten noch verspotten. Man sollte sie bedauern. Denn ihnen entgeht viel.“ Auch gesteht Günter de Bruyn, daß ihm neuere Literatur mehr und mehr uninteressant erscheint. Große Dichtung „ist dazu fähig, im jeweiligen Heute wieder gegenwärtig zu werden; sie muß nur danach sein“.

Zwei anregende Lese-Bücher von Günter de Bruyn, Lektüre-Erlebnisse und Lektüre-Empfehlungen. Geschichte und Kultur, Politik und Poesie. Doch wartet der Leser dieser Bücher auch dringend auf den nächsten Roman von Günter de Bruyn.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 05/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.luise-berlin.de

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