Annotation von Crauss


 

Meinecke, Thomas:
Holz
Erzählung.
Suhrkamp Taschenbuch Verlag, Frankfurt/M. 1999, 109 S.

An einem frostigen Januartag nimmt die Geschichte ihren Lauf, begegnet der Erzähler sieben Frauen. Vier von ihnen sind Geheimagentinnen und spielen im weiteren Verlauf eine gutgetarnte, das heißt: fast keine Rolle mehr. Die drei, die übrigbleiben, heißen Marlies, Gisela und Elke - und sind lesbisch. Abgesehen von der Tatsache, daß der Held der Erzählung mehrere halbherzige Versuche unternimmt, wenigstens eine der drei Damen zu erobern, spielt aber selbst dies nur insofern eine Rolle, als Homosexualität zum wiederholten Charakterzeichen dient und nicht die Handlung motiviert. „Konservative Note der Homosexualität, da, auf das Selbst zurückgeworfen, nur eigenes bestätigt werden kann.” Mag sein, dann trifft das aber auf die Hauptfigur genauso zu, der die Frauen nicht wirklich sexuell begehrt und eher von autistischer Spiegelung im jeweiligen Gegenüber zur Aktion angetrieben wird. Mehr als dies und ein paar müde Wortspiele (zum Beispiel über „zahlreiche Führer, ... welche die Stadt von oben, unten, sogar von hinten zu erläutern trachteten”, fallen Meinecke zum Thema nicht ein.

Der autobiographische, namenlose Erzähler erhält ein Stipendium für einen literarischen Arbeitsaufenthalt in einer Westberliner Senatsvilla, kommt sich in der steifen Umgebung - wir befinden uns Mitte der 80er Jahre - allerdings sehr deplaziert vor und möchte sich am liebsten der mit der Bewilligung des Stipendiums verbundenen Verpflichtung entziehen: nämlich sich insbesondere mit der geteilten Stadt im Mehreck alliierter Besetzung produktiv zu beschäftigen. Das Resultat liegt vor in der 1988 erstmals und im Zuge von Meineckes erfolgreich verkauftem Tomboy-Roman (1998) erneut aufgelegten Erzählung Holz. Hier wie dort entfaltet der Autor eine bewußt und offensichtlich zum Zweck leichter Ironie verschrobene Sprache, die sich in komplizierten Redewendungen, stereotypen Floskeln und pseudointellektuellen Metaphern gefällt. Attitüdenhaft und eingebildet, läßt sich Meineckes Erzähler erst durch die drei an besagtem Januartag über den Wannsee aus Potsdam entflohenen, „sapphischen Schönheiten” davon überzeugen, Berlin und seinen Besonderheiten ein gewisses Interesse entgegenzubringen. Im Schlepptau der scheinbar nur auf sich selbst konzentrierten und auf die Westansicht der deutsch-deutschen Grenze fixierten Frauen erkundet der Mann den „Tränenpalast” als Übergangsstation von hüben nach drüben sowie andere Kuriositäten entlang der oft erwähnten „Demarkationslinie”. Und den Berliner Forst in Wannseenähe.

Dort nämlich schlägt er sich ins Holz, ins Unterholz, um in Hörweite mit alliierten Soldaten Schießübungen zu veranstalten. Er will Marlies beeindrucken und mit einem im Otto-Katalog bestellten Gewehr den regierenden Bürgermeister töten. Der Zusammenhang ist so unauffindbar wie die Agentinnen vom Anfang der Erzählung. Daß die Angebetete sich nicht besonders beeindruckt zeigt von diesem Liebesbeweis, hindert den notorischen Helden jedoch nicht an seinem Plan. Das Ganze endet, eher zufällig und abgebrochen, „im toten Winkel” eines Schöneberger Zimmers vis à vis des Bürgermeisterfensters mit dem Satz „Ich war ein Berliner” - was im übrigen nichts weiter bedeutet als „Ich war ein Schmalzgebäck”!



Berliner LeseZeichen, Ausgabe 04/2000 © Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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