Annotation von Gudrun Schmidt


 

Ebbinghaus, Uwe:
Beim Doktor
Reclam Verlag, Leipzig 1999, 187 S., 11 Abb.

Dieses Thema scheint unerschöpflich. Und jeder hat da seine Erfahrungen. Die meisten allerdings nicht aus freien Stücken. Oder doch? „Gesunde sind Menschen, die nicht wissen, daß sie krank sind”, wird in dem Büchlein zitiert. Na, wenn das so ist, dann rein ins pralle Menschenleben oder in diesem Fall in die Weltliteratur. Uwe Ebbinghaus ist in Romanen, Erzählungen, Gedichten, Theaterstücken fündig geworden und hat ein vergnügliches „literarisches Antibiotikum für Ärzte und Patienten”, so der Untertitel, zusammengestellt.

Über eingebildete Kranke lacht man nicht erst seit Molière. Mit drastischen Heilmethoden zog einst Dr. Eisenbart durch die Lande. Auch von Eulenspiegel sind Proben seiner Heilkunst überliefert. Ob Scharlatane, Kurpfuscher oder medizinische Phänomene wie der glaszersingende Oskar Matzerath aus der „Blechtrommel” stellen sich hier zur Visite ein. Und erst die Simulanten. Diese Spezies lieferten wohl zu allen Zeiten Stoff für heitere Betrachtungen. Jaroslav Hasek läßt Schwejk Erfahrungen im Militärlazarett sammeln. Wie Felix Krull ausgemustert wurde, ist mit vielen Anspielungen auf die Überheblichkeit der Ärzte bei Thomas Mann nachzulesen. Und selbst Fontane gestand seiner Effi Briest Unwohlsein zu, um unangenehmen Situationen aus dem Weg zu gehen. „Schulkrank und mit Virtuosität gespielt”- als Apotheker wußte er da sicher ein Mittel. Überhaupt sind Texte von Dichtern wie Tschechow, Büchner oder Döblin, die Mediziner waren, von besonderem Reiz. Allerdings kommt die eigene Zunft dabei nicht allzugut weg. Nicht nur, wenn es dabei - im Fall von Woyzeck oder Franz Biberkopf - um menschenverachtende medizinische Versuche geht.

Über Leiden aller Art und Situationen in Wartezimmern, Arztpraxen, Kuranstalten gibt es Heiteres, Skurriles oder bisweilen Hintergründiges zu lesen. John Updike weiß selbst einer Herzoperation noch komische Seiten abzugewinnen, während Erich Kästner bei einem Aufenthalt als Kurpatient zu sehr ernüchternden Einsichten in Herzensangelegenheiten kommt. Tröstlich zu wissen, wie quälend Zahnschmerzen auch für Prominente sein können. Man muß ja nicht gleich wie Robert Walser nachts das ganze Haus zusammenschreien.

Flaubert wird nachgesagt, er führe die Feder wie andere das Skalpell. Vielleicht liegen Literatur und Medizin gar nicht so weit auseinander. Beide dienen dem Menschen.

Na dann, der nächste, bitte!



Berliner LeseZeichen, Ausgabe 04/2000 © Edition Luisenstadt, 2000
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