Rezension von Anne Mann


Gehirn- und Charakterwäsche?

Caspar von Schrenck-Notzing:
Charakterwäsche
Ullstein Verlag, Berlin 1996, 320 S.

Das US-Veto gegen den ersten deutschen Kandidaten für den IWF-Chefsessel dürfte für den Autor der Charakterwäsche Wasser auf die deutschnational-konservativen Mühlen gewesen sein. Bestätigung seiner 1965 erstmals veröffentlichten Einschätzung, nach der das besiegte und besetzte Deutschland 1945 „den optimistisch-missionarisch in die Welt aufbrechenden Social Scienes ein Experimentierfeld ohnegleichen” bot, was heißen soll, daß die amerikanische Besatzungspolitik fintenreich die Re-education der Deutschen als eine Art Resozialisierung einer ganzen Nation betrieb, um „den deutschen Volkscharakter einschneidend zu verändern, damit die politische Rolle Deutschlands in Zukunft unter Kontrolle genommen werden könne”. Die Mega-Wäsche habe Wirkungen, deren geringere noch die vorauseilende Anpassung an amerikanische Lebensweise sei, folgenschwerer dagegen die gelungene und die Zukunft schwer beschattende geistig-kulturelle Manipulation, mit der die Fremdbestimmung unter dem US-Diktat der vier Ds (Denazifizierung, Demilitarisierung, Dekartellisierung und Demokratisierung) als eigene Entscheidung geschichtlich umbewertet und der Verlust nationaler Identität frag- und klaglos hingenommen werde. Autoren-Fazit: „Einbindung ging vor Souveränität” und wurde gegebenenfalls mit dem Verweis auf das „Schreckbild des 3. Reiches” beschleunigt.

Das nenne sich dann politische Kultur und bedeute Denk- und Frage-Tabu, auch und besonders für die „besatzungsgeschichtlichen Ursprünge und Hintergründe unserer Gegenwart”. Politische Hintergründe, Gruppeninteressen (in Politik, Wirtschaft, Medien, Kultur, Wissenschaft), Personalpolitik und Herrschaftsmechanismen der Besatzung sowie der durch sie gesteuerten BRD-Entwicklung serviert der Verfasser detailliert, mit bemühter Sachlichkeit und triefender Süffisanz. Der Ton macht die Musike. Ganz unverkennbar schrieb hier einer für Deutschlands Ehre und sich den Grimm vom Leibe ob der fortdauernden Schande des Besatzerjochs. Dabei übersieht der Autor, daß sowohl die USA und Deutschland als auch er selbst aus dem gleichen Suppentopf - westliche Wertegemeinschaft genannt- schöpfen. Nur haben die einen eben den längeren Löffel. Das ärgert Schrenck-Notzing. Andererseits muß man die Politik der USA nach 1945 nicht zur menschenfreundlichen Idylle verklären (Stichwort Kalter Krieg), aber Schrenck-Notzings Absichten sind mindestens so brackig und auf Definitionsherrschaft aus wie die der Amerikaner. Am Ende läuft es auch bei ihm auf Gehirnwäsche hinaus. Im Vorwort zur unveränderten Neuauflage bei Ullstein kommt er dann zu Potte und fragt an: „Stehen in der heutigen Weltlage die Deutschen nicht vor der Notwendigkeit, sie selbst zu sein und (...) die eigene Identität zu finden?” Ja freilich, man ist doch schon kräftig dabei. Noch nie was von der neuen Rolle, der gewachsenen Verantwortung Deutschlands gehört? Kosovo schon vergessen? Und wie unermüdlich schachern Kanzlerbeauftragter, deutsche Wirtschaft und Hochfinanz um Entschädigungszahlungen an NS-Zwangsarbeiter (die sind ja so nachtragend). Der Autor wird dies vielleicht wohlwohlend zur Kenntnis nehmen - auch, daß der zweite IWF-Kandidat vom Weißen Haus inzwischen abgenickt wurde.



Berliner LeseZeichen, Ausgabe 04/2000 © Edition Luisenstadt, 2000
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