Rezension von Gudrun Schmidt


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Es muß nicht immer Fernsehen sein

 

Cornelia Saxe: Das gesellige Canapé
Die Renaissance der Berliner Salons.

Quadriga Verlag, Berlin 1999, 208 S.,
mit Fotografien von Annett Ahrends

 

Das Canapé scheint unverzichtbares Requisit eines Salons zu sein. Bei Carolin Fischer in Schöneberg allerdings steht eine Récamiere. Ein Sofa ohne Rückenlehne, nicht gerade bequem für langes Sitzen, aber mit großer Vergangenheit. Das Original, das Madame Juliette Récamiere vor über 200 Jahren in Paris für ihre literarischen Geselligkeiten bevorzugte, ist heute im Louvre zu besichtigen. Egal, ob die heutigen Salonbetreiberinnen und -betreiber das Sofa, die Couch, den Diwan oder Korbstühle favorisieren, sie alle versuchen eine Atmosphäre zu schaffen, in der sich die Gäste wohl fühlen, die zum Gespräch anregt, die Begegnungen und das Kennenlernen unterschiedlicher Leute ermöglicht.

Cornelia Saxe liegt mit ihrem Buch Das gesellige Canapé voll im Zeitgeist. Salons und kein Ende. In Berlin erlebt die Salonkultur seit einiger Zeit in der Tat eine Renaissance. Mal kommt sie literarisch oder akademisch, mal kulinarisch, exotisch oder erotisch daher - was den Initiatoren selbst am meisten Spaß macht, prägt auch den jeweiligen Stil der Salons. Die plüschige Wohnzimmeratmosphäre gibt es genauso wie Küchengemütlichkeit, die Eleganz der „Beletage” oder den Charme einer Plattenbausiedlung. Als Salonièren und Salonièrs erwiesen sich Studenten und Professoren, Künstler und Politiker, Hausfrauen und Aussteiger. Während früher ausschließlich Frauen einen Salon führten, finden sich zunehmend auch Männer als Gastgeber.

„Die junge Salonkultur, die sich seit einigen Jahren in der Stadt entwickelt”, schreibt Cornelia Saxe, „ist ein lebendiges und auch flüchtiges Phänomen, das von ständigen Neugründungen und Niedergängen geprägt ist.” Viele der ersten Salons, die Anfang der neunziger Jahre entstanden, sind inzwischen wieder eingegangen. Zahlreiche neue sind hinzugekommen. Für ihr Buch hat die Autorin über dreißig Salons besucht, zwei Drittel davon haben je nach Bekanntheitsgrad und Ausstrahlung Berücksichtigung gefunden.

Die Autorin, Jahrgang 1967, gelernte Buchhändlerin, ist aus der Künstlerszene im Prenzlauer Berg hervorgegangen. Nach dem Studium der Germanistik und Kulturwissenschaften in Berlin und Amsterdam lebt sie als freie Autorin in Berlin. Cornelia Saxe ist nicht nur eine exzellente Kennerin der Salonkultur, sie versteht es auch, witzig-gescheit darüber zu schreiben. Sie vermittelt ein Gefühl für die Atmosphäre der Räumlichkeiten, den Stil der Salonièren und Salonièrs, erkundet ihre Motive, schildert feinsinnig den Umgang von Gastgebern und Gästen, wobei auch kleine Eitelkeiten ganz beiläufig miterzählt werden. All das ist fernab von jeder Partyberichterstattung.

In einem einleitenden Kapitel setzt sich die Autorin mit der Tradition der Berliner Salons im 18. und 19. Jahrhundert auseinander, analysiert Vergleichbares und Unterschiedliches. Für sie ist die Wiederentdeckung des Salons als Geselligkeitsform kein Zufall. Es hat damit zu tun, daß Berlin eine ähnliche Integrationskraft zu haben scheint wie etwa 1871, als die preußische Hauptstadt zur Reichshauptstadt aufstieg und die Stadtgesellschaft allmählich glanzvoller wurde. Sicher, Henriette Herz, Rahel Varnhagen, Dorothea Schlegel oder Bettina von Arnim würden sich bei manchen Geselligkeiten im Grabe umdrehen, aber gefallen würde ihnen, daß die Salonièren von heute emanzipierte, moderne Frauen sind, die ihr Ansehen nicht der gesellschaftlichen Stellung ihrer Ehemänner verdanken, sondern der eigenen Karriere.

Die Betreiberinnen des „Berliner Salons”, der monatlich im Renaissance Theater stattfindet, arbeiten als Ärztin, Studienrätin, Rechtsanwältin. Zu ihren thematischen Zusammenkünften laden sie sich zur persönlichen Weiterbildung Experten zum Vortrag und anschließender Diskussion ein. Reihum ist jeweils eine von insgesamt neun Salonièren für die Gestaltung verantwortlich. Nur so läßt sich für berufstätige Frauen der organisatorische Aufwand als Gastgeberin bewältigen. Um Habituè, Mitglied, zu werden, ist ein Mitgliedsbeitrag erforderlich.

Nicht alles, was Salon heißt, verdient, so genannt zu werden. Manches, was unter diesem Namen firmiert, stellt sich bei näherem Betrachten als Imitat heraus. Und den hohen Anspruch, ein „Menschenmagnet” zu sein, wofür Rahel Levin-Varnhagen berühmt war, lösen die Salonièren und Salonièrs nicht immer ein. Dem alten Begriff von der Konversationsgesellschaft werden am ehesten die privat-öffentlichen Treffen gerecht, „die nicht explizit auf den Begriff des ,Salons Bezug nehmen oder ihn eher ironisch verwenden”, schreibt Cornelia Saxe.

So setzt Carolin Fischer auf die Privatheit ihres Kreises. Zu ihren „Literarischen Abenden”, die die promovierte Romanistin und Buchautorin seit zwölf Jahren in ihrer Wohnung veranstaltet, kommen nur gute Freunde und Bekannte. Mit dem „ATW - Salon für Angewandte Theaterwissenschaft” - will Andrzej Tadeusz Wirth, emeritierter polnischer Professor, Kontakt zu seinen Studenten halten und ihnen zugleich ein halb-öffentliches Podium für neue Stücke bieten. Um der Großstadteinsamkeit als Neuberlinerin zu entgehen und in Entstehung befindliche Magister-Arbeiten mit Gleichgesinnten zu diskutieren, lud Mirjam Schmidt als Studentin zum Salon in ihre Hinterhauswohnung ein. Die Gruppe von Philosophen und Germanisten ist auch nach dem Studium zusammengeblieben. „Miris Salon”, so die Vorstellungen der Salonière, soll ein Ort sein, „wo sich ungewöhnliche Themen miteinander kombinieren lassen, die in keinen Wissenschaftsdiskurs passen und sich nicht an akademische Regeln halten”. Dies gehört zum alten Konzept der Salongeselligkeit, eine Art Gegenöffentlichkeit zu etablierten Institutionen zu entwerfen.

Dominierend in Berlin - das entspricht den klassischen Vorbildern - sind die literarischen Salons. Einen guten Ruf weit über die Hauptstadt hinaus hat der Salon von Britta Gansebohm (Berliner LeseZeichen 1/2000). Während sie sich der Gegenwartsliteratur verschrieben hat, stellt Hartmut Fischer in seiner Buchhandlung „Juliettes Literatursalon” (Berliner LeseZeichen 2/1998) Autoren der Avantgarde vor, oft in Verbindung mit szenischen Auftritten. Die junge Amerikanerin Tindy Alvarado präsentiert im Kreuzberger Schokocafé ausschließlich vor Frauen von Frauen geschriebene Literatur, und in der Restauration Walden versucht eine engagierte Crew, mitten im Prenzlauer Berg den Mix aus „ehemaliger Prenzlauer-Berg-Kultur, Klassiker-Lesung und Kleinkunstbühne” am Leben zu halten. Ob Walter Mompers „Politischer Salon” oder der „Unternehmer-Salon” von Uwe Fenner, der „Ost-Westliche Diwan” der Diplomatenfrau Birgit Lucas oder der „Ateliersalon in Grünau” und der „Salon in Beton” in Marzahn der Grafikerin Gisela Kurkhaus-Müller, die als Managerin eine Kette von Salons in Berlin und im Umland betreibt - der Vielfalt sind keine Grenzen gesetzt.

Das Beste hat sich Cornelia Saxe in ihrem Buch für das Schlußkapitel aufgehoben. Natürlich darf bei einem solchen Buch Nicolaus Sombart nicht fehlen, der Grandseigneur des Salons. Sombart, dessen „Teegesellschaft” schon zum Mythos geworden ist, kann das nicht mehr hören. Seit unzählige Leute über Salons schreiben, wird berichtet, sei er es müde, immer wieder über seine Geselligkeit Auskunft zu geben. Verständlich, daß es da eine Zeit brauchte, bis ein Interviewtermin zustande kam. Seit Mitte der achtziger Jahre lädt er zum sonntäglichen Fünf-Uhr-Tee ein. Zutritt hat nur, wer vom Gastgeber eingeladen oder bei ihm eingeführt wird. Die Anfänge seiner Gesellschaft führt er auf einen einfachen Grund zurück. Fuhren die Hamburger an den Wochenenden an die See oder die Münchener in die Berge, war es in den achtziger Jahren für Berliner in der ummauerten Stadt ideal, zum „Tee” zu Sombart zu gehen. Ein fester Teilnehmerkreis, ein bekannter Stargast, das persönliche Gespräch mit jedem Besucher sei wichtig für den Erfolg. „Der Salon gehört in die Ordnung des Außeralltäglichen, des ,Festes` - nicht der kultischen Feier, des Festmahls, der Party, der Orgie, sondern des Spiels. Er war immer ein Locus amoenus, ein Ort, an dem die Utopie eines idealen Lebens ihre Verwirklichung gesucht und sehr oft gefunden hat. Jeder Salon ist ein Zipfel des Paradieses auf Erden”, so einer der Sombartschen „Salongedanken”.

Wie nah oder entfernt von diesem Zipfel die Salonkultur im heutigen Berlin ist, wird jeder für sich selbst beantworten. Das Buch von Cornelia Saxe macht Lust, sich darauf einzulassen. Und es ist ein wichtiges Zeitdokument über das gesellige Leben in Berlin, das sich um die Jahrhundertwende anschickt, wieder zur Metropole zu werden.



Berliner LeseZeichen, Ausgabe 04/2000 © Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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