Rezension von Sven Sagé


Leben lebhafter

Alexandra Busch/Dirck Linck (Hrsg.):
Frauenliebe. Männerliebe
Eine lesbisch-schwule Literaturgeschichte in Porträts.
Suhrkamp Taschenbuch Verlag, Frankfurt/M. 1999, 520 S.

Die Neigung ist immer noch da. Nicht nur bei Ärzten. Spüren oder erleben Jugendliche erstmals ihre Gleichgeschlechtlichkeit, werden sie häufig damit „getröstet”, daß ihnen Namen berühmter Homosexueller genannt werden. Der Neigung unterliegen auch lesbische Autorinnen und schwule Schriftsteller. Statt zu trösten, wird so mit dem Solidareffekt spekuliert. Alexandra Busch und Dirck Linck sind weder auf Tröstung noch auf Solidarität aus. Unterm „unverdächtigen” Titel Frauenliebe. Männerliebe gaben sie einen lexikalen Band heraus, dessen Untertitel von eindeutiger Sachlichkeit und Selbstbewußtheit ist. Geboten wird „Eine lesbisch-schwule Literaturgeschichte in Porträts”.

Die Herausgeber lassen sich nicht auf die oft geführte Debatte ein: Was ist lesbisch-schwule Literatur? In über hundert Porträts werden Frauen und Männer präsentiert, für die das Thema Homosexualität nicht irgendein, schon gar nicht ein beliebiges Thema war und ist. Verfaßt wurden die Beiträge von über fünfzig Mitarbeitenden sämtlicher Kontinente. Das Zentrum des Bandes ist die europäische Literatur. Ausführlichkeit und analytische Substanz machen die Beiträge der lesbisch-schwulen Literaturgeschichte zu einer Erlebnisgeschichte. Nicht nur, weil für manchen „unschuldigen” Leser die homosexuelle Lebensgeschichte bevorzugter Autorinnen und Autoren „enttarnt” wird. Zumeist wird Persönliches und Zeitgeschichtliches in Bezug zueinander gebracht. Den Hinweisen auf das Wechselspiel zwischen Person und Gesellschaft folgen die Hinweise auf Auswirkung und Wirkung des Wechselspiels im Werk der Porträtierten. Die von Busch und Linck besorgte Publikation propagiert keine Sonderrolle lesbisch-schwuler Literatur in der Literatur. Was wiederum nicht bedeutet, die Besonderheit der Literatur von Lesben und Schwulen nicht ausreichend herauszustreichen. Das ist schließlich die hauptsächliche Absicht von Frauenliebe. Männerliebe. Eine selten lebhafte, lehrreiche, lesenswerte Literaturgeschichte!



Berliner LeseZeichen, Ausgabe 04/2000 © Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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