Rezension von Rainer Jahn


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Aus einem Journalistenleben geschöpft

 

Marcia Zuckermann:
Das vereinigte Paradies
Roman.

Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1999, 320 S.

 

Hier gilt es nicht, die Offenbarung eines neuen literarischen Talentes zu feiern, hier kann kaum die Rede sein von poetischer Qualität, auch ist die Phantasie wohl von der Autorin nicht allzusehr strapaziert worden, und doch habe ich das Buch mit größtem Interesse gelesen. Wie das? Selten war eine solche Fülle von erstaunlichen Lebensläufen und Geschichten, ziemlich glaubwürdig im einzelnen, in einem Buche vereint: das Werk einer hochbegabten Journalistin mit großer Lebenserfahrung sowie der Fähigkeit zu präziser Recherche und Sinn für dramaturgisch wirkungsvolle Komposition der Ereignisse und Verflechtung von Lebenswegen.

Im ganzen ist die Autorin wohl eng drangeblieben an dem, was sie selbst gesehen, erlebt oder ermittelt hat, manche Bekannte (wie der Anklamer Theaterdirektor Dr. Bordell, aus dem im Buch einfach Dr. Kordell geworden ist) lassen grüßen, einiges ist ohnehin kruder, als man es sich am Schreibtisch hätte ausdenken können, und nur aus juristischen Gründen wohl behauptet die Autorin am Ende, „daß selbst bei verblüffenden Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten und lebenden oder toten Personen, die man so gar nicht erfinden kann, alles phantastisch ist”. Immerhin mußte alles in flotter Schreibe (Marcia Zuckermann bevorzugt Szenenjargon, Berliner Schnauze und ziemlich großes Vokabular), derb-sarkastisch zusammengefaßt, mit trockenem Humor wiedergegeben, in Buchform gebracht werden: Eben das geschafft zu haben und in der Ausbreitung eines reichen, der Wirklichkeit abgejagten Lebensmaterials - darin liegt Zuckermanns Leistung.

Eine Inhaltsangabe besagt wenig, kann sogar Vorbehalte schüren. So sei nur gesagt, daß die Handlung in das Berlin vom Anfang der neunziger Jahre führt. West und Ost müssen sich da aufeinander zu bewegen, die ersten „Beziehungskisten”, aber auch Stasiverstrickungen und Vereinigungskriminalität spielen eine Rolle. Russen, Türken und andere Ausländer, die Mafia auch, mischen kräftig mit, denn jetzt kann viel Geld machen, wer clever ist. Die Autorin zeichnet die Lebenswege von drei Paaren nach, die sich in merkwürdiger Weise verschlingen. Die arbeitslose Schauspielerin Beate Landé geht in Geldnot gegen lukrative Bezahlung eine Scheinehe mit dem russischen Zahnarzt Sergej Salnikow ein, der sein Aufenthalts- und Arbeitsrecht in Berlin sichern muß. Als Sergejs legitime Ehefrau Larissa gleiches Recht für sich einfordert, muß er noch mal tief in die Tasche greifen und Beates Lover Horst Dretzke, einen umtriebigen Geschäftemacher, dafür anheuern. Kann das auf Dauer gutgehen? Natürlich gibt es Komplikationen, jedoch nicht in Art des Komödienstadls. Am Ende geht es um Leben und Tod. Gleichzeitig ist eine West-Ost-Beziehung, die vielleicht traumhaft begann, schon an ihr Ende gelangt: Die Westberliner Theaterwissenschaftlerin Claudia Unhoch (mit einem Job in der Werbebranche) strebt in Torschlußpanik nach Ehe und Kind, der Ostberliner Schauspieler Frank Zaunig, der sich ohne festes Engagement mit Gelegenheitsarbeit durchschlägt, will aber seine Ungebundenheit bewahren. Beide müssen Umwege gehen, ehe sie das Leben wieder zusammenführt. Frank stößt in Anklam auf seine Verflossene und überraschend auf einen Sohn. Claudia führt ein Auslandsstipendium zum Abschluß ihrer Dissertation nach New York, wo sie einen alten Schulfreund trifft. Sie heiratet Holger Messinger, wird schwanger, aber Holger stirbt bei einem Verkehrsunfall. Die Arbeit führt Claudia wieder zu Frank zurück. Auch der hat einen alten Freund getroffen. Um eine alte (Stasi-)Schuld abzutragen, bringt ihn Antek Nagler in der Chefetage einer Filmgesellschaft unter.

Die dürre Handlungsstruktur besagt nichts über die Qualität des Romans, nichts über die Fülle des Lebens, den Reichtum der Figuren, die Genauigkeit der beobachteten Details, die allenthalben aus seinen Seiten quellen. Sie sagt nichts über Hans-Peter Moslhuber, den Arbeitslosen aus Spandau, der als Boris Popow in den Olymp der deutschen Fernsehunterhaltung aufsteigt, nichts über Hanna, die gefürchtete Beamtengeißel und begnadete Sozialamtstrategin, nichts über Simone Schröder, die Individual-Guerilla und gewiefte Büffett-Abräumerin, nichts über Marja Tschernyschewskaja, die russische Pythia von Berlin, Freundin der letzten Zarentochter Anastasia. Und sie erzählt nichts von hilfreichen, aus Erfahrung gespeisten Lehrsätzen wie dem: „Wenn du auf deinem Stuhl bleiben willst, dann merk dir eins: Das eigentliche Geschäft ist immer Politik. Fachkompetenz ist auch im Westen nur was für die zweite Garnitur.” (Da wissen wir doch endlich, nach welchem Prinzip Minister und Senatoren berufen werden.) Und bezüglich des bundesdeutschen Rechts lesen wir, es handle sich zu achtzig Prozent ausschließlich um Geld, zu zehn Prozent um Verwaltungsrecht, zu acht Prozent um Strafrecht und zu je einem Prozent um Staatsrecht und um Moral. Das klingt niederträchtig? „Was wollen Sie, das Leben an sich ist amoralisch”, antwortet der Fachmann.

Wenn der Verlag rühmt, daß hier „mit lakonischem Witz, traumhafter Leichtigkeit und sozialkritischer Schärfe ein höchst unterhaltsames Zeitdokument von seltener Dichte, Buntheit und Lebenslust” entworfen wurde, so kann man zustimmen und noch hinzufügen, daß die Befindlichkeit von Ost und West recht stimmig wiedergegeben wird - endlich einmal ein Autor ohne Vorbelastung und Einseitigkeit. Das liest sich flüssig, leicht und amüsant, sofern Informationen und referierte Lebensbilder handlungsbezogen bleiben. Überwiegend ist das der Fall. Nur an einigen Stellen überborden Mitteilungen, Hinweise, Sachverhalte, die schwer integrierbar sind (die Autorin weiß eben immer mehr als sie schlüssig unterbringen kann). Am Ende freilich gibt's Verkürzungen, die an die Grenze zur Kolportage führen (ein Deal mit Immobilien und das große Geschäft mit dem Soveso-Gift zum Beispiel werden nicht mehr richtig klar, auch das Schicksal Horsts bleibt im Dunkeln) - da wird die Autorin ein bißchen kurzatmig, da hechelt sie sich fast atemlos dem Ende entgegen. Einige Fragen bleiben offen - einige sind gewollt (es soll nicht alles aufgehen). Den Wert des Buches stellt das nicht in Frage.

Die Schreibweise von Fremdwörtern und Abkürzungen (ZeeDee, Teebeezee, El Äih, EsEhDeh oder Dschopp, Dschiens, Dschentelmän, Immätsch Diel Mänätschmänt, Momähnt, Nou Hau, Ruhmserviß u. a.) soll ganz sicher ein „Gäck” sein, aber der Witz nutzt sich ab, und was bleibt, ist eine Lesehemmung.

Stellt sich noch die Frage nach Marcia Zuckermann. Sie wuchs als Kind deutsch-jüdischer Eltern in Berlin auf, zog dann nach London, Paris, Barcelona und New York, heute ist sie in den besten Jahren und lebt seit 1993 in Spanien als Redakteurin eines Reisemagazins. Die unterschiedlichsten Berufe hat sie in ihrem Leben ausgeübt, darunter Fremdenführerin, Hotelrezeptionistin, Fremdsprachensekretärin, Anzeigenvertreterin, Werbetexterin. Vor allem war sie Journalistin, tätig bei Presse, Funk und Fernsehen. Es handelt sich wohl um ihr erstes Buch. Vielleicht bleibt es ihr einziges. Ein Buch wie dieses schreibt man nicht alle Tage.



Berliner LeseZeichen, Ausgabe 04/2000 © Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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