Rezension von Björn Berg

Staunend in der Stadt

Robert Walser: Aufsätze
Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 2000, 172 S.

„Noch nie, seit sie ist, hat in dieser Straße das Leben aufgehört zu leben.” Welche Straße da wohl gemeint ist? Ahnungen können aufkommen, weiß man, daß Robert Walser (1878-1956) Autor des Satzes ist. Weiß man, daß der junge Schweizer das kaiserliche Berlin im Blick hatte. Für die „Neue Rundschau” schrieb er auf, was er in der „durch sich selbst gesättigten” Stadt erschaute. Wichtiger als die Beschreibung stadtbekannter Lokalitäten war ihm das Kolorit. Situationen und Stimmungen wahrzunehmen, darauf kam es Walser wirklich an. Auch, als er 1909 in einem Satz sagte, was die gemeinte „Friedrichstraße” seit eh und je war. Eine Generation später - das konnte Walser wahrlich nicht voraussehen - hatte die Straße aufgehört zu leben. Die Straßen-Skizze, wie Walsers andere Stadt-Stücke, erzählen von einer Stadt mit Vergangenheit. - Alles Humbug, heute von Wieder-Belebung zu reden! - Robert Walsers Berlin-Texte sind gut fürs Erinnern, um so Vergleiche zu ermöglichen. Mehr nicht. Und das genügt! Bescheiden nannte der Berlin-Wanderer sein Berlin-Buch Aufsätze.

Sich die Stadt anzueignen, bedeutete für den zugereisten Zeit-Berliner, ein Gefühl für die Stadt zu bekommen. Walser hat sich als gefühlvoll Fühlender geäußert. Staunend sah er, was die Stadt bot, was sie ausmachte und machte. Überschwang und Untertreibung, Zuversicht und Zweifel, Begehren und Abwehr, Begeisterung und Verzweiflung ... sind in den Worten. Die Summe der geschätzten und verachteten Widersprüche, die das Berlin auch Ende des ersten Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts war, ist in den Sätzen. Unvergleichbar, wie sie sind, setzen sie die Berlin-Bemerkungen fort, mit denen bereits Heine und Kerr das Publikum unterhalten hatten. Sie weisen auf kommende Berlin-Berichte, die von Hessel bis Benjamin kamen. Auch Robert Walser hat seine Bücklinge vor Berlin gemacht. Mit und ohne Grandezza!

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