Rezension von Karl-Heinz Arnold


Wie das Leben dort ist

Alfred Komarek: Polt muß weinen
Roman.
Diogenes Verlag, Zürich 2000, 184 S.

Im Diogenes Taschenbuch 23 129, die Reihe ist für hochanständigen Lesestoff bekannt, begegnen wir einem österreichischen Ortspolizisten, dem Gendarmerie-Inspektor Polt. Warum er weinen muß, ob es die Umstände sind oder es die Tragik des Geschehens ist, bleibt dem Scharfsinn des Lesers überlassen, nachdem er die Geschichte genossen hat. Sie spielt in einem Weinbauerndorf nahe der tschechischen Grenze in den 90er Jahren und kann mit einem Satz gesagt werden: Ein habgieriger und gewalttätiger Mitbürger, dem das ganze Dorf die Pest an den Hals wünscht, wird von vier Bauern mittels eingeleitetem Gärgas in seinem Weinkeller umgebracht, wonach einer der vier schließlich die Alleinschuld auf sich nimmt, sich erschießt - er ist ohnehin todkrank - und damit dem Inspektor die bequeme Aufklärung eines Verbrechens liefert.

Wenn die Fabel eines Romans mit einem Satz gesagt werden kann, darf man fragen, ob es sich etwa um ein simples Geschichtchen handelt, kaum der Rede wert, oder ob die Übersichtlichkeit, ja Durchsichtigkeit des Inhalts (vielleicht bis auf die Identität eines Kriminaltäters, der beinahe schon austauschbar sein könnte) vielleicht ein Vorzug ist. Ja, es könnte sogar ein gewollter Vorzug sein, der es dem einheimischen Autor ermöglicht, ohne großes Verwirrspiel und diverse retardierende Momente eine Erzählung vorzutragen, die wie das Leben dort in Niederösterreich ist: einfach, der Landschaft und dem Boden, auch dem Wein verbunden, geruhsam, sich im langsamen Takt der Jahreszeiten bewegend, selbst in den Konflikten des Alltags eher behäbig als hektisch.

Autor Alfred Komarek, der hier offenbar einen Erstling vorstellt, zumindest einen ersten Inspektor Polt, spielt den Vorzug der Einfachheit voll aus. Er müht sich nicht mit einer komplizierten Story, konstruiert keine Spannungsmomente, weder passable noch alberne, führt den Leser nicht unnötig in die Irre oder belästigt ihn mit drei Dutzend Figuren, wenn doch ein Dutzend genügt. Also kann dieser vielversprechende Autor sich voll auf die literarische Qualität seines kleinen, aber feinen Romans konzentrieren, und die ist beachtlich. So schildert er den Besuch des Polizisten beim Weinbauern Kurzbacher in dessen Preßhaus:

„Simon Polt trat ein, als käme er nach Hause. Der Kurzbacher ging die paar Stufen zur Kellertür hinunter, öffnete sie und holte eine Doppelliterflasche hervor, die dahinter gestanden war. Er stellte die Flasche auf einen kleinen Tisch, säuberte drei Gläser im fließenden Wasser und griff zum Korkenzieher. Simon Polt fragte sich immer wieder, warum er dieses Geräusch so liebte: ein kurzes, scharf akzentuiertes Schmatzen, gefolgt von einem leisen ,Plopp`, das irgendwie spöttisch klang, aber auch aufmunternd und auf eine hinherhältige Weise vertraut. Friedrich Kurzbacher hob flüchtig den Stoppel zur Nase und stellte ihn dann mit achtloser Sorgfalt an den Rand des Tisches. Er füllte die drei Gläser, hielt seines ans Licht und sagte: ,Rein ist er. Er spielt richtig, was, Simon?`”

Autor Komarek bringt uns den fiktiven Ort Brunndorf und vor allem seinen stillen Helden Polt so nahe, daß man dies alles zu sehen scheint. Man sitzt mit am Tisch, wenn ein Veltliner gekostet wird, und zieht Geschmacksfäden. Man meint den Schweinebraten zu riechen, den die Wirtsfrau dem Junggesellen Polt im Gasthaus auftischt. Und in dem geruhsamen Tagesablauf des Dorfes nähert sich der Gendarm ganz allmählich dem Täter oder den Tätern eines Mordfalls, den er nicht als Unfall abtun kann (obwohl dies möglich gewesen wäre), weil es gegen sein Gewissen ginge. Kein Krimi. Ein Roman, eine vorzügliche Erzählung über einen Kriminalfall. Man wünscht sich, Inspektor Polt möge noch oft in Erscheinung treten.

Es gehört dazu, daß wir, eingebettet in exzellentes Deutsch, manchen sprachlichen Eigenheiten des Alpenlandes begegnen, wo man zum Schilling auch Alpendollar sagt und Schillinge gelegentlich Flocken genannt werden. Da gibt es Paradeiser und Erdäpfel, da steht man nicht an der Theke, sondern an der Schank und bestellt zum Essen Selchfleisch. Der Sparverein, dessen Kassenwart im Wirtshaus die Einlagen seiner Mitglieder entgegennimmt, ist eine Art Kasse der gegenseitigen Hilfe, kein Zusammenschluß von Ganoven wie im Berlin der 20er Jahre. Der Tante-Emma-Laden heißt Kaufhaus, ein Stück Papier holt man aus der Tischlade, und die Straße ist nicht schmaler, sondern schmäler. Angenehmes, ja notwendiges Kolorit, zurückhaltend angebracht, keine aufgesetzte Mundart. Dieses Buch ist rundum mit Genuß zu lesen.

Der Verlag teilt im Rücktitel mit, der Roman sei mit dem „Glauser 1999” ausgezeichnet. Es hätte nichts geschadet, eher dem Bildungsbedürfnis mancher Bücherleser entsprochen, auf den Ursprung dieses Preises für Krimi-Autoren hinzuweisen. Friedrich Glauser (1896-1938), Schriftsteller schweizerisch-österreichischer Herkunft, der unter Rauschgiftsucht litt, schuf die unverwechselbare Figur des Schweizer Kriminalwachtmeisters Studer, um den er sechs Romanhandlungen rankte. Glauser diente mehrere Jahre in der Légion étrangère und schrieb den Fremdenlegionärsroman Gourrama, der postum 1940 in der Schweiz erschien, ungekürzt dann 1974. Inspektor Simon Polt, wenngleich ein ganz eigenständiges Geschöpf, erinnert in seiner einfachen, erdverbundenen Art und mit der unausweichlichen Bedachtsamkeit seiner Ermittlungsmethode durchaus an Wachtmeister Studer, ein literarisches Vorbild, dessen Komarek sich nicht zu schämen braucht. Auch dieses gute, nicht eben abgegriffene Vorbild gereicht dem Buch zum Vorteil.



Berliner LeseZeichen, Ausgabe 04/2000 © Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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