Rezension von Christian Berger


Schiet, Steffen!

Clemens Isermann: Das Landei
Verlag rosa Winkel, Berlin 1998, 173 S.

„Was 'n Schiet”, sagt Steffen Peters ein um das andere Mal. Sagt's wieder und wieder. Auch, wenn er sich des mecklenburgischen Miefs erinnert, dem er sich für immer entzogen hat. Glaubt er zumindest, seit er angekommen ist in der Metropole, die Prenzlauer Berg heißt, in der der Jung nicht das Fell einer grauen mecklenburgischen Maus aus Minow am Mummelsee zu Markte tragen muß. Zumindest so lange nicht, bis der solide, sonore, solvente Städter Theo dem Landflüchtling in die Quere kommt, der Steffen zurechtstutzt, als er zu ihm sagt: „Du bist ein Landei, du warst ein Landei, und du bleibst ein Landei.” Was 'n Schiet! - Und außerdem Ansichtssache. Steffen sieht die Sache, also sich, anders. Was er lebt, ist wahrlich nicht das Leben eines Landeis. Vom Lande her gesehen, hat's der Knabe faustdick hinter den Ohren. Das Landei läßt sich gern lieben. Lieber von Männern als von Frauen. Steffen ist schwul. Ein selbstsüchtiger Schwuler, der nicht gerade das seligmachende Glück seiner Partner ist. Was 'n Schiet! Der Typ taugt nicht für'n Roman. Er hat keine Geschichte zu bieten. Er ist, was seine szeneüblichen Fummel-Grabsch-Bettgeschichten sind.

Dennoch steckt in Clemens Isermanns Roman Das Landei eine Geschichte. Es ist die der Freundschafts-Liebesbeziehung zwischen den Minowern Steffen und Albert, die tragisch endet. Eine komplette, keineswegs schwülstige Landei-Romanze. Die wäre gut geeignet, viel von Liebe und Leid, also vom Leben Schwuler in wechselnden Zeiten, zu erzählen. Isermann erzählt zu oft zu wenig. Zu häufig berichtet er nur, was dem schönen Steffen widerfahren ist und widerfährt im Mecklenburgischen wie Berlinischen. In der Welt vor 1989, in der Welt nach 1989. Nicht die Orte, nicht die Zeiten, nicht die Ereignisse sind dem Schriftsteller wirklich so wichtig, daß er daraus wirklich Wichtiges macht. Was 'n Schiet! Isermann führt eine leicht überschaubare Gruppe von Figuren vor, die für das dramatische, dümmliche, amüsante, gewitzte Schwulsein - und nicht nur das - zuständig ist. Kintopp-Typen, die man auftreten lassen könnte. Personencharakteristische Dialoge bringen sie mit. Das Landei ist ein filmgerechter Stoff mit schönstem Happy-End, dessen nebelhafte Adjektive die Literatur manchmal nur ahnen lassen. Was 'n Schiet! Daß Clemens Isermann einen stabilen Sinn fürs Satirische hat, stellt nicht nur der Satz klar, der lautet: „Das Gerede von Liebe ist wie ein billiges Toupet, das die Kahlheit ihrer Gier verbergen soll.” Nützt alles nischt! Der Autor ist keiner, der die Schriftsteller ersetzen kann, die die „schwule Literatur” in den Neunzigern verlor: von Ronald Schernikau bis Detlev Meyer.



Berliner LeseZeichen, Ausgabe 04/2000 © Edition Luisenstadt, 2000
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