Rezension von Licita Geppert


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Die lange Ankunft der Heiligen Drei Könige

 

Bernhard Hennen: Die Könige der ersten Nacht
Roman.

Rütten & Loening Berlin, Berlin 1999, 495 S.

 

Dieses Buch war ein wahres Weihnachtsgeschenk. So gar nicht weihnachtlich angehaucht, paßte es dennoch thematisch in diese Zeit und war außerdem im allerbesten Sinne des Wortes ein Schmöker, den man in gemütlichen Stunden verschlingen konnte.

Die Könige der ersten Nacht sind selbstverständlich jene Heiligen Drei Könige,Weisen,Magier oder Hirten, die an die Krippe Jesu gerufen waren, um dem Gottessohn zu huldigen. Ihre Gebeine ruhten im Jahre 1162 in einer unscheinbaren Mailänder Kapelle, als Rainald von Dassel, der Erzbischof von Köln und Reichskanzler des mächtigen Kaisers Barbarossa, von verzehrendem Haß getrieben, die Stadt belagern läßt. Die Mailänder sind ein stolzes Volk und trotz Hunger und sich ausbreitender Not nicht zum Aufgeben bereit. Dassel will ihnen jedoch nicht nur ihren Stolz rauben, sondern Barbarossa die Gebeine der Heiligen Drei Könige feierlich als Geschenk darbringen, um diesen größten Schatz der Christenheit über diesen Umweg für sich selbst in Köln nutzbringend einzusetzen. Sein Plan wird schließlich aufgehen, allerdings erst nach einer mehrjährigen Verzögerung.

Dies sind die historischen Tatsachen. Die Zeitspanne von ihrem Raub aus Mailand bis zum feierlichen Einzug der kostbaren Reliquien in Köln bietet jedoch jede Menge Raum für Spekulationen. Bernhard Hennen, der neben Germanistik auch Archäologie studiert hat und als Journalist tätig war, hat zu den Ereignissen seine eigene spannende und historisch durchaus schlüssige Version gefunden.

Vier Ritter, als Kampfgenossen mehr oder weniger zufällig aneinandergeraten, werden von Dassel sorgfältig ausgewählt, um für ihn diese wertvollen Schätze zu rauben. Die Auswahl Dassels ist arglistig. Unter dem Deckmantel einer frommen Handlung wird hiermit ein Kriminalfall in Gang gesetzt, der das Leben jedes daran Beteiligten nachhaltig beeinflussen wird. Am tragischsten ist der Fall des jungen Knappen Rother, des Jüngsten von ihnen, der seinen überhasteten Ritterschlag seinem durchgehenden Pferd verdankte, das mit halsbrecherischer Geschwindigkeit dem Feind entgegenlief. Für Rother bedeutet die Umdeutung dieser Panne in eine Heldentat eine Belastung seines Gewissens, für Dassel kommt sie sehr gelegen, um einen jungen, unerfahrenen Burschen für seine Zwecke zu opfern. Die von Rother, der inzwischen Visionen von den Heiligen Drei Königen hat, unter Lebensgefahr ausgekundschaftete Möglichkeit, zu den Reliquien zu gelangen, bringt ihn in Kontakt mit den eingeschlossenen Mailändern, die ihn zu ihrem Boten an Kaiser Friedrich ernennen.

Gegenspieler Dassels sind nicht nur die Mailänder Bürger, ihr Erzbischof Obert und dessen Racheengel Lupo der Falkner, sondern auch der aus Rom vertriebene Papst Alexander und als direkter Kontrahent Konrad, der Bruder des Kaisers. Dassel hat immense Macht angehäuft und einen bisweilen unheilvollen Einfluß auf Barbarossa. Sein Stolz und seine Borniertheit verhindern zunehmend eine Politik des Ausgleichs und der Stärke, ohne die eigenen Kräfte zu verschleißen. Der hinterhältige Bruch von Konrads Eid, den durch Rother angekündigten Gesandten der Mailänder freies Geleit zu gewähren, wird unverdientermaßen Rother angelastet, der dafür mit seinem Leben bezahlen wird. Die Konflikte zwischen Konrad und Dassel spitzen sich in den drei Jahren der Suche im Reich zu, bis hin zu kriegerischen Auseinandersetzungen.

Im März 1162 fällt Mailand. Die belagerte Stadt mußte sich Kaiser Barbarossa ergeben, der nunmehr in Hochgefühlen schwelgt. Anders sein Reichskanzler. Dassel befördert nicht nur Plünderung und Brandschatzung, er begibt sich im Schutze der Nacht mit den drei Rittern selbst in die zerstörte Kapelle, um die Gebeine zu stehlen, und ermordet im Angesicht Gottes kaltblütig den alten Priester, der ihn trotz Dunkelheit erkennt. Was Dassel in diesem Augenblick auch nicht im entferntesten ahnt, kommt erst vierzehn Tage später ans Licht, als die Gebeine in Lodi, wohin sie verbracht worden waren, mit neuen kostbaren Gewändern ausgestattet werden sollen: Eine der Leichen ist weiblich, wofür nicht nur eine kunstvolle Frisur mit eingeschlungenem Diadem Zeugnis ablegt, sondern vor allem das fehlende Körperteil. Ohne um das Geheimnis zu wissen, werden Anno und Ludwig zur Bewachung der heiligen Überreste eingeteilt.

Rother, der beim Fall Mailands von seinen Freunden in der Stadt verstümmelt, fiebernd und halbverhungert aufgefunden wird, halten nur die Stimmen der drei Könige am Leben. Als der ehemalige Klosterbruder Heinrich den sterbenden Rother auf dessen Wunsch zu den Königen bringen will, lassen sich Anno und Ludwig erweichen und gewähren ihm diese Bitte. Aber die Stimmen der Könige, die Rother nicht nur in seinen Fieberträumen begleiten, verstummen jäh im Angesicht des falschen Heiligen. Mit ungeahnter Kraft zerstört Rother den Leichnam genau in jenem Augenblick, als Dassel den Raum betritt.

Nach Rothers baldigem Tod lockt Dassel mit den unterschiedlichsten Versprechungen seine Mitwisser nunmehr, die Identität des dritten Königs herauszufinden. Rothers Gefährten, die Ritter Anno, Heinrich und Ludwig, betrauern diesen Verlust und begeben sich auch um seinetwillen auf die gefahrvolle Reise, die sie nach vielen Zwischenstationen schließlich in den Orient und bis nach Byzanz und Jerusalem führt. Sie können nicht ahnen, daß jeder König den Tod eines von ihnen fordern wird.

Ausgangspunkt ihrer schwierigen Suche ist Konstantinopel. Dort treffen sie den Verbindungsmann des Erzbischofs, Zenon, einen schriftgelehrten und, wie sich später erweisen würde, auch kampferprobten Mönch. Gemeinsam mit diesem durchforstet Heinrich, dessen Lebensziel der Templerorden darstellt, die Klosterbibliothek nach Hinweisen auf die Heiligenvita, währenddessen sich seine Freunde mit den unterschiedlichsten Vergnügungen die Zeit vertreiben. Eine unglückliche Liebesaffäre zwingt die Ritter und Zenon jedoch nach einiger Zeit zur Flucht, ohne ein Ergebnis erlangt zu haben. Lupo der Falkner hat ihre Spur verfolgt und muß ihnen auch diesmal nachziehen, denn seine Hoffnung, die Falle bei ihrer Flucht zuschnappen zu lassen, erfüllt sich nicht. So ziehen die vier und der eine nach Palästina. Mit Ausnahme von Heinrich begegnen seine Kampfgefährten dem geheimnisumwitterten Mönch mit deutlichem Mißtrauen, und auch untereinander machen sich Verbitterung und Neid in den Herzen breit. Lange Nachforschungen in einem entlegenen Kloster, aber auch eine gute Portion Jagdinstinkt lassen sie die Grabstätte schließlich finden und den letzten König bergen. Anno tötet den Mönch heimtückisch, und nun ziehen sie wieder zu dritt in Richtung Heimat. Aber die alte, ohnehin stets zerbrechlich gewesene Freundschaft stellt sich nicht mehr ein. Jeder hat berechtigte oder unberechtigte Vorwürfe gegen die andern, jeder pflegt und nährt seinen Groll. Wieder ist es Anno, der einen von ihnen opfert. Diesmal ist es Heinrich, der bei einem Sarazenenüberfall sterben soll, während Anno und Ludwig sich und den Leichnahm in Sicherheit bringen. Der Weg nach Deutschland bringt ihnen noch weitere Abenteuer, aber selbst in der Heimat finden die beiden keine Ruhe, denn ein mysteriöser schwarzer Mönch, der Anno erst wie eine Spukgestalt erscheint, dann aber Realität wird, vollendet die Rache. Rainald von Dassel kommt der Tod seiner beiden Mitwisser in dieser heiklen Angelegenheit durchaus gelegen. Im Jahre 1164 erst können dem Fürsterzbischof dann endlich wunschgemäß die heiligen Gebeine in einer prunkvollen Zeremonie vom Kaiser übergeben werden.

Die Identität des geheimnisvollen schwarzen Mönches mit der Ledermaske, der auch die Geschichte der Reliquien berichtet, wird erst ganz am Ende des Romans gelüftet, daher soll sie an dieser Stelle verborgen bleiben.

Dieser Roman ist gleichzeitig spannend und voll tiefem Verständnis um den Lauf der Welt. Schon allein die knappe Rahmenhandlung läßt den Leser nicht los. Um so mehr nimmt einen dann die eigentliche Geschichte gefangen. Hennen fängt die mittelalterliche Lebens- und Gedankenwelt mit all ihren Facetten glaubhaft ein, sei es nun in Italien, Deutschland, Byzanz oder in Palästina. Die Spurensuche in den Handschriften wird kriminalistisch genau dokumentiert, aber dabei so fesselnd und dramatisch berichtet, daß selbst die sich daran anknüpfenden grundsätzlichen theologischen Debatten zwischen Zenon und Heinrich den Leser in ihren Bann schlagen. Auch psychologisch sind die Figuren gut ausgearbeitet: der junge, naive, aufrechte Rother, der überlegen-selbstherrliche, draufgängerische Anno, der unglücklichen Lieben nachtrauernde Ludwig und der in sich gekehrte, von Komplexen geplagte, nichtsdestoweniger tapfere Heinrich. Die jeweiligen Charaktere, betrachtet unter dem Prisma veränderter Lebensbedingungen, lassen immer wieder neue Nuancen zutage treten, ohne ihre Grundstruktur aufzugeben.

Noch heute sind die Reliquien im Kölner Dom anzubeten. Ihr Geheimnis behalten sie weiterhin für sich. Vielleicht aber hat ja Bernhard Hennen doch ein Zipfelchen der Wahrheit ergreifen können?



Berliner LeseZeichen, Ausgabe 04/2000 © Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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