Rezension von Hans-Rainer John


cover  

Nightlife-Profi auf Abwegen

 

Bret Easton Ellis: Glamorama
Roman. Aus dem Amerikanischen von Joachim Kalka.

Kiepenheuer & Witsch, Köln 1999, 684 S.

 

Zwanzig Jahre alt war B. E. Ellis, als er 1984 einen Kurs für kreatives Schreiben absolvierte. Als Abschlußarbeit reichte er Less Than Zero (Unter Null) ein. Es ging darin um die Kinder reicher, aber gelangweilter Eltern, die ihrem mondänen Leben zwischen Partys, Sex, Drogen und Gewalt kaum noch einen Kick, geschweige denn einen Sinn abgewinnen können. Sein Lehrer war von dem Manuskript begeistert und gab es einem angesehenen Verlag. Auf Anhieb wurde es zum Kultbuch, in dem sich eine Generation wiederfand. Und Ellis hatte sein Thema gefunden, das er in Die Information (1991) und American Psycho (1995) weiterverfolgte. Seither wird Ellis den originellsten und provokantesten Autoren der amerikanischen Gegenwartsliteratur zugerechnet.

In Glamorama nun sind die ehemaligen Teenagerstudenten Endzwanziger geworden. Ihr Leben ist noch immer vom Wettlauf um Geld und Ansehen, Autos und Frauen bestimmt, von Highlife und Glamour, aber auch schon von Sinnkrise und Verbrechen. Scharf beobachtete Details formieren sich zu einer düsteren Anklage gegen eine entartete Kultur, die sowohl von unersättlichem Konsumverhalten als auch von einer Menschenverachtung geprägt ist, die Tierschützer schon nahezu anachronistisch erscheinen läßt. Das Schicksal des Protagonisten wird zum Menetekel einer Gesellschaft, die von Unrecht und Verbrechen erschüttert wird und in der Sicherheit und Moral kaum noch durchsetzbar erscheinen, die Wirklichkeit zunehmend manipuliert und jede Wahrheit in Frage gestellt wird.

Der erste, in sich geschlossene Teil ist realistisch und logisch, hier gelingt es dem Autor, sein Anliegen überzeugend und wiederum mit großem Talent vorzutragen. Auf 250 Seiten werden die Ereignisse von nur zwei Tagen im Leben von Victor Ward referiert - atemlos gewissermaßen, in einem Zuge, fast ohne Absatz. Victor ist Model, Musiker, Darsteller, Manager, Nightlife-Profi. Er ist schön, charmant, beliebt, ein athletischer Strahlemann, clean und dynamisch, der den abgebrühten Party-Ton, zwei Dutzend leere Phrasen des Small talk, souverän beherrscht. Mit den Stars und Sternchen von Hollywood, der Musikszene und der Modebranche von Claudia Schiffer bis Michael Douglas steht er auf vertrautem Fuße. Er lebt mit Chloe Bynres, einem der schönsten Spitzenmodels, zusammen. Leider hat ihn der Erfolg auch sorglos und nachlässig gemacht. Gerade ist er dabei, für den steinreichen Damien Nutchs Ross einen repräsentativen Drei-Millionen-Dollar-Nachtclub in Manhattan mit zwei VIP-Räumen und vier vollausgebauten Bars zu organisieren, mondän einzurichten und in Anwesenheit aller Leute, die Rang und Namen haben, zu eröffnen. Aber hinterrücks bereitet er nicht nur einen eigenen Club als Konkurrenzunternehmen vor, er unterhält auch sexuelle Verhältnisse sowohl zu Alison, der Verlobten von Damien, als auch zu Lauren, der Geliebten von Damien. Das ist sein Verderben, denn den Paparazzis bleibt nichts verborgen. Victor fliegt auf, Damien stößt ihn brutal auf die Straße, gleich drei Damen - Chloe, Alison und Lauren - verschließen ihm empört ihre Tür, und sein Apartment muß er räumen. Was nun? In der Not ist er gezwungen, zum Angebot eines Mister Palakon zu greifen, der ihm 300 000 Dollar plus Reisespesen bietet, wenn er eine Frau namens Jamie Fields, die in London verschwunden sei, aufspürt und in die USA zurückbringt. Er schifft sich also auf der „Queen Elisabeth 2” ein.

Mit der spöttisch-satirischen Sachlichkeit eines Anatomen fängt Ellis das Flair der Partyszene ein, die Egozentrik, das Desinteresse am Partner, das hier herrscht, die Verlogenheit und die hermetische Abgeschlossenheit gegenüber den bewegenden Vorgängen in der Welt, die Eitelkeit, die Bemühung, Glanz, Glamour, Erotik und Souveränität auszustrahlen. „Alle hier sind ... so was von ... tot.” Großartig!

Leider fällt der zweite, surrealistische Teil, eigentlich auf Steigerung angelegt, auf Überhöhung zu einer Apokalypse spätkapitalistischen Lebens, dagegen ab. Er ist voller Rätsel, Zufälligkeiten, Oberflächenerscheinungen und kolportagehaften Zügen, er schockiert durch eine Überfülle detaillierter Schilderungen von grausamen Vorgängen wie Folter, Mord und Terror, die ohne gesellschaftlichen Kontext bleiben, und er ist voller Klischees, die wie in Endlosschleife abgespult werden.

Schon auf der Überfahrt passieren unerklärliche Dinge: Marina Cannon, eine junge Frau, in die sich Victor auf Anhieb verliebt, und ein wichtiges Requisit (ein Hut, den Victor als unverdächtiger Kurier zu Jamie Fields bringen soll, später erweist sich, daß in seinen Näthen der Prototyp einer neuen Art Plastiksprengstoff verborgen war) verschwinden. In London entpuppt sich Jamie Fields als ehemalige Studienfreundin Victors, zwischen beiden funkt es sofort gewaltig. Aber Jamie ist auch umgeben von einer Gruppe junger Leute unter Leitung von Bobby Hughes, die sich als Terroristenbande erweist. Sie kidnappen, foltern, verstümmeln, töten Leute, jagen Hotels in die Luft, lassen Autobomben hochgehen, vergiften Swimmingpools mit LiDVL-96-Kapseln, bringen Flugzeuge zum Absturz, richten Chaos im U-Bahn-Betrieb an - zuerst in London, später in Paris. Die Absichten, Ziele und Auftraggeber bleiben ungenannt. Victor wird einbezogen, benutzt, vermag die Aktionen nicht zu durchschauen, fühlt sich bedroht, fürchtet für sein Leben, sucht Hilfe, möchte aussteigen. Andererseits gibt er sich lustvoll Sexorgien ausgerechnet mit Bobby hin, die ausführlich und genüßlich beschrieben werden. Auf einmal ist Chloe in Paris, sie ist schwanger, bezeichnet Victor als den Vater, vergibt ihm seine Untreue, wird aber von Bobby mit RU-486 vergiftet (warum?) und stirbt. Inzwischen bringen die Gruppenmitglieder einander um (der Grund bleibt unerfindlich), auch Jamie haucht ihr Leben aus, nur Victor und Bobby bleiben übrig. Victor kann die Freiheit nur gewinnen, indem er Bobby im Zweikampf tötet.

Am Ende wird ein wenig vom Hintergrund der rätselvollen Vorgänge aufgehellt ...

Die Verunsicherung des Lesers ist Programm. Stets wird er im Ungewissen gehalten, ob es um reale Vorgänge geht oder um gestellte, die gerade gefilmt werden, ob von realen Personen die Rede ist oder von Darstellern, die bestimmte Personen verkörpern, ob wirkliche Menschen gefoltert oder nur Dummies auseinandergesprengt werden. Auch die Verstörung des Lesers durch Schock ist genug kalkuliert. Der Autor provoziert mit einem Gruselszenario und badet in der Schilderung von Blut, Wunden, Verstümmelungen. Das wirkt aber höchstens aufs Gefühl, nicht auf den Verstand. Natürlich wissen wir, daß Elektrofolter und abgeschnittene Penisse, daß Flugzeugkatastrophen und Zeitzünderbomben keine ausgedachten Schauermärchen sind, aber interessiert nicht vorzüglich die hier gänzlich offengelassene Frage, welche gesellschaftlichen Kräfte solche brutalen Mittel zu welchem Zweck einsetzen? Es wäre besser, die der Kritik ausgesetzten Verhältnisse würden klar und deutlich umrissen und damit durchschaubar gemacht, der Zusammenhang von Glamour, Gewalt und Verbrechen, den der Autor zieht, würde zwingender nachgewiesen und damit analysierbar gemacht, um Erkenntnisse zu provozieren und Abwehrkräfte zu aktivieren.

Ellis geht einen anderen Weg. Er benutzt Metaphern, um eine Welt zu charakterisieren, die nicht die seine ist. Kälte zum Beispiel: „Dampf kommt aus meinem Mund, so eiskalt ist es in dem Haus”, oder: „Es ist so kalt, daß der Fußboden schlüpfrig ist vom Frost.” Auch Gestank: „Das Haus riecht nach Scheiße, es stinkt - feucht, faulend, widerlich”, oder: „Es wallt der Geruch von Scheiße, schlammig, wolkig.” Er benutzt die Bilder aber so oft, daß sie schließlich Klischee werden. Das gilt besonders für das Weinen Victors, das nicht so vieler Wiederholungen bedurft hätte, um einen Antihelden zu schaffen: „Tränen laufen mir übers Gesicht”, „Ich weine stumm vor mich hin”, „Ich weine immer noch, versuche, das Weinen zu unterdrücken”, „Ich schluchze nur noch, die Tränen strömen hervor” usw. Schließlich ist ja auch ein Dutzendmal notiert, daß er sich Xanax einwirft und dadurch willenlos wird: „Die Szene bleibt dunkel und verschwimmt. Ich bin zu erschöpft, um etwas zu hören oder zu erkennen.”

Irgendwo heißt es im Roman: „Einfach der allerletzte Mist, und derart chic geboten.” Das als Urteil über dem Buch stehen zu lassen wäre trotz aller Einwände sicherlich ganz falsch. Denn aufrichtig und ehrlich betrauert der Autor, daß in einer modebesessenen und prominenzgeilen Hochglanzwelt, die vom Kampf um Geld, Macht und Ruhm, um Ansehen und Einfluß bestimmt wird, und in der Schönheit als Leistung gilt, der Mensch die ihm zustehende und notwendige Liebe, Achtung und Fürsorge nicht erhält. Seinem Unbehagen, seiner Wut, seiner Trauer verleiht Ellis beredten Ausdruck. Das allein schon sichert ihm unsere Aufmerksamkeit und Wertschätzung.



Berliner LeseZeichen, Ausgabe 04/2000 © Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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