Rezension von Waldtraut Lewin


 

Belletristik


Liebe und Terror

Anouar Benmalek: Die Liebenden von Algier
Roman.
Aus dem Französischen von Hans Thill.
Luchterhand Literaturverlag, München 2000, 416 S.

Dies ist mehr ein Roman des Entsetzens denn einer der Liebe. Es geht um Algier, und das heißt, es geht um Mord und Totschlag, Armut, Verachtung, Haß, Engstirnigkeit, Not und Tod und Gewalt, Gewalt, Gewalt.

In dem von den Krämpfen des gegenseitigen Mordens und von den Wirren des Zweiten Weltkriegs geschüttelten Land finden sich eine Schweizer Zirkusartistin und ein junger algerischer Bergbauer zur großen alles übersteigenden Liebe, heiraten, haben zwei Kinder, die von den Mudschaheddin, den fanatischen Glaubenskämpfern, ermordet werden. Sie werden getrennt, erdulden während der Unabhängigkeitskämpfe Gefängnis, Verfolgung, Bedrohung aller Art, bis sie schließlich beide - alt, verbraucht und durch mancherlei Schicksale wandernd- einander wiederfinden. Die Kraft und Ausdauer der Artistin Anna, die nach dem Tod ihres Schweizer Ehemanns sich aufmacht, um im vom Terror gebeutelten Algerien nach ihrer ersten Liebe Nasreddin zu suchen, von den Terroristen gefangen wird und nur um ein Haar entkommt - diese Kraft reicht auch noch aus, einen kleinen Straßenjungen vor dem sicheren Tod zu retten und ihm bei einem Freund ein neues Zuhause zu geben.

Die Widmungen, die dem Buch vorangestellt sind, lassen darauf schließen, daß hier mehr oder weniger eine Familiengeschichte erzählt wird. Auf alle Fälle haben wir es bei diesem Autor mit einer authentischen Stimme Algeriens zu tun - kenntnis- und detailreich, genau und zutiefst verzweifelt über das Schicksal dieses Landes. Da das Buch in einigen Partien im Jahre 1997 spielt, ist wohl anzunehmen, daß sich an diesen Zuständen kaum etwas geändert haben wird, daß man nicht in den Iran oder nach Afghanistan reisen muß, um die ganze fundamentalistische Schreckensherrschaft des Terrorismus zu spüren zu bekommen.

Ich muß gestehen, daß ich mich mit diesem Buch sehr schwergetan habe. Denn obgleich die Botschaft schließlich ja so etwas wie ein Triumph der Liebe, eine Botschaft der Hoffnung ist, herrscht die Beschreibung des Entsetzlichen vor. Wie viele Kehlen hier durchgeschnitten, wie viele Frauen vergewaltigt und verhöhnt, wie viele Menschen bis zum Äußersten gedemütigt werden, was Hunger und Angst und Hilflosigkeit angesichts der Brutalität des Terrors bedeuten - das ist der vorherrschende Eindruck. Bürgerkrieg als Dauerzustand - das ist es, was diese Lektüre vermittelt. Alles, was wir über islamischen Fundamentalismus je gehört haben, bestätigt uns dieser Roman - ein Roman, der von einem Insider geschrieben wurde.

Anouar Benmalek, der sich vehement für sein geplagtes Land engagiert, schreibt in Französisch. Er hat auch, so geht es aus dem Klappentext hervor, eine französische Staatsbürgerschaft und lebt in Rennes. Das kann ich verstehen. Vielleicht würde er sonst selbst irgendwann mit durchschnittener Kehle irgendwo in Algier am Straßenrand liegen. Keine einfache Lektüre in einer Welt, in der wir jeden Tag ohnehin mit den Meldungen des Horrors und der Verzweiflung überflutet werden. Ein ernstes, ein ehrliches, ein trauriges Buch mit einem Hauch der Hoffnung - nicht auf das große Ganze, aber auf die Kraft der einzelnen, sich in diesem Ganzen zu bewahren. Was Menschen einander an Entsetzlichem antun, wird dadurch nicht gemildert, aber vielleicht erträglicher.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 04/2000 © Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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