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„Ein wirklicher Dichter und
ein deutscher Patriot”
Stephan Hermlin zum 85. Geburtstag

 

„Ich habe Stephan Hermlin als einen sehr tapferen, immer im Sinne beider deutscher Staaten denkenden Schriftsteller kennengelernt, es gab für ihn immer nur e i n e Literatur”, so eröffnete der Verleger Klaus Wagenbach eine Veranstaltung zum 85. Geburtstag des Dichters in der Berliner Literaturwerkstatt am Majakowskiring. Er habe Stefan Hermlin 1960 anläßlich einer Tagung der Gruppe 47 in Berlin kennengelernt. Hermlin habe ihm, der damals noch Lektor des S. Fischer Verlages war, zum erstenmal Biermann vorgespielt und ihn mit Peter Huchel bekannt gemacht. Klaus Wagenbach erinnerte daran, wieviel Hermlin für seine Kollegen getan habe. So initiierte er 1962 die große Lyrikkonferenz in Berlin, auf der junge Autoren wie Volker Braun, Sarah Kirsch und Wolf Biermann die Gelegenheit erhielten, erstmals in der Öffentlichkeit ihre Arbeiten vorzustellen, was Hermlin seinen Posten als Sekretär der Akademie der Künste kostete. Zur gleichen Zeit trat er aus Solidarität mit dem entlassenen Peter Huchel aus dem Beirat von „Sinn und Form” aus. Danach habe sich weder im Osten noch im Westen ein Verlag für ihn geöffnet. Wagenbach erinnerte daran, daß Hermlin sich in den 70er Jahren dafür eingesetzt habe, daß Trakl - herausgegeben von Franz Fühmann - in der DDR erscheinen konnte, daß in seinem Haus die Solidaritäts-Erklärung für Biermann formuliert wurde, daß er der Initiator der Berliner Konferenz 1981 mit Schriftstellern aus beiden deutschen Staaten war, die von der atomaren Aufrüstung in ihren Ländern beunruhigt waren. Grass habe Hermlin in jenen Tagen, als sich das „Neue Deutschland” und die FAZ in ihrer schrillen Tonlage kaum unterschieden, kennen- und schätzengelernt. Hermlin sei im besten Sinne ein „deutscher Patriot” gewesen, was nicht ausschloß, daß nach der deutschen Einheit die Zahl seiner Feinde wuchs.

Was Klaus Wagenbach kurz resümierte, wurde durch eine Briefauswahl von 1947 bis 1995, die Rolf Becker anschließend las, bestätigt. Peter Suhrkamp schrieb Hermlin 1948, er habe bei der Lektüre seiner Balladen und Eluard-Übersetzungen „einen wirklichen Dichter” gefunden, Ernst Penzold grüßte „die Rothaut” aus München, Paul Eluard schrieb: „... ich denke an Sie oft mit Zärtlichkeit”, Thomas Mann bedankte sich für die gelungene Übersetzung eines ihm gewidmeten ungarischen Gedichts, Brecht für den Ratschlag, „Die Gewehre der Frau Carrar” zusammen mit einem Stück von Alberti aufzuführen. Natürlich wurden in den Briefen die politischen Zeitläufe kommentiert. So klagte Hans Mayer, der in München und Hamburg 1956 zum Tod Brechts Vorträge hielt, es sei „keine Freude, heute als östlicher Professor drüben zu sprechen”, und Martin Walser kommentierte den Mauerbau 1961: „... ein bißchen blödsinnig ist es ja inzwischen schon zugegangen.” Nach dem Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in der CSSR 1968 schrieb Hermlin an den Botschafter der CSSR in Berlin, er „erlebe diese Tage als unerträgliche Belastung” und bewundere den „Mut und die Disziplin des tschechoslowakischen Volkes”. Wie verzweifelt Hermlin war, verrät ein Brief an Aragon, dem er 1968 mitteilte, daß seine Post einbehalten und sein Telefon abgehört werde. „Seit dem 21. hat sich alles geändert, ... ich sehe deutsche Soldaten im fremden Land.” Er sei 53 Jahre alt und habe 37 Jahre seines Lebens einer Sache gewidmet, die er nun nicht mehr vertreten könne. „Die Zukunft ist dunkel”, heißt es. 1970 lud ihn Neruda als seinen persönlichen Gast nach Chile ein, um die Übergabe der Regierung an die Unidad popular mitzuerleben. 1974 bedankte sich Stefan Heym für Hermlins positives Gutachten zu seinem Roman Fünf Tage im Juni, der in der DDR nie erscheinen durfte: „Ich könnte nur wünschen, es gäbe viele wie Dich”, schrieb er. Christa Wolf las Hermlins Lektüre als „neue konkrete Verteidigung der Poesie”, als „unerhörte Ermutigung”, und Gershom Scholem bedankte sich 1977 bei Hermlin, der gegen den Widerstand der DDR-Behörden durchgesetzt hatte, daß ihm die Akademie der Künste die Kopien seines Briefwechsels mit Benjamin zuschickte: Die Sendung sei das schönste Geschenk zu seinem 80.Geburtstag gewesen.

Als Hermlin Vizepräsident des internationalen PEN war, gelang es ihm 1980 - wie aus einem vertraulichen Brief an den Sekretär des internationalen PEN hervorgeht - nach einem zweistündigen Gespräch mit Erich Honecker zwei der drei verhafteten jungen Schriftsteller (Rathenow und Matthies) frei zu bekommen; um den dritten wolle er sich auch noch bemühen. Einen der originellsten Briefe sandte Jurek Becker zum 80. Geburtstag Hermlins: Er habe ihn als Schüler in der Aula seiner Berliner Schule erlebt und sei von der männlichen Schönheit Hermlins so beeindruckt gewesen, daß er beschloß, ebenfalls Schriftsteller zu werden. Der Glückwunsch endet mit einer Verbeugung vor Hermlins geistiger Haltung: „... wenn schon andere Ansichten als die meinen, dann solche, wie Du sie hast.”

Die von Irina Hermlin und Klaus Wagenbach gemeinsam vorbereitete Hommage endete mit einem kleinen Empfang der persönlich Geladenen. Die künstlerische Prominenz der ehemaligen DDR - und nicht nur diese - hatte sich eingefunden.  

Dorothea Körner



Berliner LeseZeichen, Ausgabe 04/2000 © Edition Luisenstadt, 2000
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