Annotation von Björn Berg


Renger, Almut-Barbara:
Mythos Narziß
Texte von Ovid bis Jacques Lacan.

Reclam Verlag, Leipzig 1999, 320 S.

Was eine Nazisse ist, war vor einem halben Jahrhundert jedem Deutschen geläufig. Leni Riefenstahl war für viele eine Nazisse. Eine, die sich mit den Nazis verbündete und verbrüderte. War Riefenstahl wirklich eine Nazisse? War sie nicht viel eher eine Narzißtin? Gibt’s die denn? Die Narzißtin? Der Selbstverliebte, gemeinhin Narziß genannt, ist männlich. Und wie stet’s mit der Schwester? Der Sage nach suchte Narziß die tote Zwillingsschwester in seinem Spiegelbild, in das er sich verliebte. Eine schöne Geschichte, die schöne Schlußfolgerungen zuläßt. Auch die: Narziß ist ein androgynes Wesen. Ein Thema für sich, das wahrlich nicht das Hauptthema des Bandes Mythos Narziß ist, den Almut-Barbara Renger herausbrachte. Das Thema Narziß beherrscht die Herausgeberin blendend und weiß und weist eine Menge Wege zu ihm. Vor allem literarische und - naheliegenderweise - auch psychoanalytische. Narziß ist ein durch die Jahrhunderte von der Literatur immer wieder gelifteter Mythos der Menschheit. Den Psychoanalytikern ist der Mythos Narziß ein Grundmuster des Individuums. Also kommen in einem kräftigen Nachschlag des Buches auch die Koryphäen der Psychoanalyse von Freud, Fromm bis Miller zu Worte. Die Philologin Renger liebt’s wissenschaftlich und fängt den Schönen - muß Narziß immer schön sein? - mit dem Netz der Wissenschaft. Das Entree macht sie mit „Narziß im lyrischen Heute“. Vergleichbar steif geht’s durch acht Abteilungen und durch Frau Rengers bescheiden „Lektürenhinweise“ genannten Essay. In dem kann die Wissenschaftlerin ihrem ganzen Wissen über „die Narzißfigur der antiken Mythologie und den neuen Mythos des Narzißmus“ freien Lauf lassen. Wem die Experten-Expertise, dann und wann, früher oder später, auf den Geist geht, der erfrischt den schnell, sobald er sich der literarischen Lektüre zuwendet. Narziß zum Glück! Schlag nach bei Narziß!


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 03/00 (c) Edition Luisenstadt, 2000
www.luise-berlin.de

zurück zur vorherigen Seite