Annotation von Eberhard Wegner


 
Jahnke, Karl Heinz:
Zu Hause in der DDR
Biographische Notizen.
Pahl-Rugenstein Verlag, Bonn 1999, 208 S.

 

„Als Historiker sehe ich die gegenwärtige Situation als Herausforderung an mitzuhelfen, ein Bild über die DDR zu erarbeiten, das der Wahrheit näherkommt als ein Großteil der in jüngster Zeit publizierten Abhandlungen”, erläutert der Autor, bis 1991 Lehrstuhlinhaber für Deutsche Geschichte an der Rostocker Universität, sein Anliegen. Er beruft sich dabei auf eine Äußerung von Bundespräsident Herzog am 3. Oktober 1998, daß „wir uns wechselseitig unsere Biographien erzählen” sollen, damit sich daraus „eine ehrliche Gesamtschau entwickelt, die wir uns gemeinsam zu eigen machen können”. Der Autor erhebt nicht den Anspruch, Porträts im literarischen oder journalistischen Sinne verfaßt zu haben. Seine biographischen Notizen, nach Gesprächen geschrieben, wirken für meinen Geschmack manchmal ein wenig trocken und lehrbuchhaft. Sie sind aber interessant durch ihre Fakten und Daten, die Lebensläufe mit ihren Knackpunkten und Wendungen. Vorgestellt werden zehn Personen, die durchweg „aus Überzeugung und nicht aus Zwang in der DDR gelebt haben”. Die sich zwar gelegentlich an diesem Staat, seinen Maßnahmen gerieben, seine Mängel und Ungereimtheiten gespürt haben, sich aber in diesem Land zu Hause fühlten, sich zu ihm bekennen und ihre Biographien nicht bereuen. Der Reigen beginnt mit der 1917 geborenen Ina Ender, die in ihren jungen Jahren als Mannequin eines Berliner Modesalons aktiv in der Widerstandsgruppe „Rote Kapelle” wirkte, gleich nach dem Krieg Bürgermeisterin in Brand-Erbisdorf, später Betriebsleiterin war, wegen verschiedener „Verstöße” abgesetzt wurde und als Näherin arbeitete. Einer ganz anderen Generation gehört Solveig Leo an, die 1968 als 24jährige Vorsitzende einer LPG von 1 000 Hektar wurde, als eine Art „Vorzeigefrau” in der DDR galt, 1985 an die Spitze der mehrere Landkreise umfassenden Agrar-Industrievereinigung „Lewitz” trat, nach der Wende arbeitslos war, von einer Münchener Stiftung eine ABM-Stelle bekam, sich schließlich neues Vertrauen als Leiterin Feldbau in einer Agrar-Produkt-GmbH von 2 500 Hektar errang und 1994 außerdem Bürgermeisterin ihres Heimatdorfes Banzkow wurde. Zu den interessantesten Notizen gehört zweifellos die über den Direktor des Leipziger Zentralinstituts für Jugendforschung, Prof. Dr. Walter Friedrich. Vor allem, weil wir durch ihn erfahren, wie sträflich von der DDR-Führung unter Honecker die tatsächliche Stimmung der Bevölkerung, besonders der Mentalitätswandel unter der Jugend, ignoriert wurde. Einer der wenigen Nicht-Ignoranten unter den DDR-Spitzenfunktionären war zweifellos der ebenfalls im Buch vorgestellte Dr. Wolfgang Herger, an der Jenaer Universität promovierter Philosoph, der nach anfänglichen Reibereien mit SED und FDJ schließlich eine steile Karriere machte, 2. Sekretär des FDJ-Zentralrates, Abteilungsleiter des SED-Zentralkomitees (erst für Jugendfragen, dann, als erster Nichtmilitär, für Sicherheit) wurde, an der Seite von Egon Krenz und anderen maßgeblich an der Absetzung Honeckers und am friedlichen Verlauf der Wendetage beteiligt und schließlich vom 6. November bis 3. Dezember 1989 Politbüromitglied war. Außer von den Genannten finden sich im Buch die biographischen Notizen der ehemaligen Lehrerin Brigitte Reith, ihres Berufskollegen Dr. Jürgen Pfeiler, des Rostocker Bildhauers Wolfgang Eckardt, des letzten Chefs der DDR-Volksmarine, Hendrik Born, der ehemaligen Leiterin des Schulmuseums in Dresden, Dr. Waltraud Hillebrenner, sowie des Rentners Karl Kielhorn, der zwei Tage nach dem Beitritt der DDR zur BRD von den bundesdeutschen Organen festgenommen wurde, weil er als Mitglied eines antifaschistischen Lagerkomitees in sowjetischer Kriegsgefangenschaft mitschuldig am Tod eines Oberstabsrichters der Naziwehrmacht gewesen sein sollte. Das Buch, in einem renommierten Verlag erschienen, macht einen recht gediegenen Eindruck, auch durch die umfangreichen Quellen- und Literaturangaben. Zu bedauern ist nur die schlechte Reproduktion einiger der 66 Fotos.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 03/2000 © Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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