Rezension von Hans-Rainer John


cover  

Aufstieg und Fall der Borgias

 

Manuel Vázquez Montalbán:
Kaiser oder nichts
Roman. Aus dem Spanischen von Theres Moser.

Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 1999, 360 S.

 

Montalbán, 1939 in Barcelona geboren, hat die Figur des Privatdetektivs Carvalho geschaffen und ist bei uns eigentlich bekannt vor allem als Verfasser der Kriminalromane Die Vögel von Bangkok und Die Rose von Alexandria. In seinem neuesten Buch wandte er sich der italienischen Renaissance zu. Er überrascht durch profunde Kenntnisse des damaligen Lebens in seiner Vielfalt und seinen komplizierten Verflechtungen und bleibt doch ziemlich im kriminellen Milieu. Denn das war nicht nur die Blütezeit des Humanismus, die Zeit vielseitiger Genies wie Leonardo da Vinci und Michelangelo Buonarotti, Ariost und Petrarca, sondern auch eine brutale Zeit von Mord und Totschlag, Folter und Scheiterhaufen, Intrige und Verrat, eine Zeit hemmungsloser Verschwendung und schamloser Ausschweifung. Kirche und Glauben bildeten den Rauchvorhang, hinter dem die Päpste ihre Machtspiele trieben, die Simonie einschlossen und Prunk und Laster.

Es waren die Borgias, die Montalbán faszinierten, deren herausfordernd-überhebliches Motto „Aut Caesar aut nihil!” er zum Romantitel wählte und deren Aufstieg und Niedergang er erzählt. Die Borgias waren ein reiches und machtbewußtes Adelsgeschlecht aus Katalanien, das in Rom neben dem altrömischen Geburtsadel ausgesprochen gefährlich lebte. Mord drohte den „Eindringlingen” Tag und Nacht, da konnten sie nur durch äußerste Aggressivität überleben. So gelang im Jahre 1492 dem Kardinal Rodrigo Borgia, durch Bestechung und Stimmenkauf seine Wahl zum Papst Alexander IV. durchzusetzen und die berüchtigte Herrschaft der Borgias zu begründen. Er spannte seine Söhne und seine überaus schöne Tochter Lucrezia (mit der er, der Vielweiberei betrieb, auch eine inzestuöse Verbindung unterhalten haben soll) für seinen Machtpoker ein. Lucrezia wurde aus dynastischen Erwägungen mehrfach verheiratet, die hochgebildete Frau holte die berühmtesten Dichter und Denker der Zeit an ihren Hof. Vor allem Rodrigos Lieblingssohn Cesare, ein Syphilitiker, stach als politischer und militärischer Stratege hervor. Er suchte Frankreich, Spanien und das Königreich Neapel gegeneinander auszuspielen, die Stadtstaaten Venedig, Florenz, Mailand und Bologna zu dominieren und in der Toscana dem Vatikan einen machtvollen Staat zu schaffen: einen päpstlichen Staat als Basis für eine vereinigtes Italien, das in der Lage sein sollte, den Hegemonialkämpfen Frankreichs und Spaniens Einhalt zu gebieten.

Seine Erfolge, seine Klugheit, aber auch seine Skrupellosigkeit und Grausamkeit wurden von Niccolo Machiavelli beobachtet, bewundert und in seinem Werk Der Fürst porträtiert. Bevor jedoch Cesare die uneingeschränkte, sich über alle moralischen Bindungen hinwegsetzende Machtausübung als Herr über Italien verwirklichen konnte, starb der Papst, und Cesare verkalkulierte sich hinsichtlich der Kräfteverhältnisse und verspekulierte sich bezüglich seiner Verbündeten. Die Franzosen und Spanier schlossen sich hinter seinem Rücken zusammen und vernichteten ihn. Was wie ein Sieg von Moral und Gerechtigkeit aussah, war in Wahrheit ein Sieg der politischen Reaktion: zurück in finstere Zeiten!

Montalbáns Buch ist zutiefst beeindruckend. Der Autor hat es verstanden, das reiche Spektrum von Figuren, Interessen und geistigen Haltungen lebendig und differenziert zu erfassen und in einer spannenden Handlung zum Erlebnis werden zu lassen. Nicht allzu viele Fakten sind verbürgt - aber so kann es zugegangen sein. Die Logik der Ereignisse spricht dafür, die Wahrscheinlichkeit ist groß. Meisterlich ist die Darstellung des Geschachers um den Papstthron, um die Eheschließung von Cesare und Charlotte d'Albret. Beeindruckend sind die Schilderungen der Familienräson. (Lucrezias Männer werden aus dynastischen Gründen immer wieder vom Vater oder vom Bruder umgebracht: „Sie ist eine Borgia und der Familienräson verpflichtet. Die Familie steht über allem!”) Erschütternd sind Prozeß und Tortur von Savonarola erzählt. Großartig ist, wie die Theatralik der Macht (und Cesare als Meister der Theatralik) ins Licht gerückt wird. Mit Ignacio Loyola, Machiavelli, Savonarola und Leonardo da Vinci werden auch die geistigen Auseinandersetzungen der Zeit transparent. Und in der Ferne wird die Zeit des Adels bereits ausgeläutet, mit Geldscheinen, Bankiers und Geschäftsleuten bricht eine neue Zeit herein. Das alles ist anschaulich und dicht geschildert, aufs äußerste komprimiert, da ist kein Wort zuviel.

Allerdings ist der Roman mit dem Tode Cesares recht eigentlich zu Ende. Das letzte Kapitel - es handelt von Francisco de Borgia, dem Enkel eines Bruders von Cesare - wirkt wie ein Anhang und ist gestalterisch schwach, neue Aspekte wirft es nicht auf. Wir haben es ohnehin verstanden, daß Montalbán nicht dem Historismus huldigt, sondern daß er ein geschichtliches Beispiel bemüht, um mit uns über den Willen der Macht und das Funktionieren von Macht in unserer Zeit nachzudenken.

Das merkwürdige Sprachgefühl der Übersetzerin Theres Moser kann den Lesegenuß freilich stellenweise trüben. Ungewohnte Wortstellungen sieht man ja gerne nach, aber falsche Wortwahl und vor allem falsche Wortstellungen, die Bezüge unklar werden lassen, sollten eigentlich vom Lektor korrigiert worden sein.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 03/2000 © Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

zurück zur vorherigen Seite