Rezension von Miriam Margraf



Unappetitliche Vision

Lutz Büge: Genetics
MännerschwarmSkript, Hamburg 1999, 383 S.

Genetics, bei MännerschwarmSkript erschienen, ist ein schwules Buch - logisch -, leider kein homosexuelles, denn es ist frauenfeindlich. Ich habe lange überlegt, ob ich es bloß so empfinde; schließlich wird die beschriebene Gesellschaft vom Helden selbst in ihren moralischen Werten angezweifelt und verworfen. Block Arkansas, das für 150 Jahre versiegelte Genlabor, das, beherrscht von dem allmächtigen Computer Ciah, sogenannte Tics (von „Genetics”) hervorbringt, ist nur eine Fiktion. Auch für den Autor eine düstere Fiktion. Aber nicht unbedingt, weil Frauen darin nur als Gebärmaschinen vorkommen, sondern weil man Tics wie Laborratten für Genexperimente benutzt. Letzten Endes bringt es der Autor zu keinem Gegenentwurf (will er auch gar nicht). Die drei Tics, die sich am Schluß auf die inzwischen von Biowaffen entvölkerte Erdoberfläche retten, sind offensichtlich ganz froh, unter sich zu sein. Abgesehen davon, daß Szenen wie die, in der ein Durchgeknallter (böse, böse!) Schwangeren die Beine spreizt, um ihre Embryos zu erschießen, einfach nur noch unappetitlich sind - auch wenn es, neben dem Leser - der Held selbst so empfindet, gibt es noch andere Gründe dafür, daß dieses männliche Werk sexistisch ist. Der Autor wird sich wahrscheinlich heftig gegen diesen Vorwurf wehren. Aber er hat folgenden entscheidenden Fehler begangen: Das Buch beginnt mit der Flucht eines Mannes und einer Frau, die ihre Leidenschaft füreinander entdeckt haben: in der Gesellschaft der Tics ein Verbrechen, das mit dem Tod bestraft wird. Die sexuelle Befreiung, das „heterosexuelle Coming-out”, wird jedoch aus der Sicht der Frau beschrieben (eine Perspektive, die später, außer in einer kurzen Tagebuch-Sequenz, nie wieder auftaucht, weil Frauen in die Handlung nicht eingreifen). Sie ist es, die durch i h n beglückt wird. Und zwar durch bloßes Gestöpseltwerden ohne Vorspiel. Selbst wenn Mann es nicht besser weiß, hätte er sich in seiner Eigenschaft als Autor, nicht als Lover, wenigstens mal er k u n d i g e n können (für historische Romane muß man schließlich auch recherchieren). Jedenfalls wäre es ein einfacher Kniff gewesen, einen Mann die Schönheit eines Frauenkörpers entdecken zu lassen und nicht umgekehrt, um der Story einen anderen Einstieg zu geben. Verpaßt.

Das Ganze ist einigermaßen flott geschrieben. Wenn man sich also oben angeführten Argumenten zuwider auf den actionreichen Anfang einläßt, will man schon wissen, wie die düstere Gesellschaft nun konstruiert ist und was sich hinter dem diskutierfreudigen Zentralcomputer verbirgt. Leider ist hier schon wieder ein Haken: Nachdem es in harten Fights deftig zur Sache geht, läuft die Story an ihren Kulminationspunkten und eben auch kurz vor Schluß auf endlose philosophische Diskussionen des Helden mit dem Computer hinaus. Ich habe schon begriffen, daß dabei die Pseudo-Moral des Computers widerlegt werden soll - aber solch ein Aufbau bekommt der Dramaturgie des Buches ganz und gar nicht. Denn es als soziologisch-philosophisches Buch zu betrachten fällt schwer. Als Science-fiction-Thriller meinetwegen. Leider bleibt dann bei den ewigen Debatten die Spannung auf der Strecke.

Die Schönheit liegt im Auge des Betrachters. Vielleicht kann sich ja ein männlicher Leser für das Buch erwärmen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 03/2000 © Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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