Rezension von Helmut Caspar


 

Späte Ehrenrettung eines Hofarchitekten
Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz Bd. XXXV
Herausgegeben im Auftrag des Stiftungsrats vom Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz Klaus-Dieter Lehmann.
Gebr. Mann Verlag, Berlin 1999, 413 S., 117 Abb.
 

Dem Hofarchitekten Wilhelms II., Ernst von Ihne (1848-1917), hat die Mit- und Nachwelt keine Kränze geflochten. Kritiker sahen in ihm einen „kalten Arrangeur”, verdächtigten ihn gar der Kulturlosigkeit und Unfähigkeit, eine Säule ins Gefüge, ein Fenster in die Wand zu setzen. Bis heute hat sich das Urteil gehalten, Ihne sei „Hauptvertreter der Staatsarchitektur des deutschen Kaiserreichs in den Formen des italienischen Neobarocks” gewesen, mehr nicht. Obwohl in Berlin, Potsdam und anderswo auch heute noch mit wichtigen Bauten vertreten - zu nennen sind vor allem der Marstall, das jetzt mit anderen Bauten auf der Museumsinsel in die UNESCO-Liste des Weltkulturerbes aufgenommene Kaiser-Friedrich-Museum (Bodemuseum), die Staatsbibliothek Unter den Linden, die Bauten der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft in Dahlem und der Kaiserbahnhof am Park Sanssouci -, ist über den 1906 geadelten Ihne, der auch den Weißen Saal im Berliner Schloß prunkvoll erweiterte, wenig bekannt. Sogar ein komplettes Werkverzeichnis fehlt bisher, wie Oliver Sander im neuesten Jahrbuch der Stiftung Preußischer Kulturbesitz feststellt. Von den über 50 Bauten entstanden mehr als die Hälfte in der damaligen Reichshauptstadt. Der Verfasser räumt mit Legenden und Mißverständnissen auf und versucht, dem von der Architekturgeschichte glattweg übersehenen Ihne Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und ihn aus dem Klischee zu erlösen, er sei nichts anderes als der willfährige Hofarchitekt namens „En-Hi” bei Harun al Raschid II., also Kaiser Wilhelm II., gewesen. Freilich sei Ihne kein Revolutionär gewesen (obwohl seine Lebensdaten zufällig mit zwei Revolutionen - der von 1848 und der russischen Oktoberrevolution 1917 - verbunden sind), wie Sander nach der Analyse der Ihneschen Bauten zusammenfaßt. Er sei aber auch kein „wegweisend Moderner, weder architektonisch noch politisch” gewesen, das sei aus dem ersichtlich, was und für wen er baute. Der Reiz neuer Bautypen wie der des Geschäftshauses, der Verkehrsbauten oder des Industriebaus hätten ihn kaum beschäftigt und auch nicht seinem gesellschaftlichen Selbstverständnis als kaiserlicher Hofarchitekt entsprochen. „Trotzdem: so durchgängig kühl, schematisch, wilhelminisch-monumental, wie oft vereinfachend behauptet wurde, ist sein Werk nicht.”

Zu Beginn des Jahrbuchs werden die Reden veröffentlicht, die Anfang 1999 bei der Amtseinführung des neuen Stiftungspräsidenten Klaus-Dieter Lehmann als Nachfolger von Werner Knopp gehalten wurden, der neue Präsident resümiert anschließend die wichtigsten Aktivitäten des Gremiums im Jahr 1998 und gibt einen Ausblick auch auf die Baumaßnahmen auf der Museumsinsel, die einen vorsichtigen Umgang mit der historischen Substanz vorsehen und von zwanzig auf zehn Jahre verkürzt werden sollen. Was in der 1876 eröffneten Alten Nationalgalerie zu Beginn der zur Zeit laufenden Generalrekonstruktion vorgefunden wurde, wie die zum Teil noch aus dem Zweiten Weltkrieg stammenden Schäden behoben werden und was getan wird, um bisher für Ausstellungszwecke ungenutzte Räume für diese Aufgabe herzurichten, ohne dem Kunsttempel Gewalt anzutun, ist einem Bericht von Bernhard Maaz zu entnehmen.

Als Versuch einer späten Wiedergutmachung wertet Dorothea Kathmann die Rückgabe jüdischen Kunstbesitzes an ihre eigentlichen Eigentümer. In den Sammlungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz befinden sich Bestände, die nachweislich aus jüdischem Besitz stammen, wobei geklärt werden muß, unter welchen Umständen sie - zwangsweise oder nicht- dorthin gekommen sind. Am Beispiel der Sammlung Silberberg (Breslau) werden die Schwierigkeiten geschildert, das Schicksal jüdischen Kunstbesitzes zu rekonstruieren. Wie generell mit solchen Objekten verfahren werden soll, geht aus den im Anhang zu diesem Beitrag abgedruckten „Grundsätze(n) der Washingtoner Konferenz in bezug auf Kunstwerke, die von den Nazis beschlagnahmt wurden”, vom 3. Dezember 1998 hervor. Es ist zu erwarten, daß weitere Fälle dieser Art in den kommenden Jahrbüchern der Stiftung Preußischer Kulturbesitz geschildert werden.

Beiträge von Iselin Gundermann und Adelheid Rasche befassen sich mit den Mühen des damaligen brandenburgischen Kurfürsten Friedrich III. vor 300 Jahren, die königlich-preußische „Dignität” zu erlangen und diese Standeserhöhung durch aufwendige Druck- und Kupferstichwerke weithin bekanntzumachen. Weitere Themen sind die Entlarvung einer angeblich altägyptischen Pharaonenstele als Fälschung aus der Zeit um 1900 (Christian Goedicke und Rolf Krauss) sowie Betrachtungen zum malerischen Werk des unter Friedrich dem Großen tätigen Hofkupferstechers Georg Friedrich Schmidt (Rainer Michaelis). Eine Analyse der Museumsplanungen am Kulturforum (Andrea Bärnreuther) sowie Berichte über die Präsenz der Stiftung im Internet und über Neuerwerbungen, darunter auch des kompositorischen Nachlasses von Paul Lincke, runden den informativen Band ab.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 02/2000 © Edition Luisenstadt, 2000
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