Rezension von Volker Strebel


 

Prag mit Wenn und Aber
Peter Demetz:
Prag in Schwarz und Gold
Aus dem Amerikanischen von Joachim Kalka.
Piper Verlag, München 1998, 610 S.
 

Im Postscriptum des umfassenden Werkes läßt sich der wahre Antrieb des Autors erkennen, der ihn zu einem solch gewaltigen Unterfangen veranlaßt hatte. Es handelt sich bei diesem Buch um eine Heimkehr, genauer, um eine „schwierige Rückkehr nach Prag”. 1949, kurz nach der Machtübernahme der Kommunisten, hatte der junge Peter Demetz in einer kleinen Gruppe bei Nacht und Nebel die Tschechoslowakei verlassen. Eine abenteuerliche Flucht durch den Böhmerwald. Noch Jahre danach sollte den späteren Literaturwissenschaftler diese Aktion quälend im Traum beschäftigen.

Demetz, der die Gestapohaft überlebt hatte, war einigermaßen bewußt in der ersten Republik des Tomás G. Masaryk aufgewachsen. Seine familiäre Herkunft spiegelte sowohl in der sprachlichen wie in der ethnischen Vielseitigkeit die Spezifik des ostmitteleuropäischen Typus wider. Neben ladinisch wurde deutsch und tschechisch gesprochen. Die Mutter, als Jüdin nach Theresienstadt deportiert, überlebte das Lager nicht. Kein Wunder also, wenn Demetz sein Buch mit dem Satz beginnt: „Ich liebe und hasse meine Heimatstadt.” Das Auf und Ab von Triumph und Vertreibung, vom Gold der Macht und dem Schwarz des Leidens zieht sich durch die Jahrhunderte. Aus der Fülle einer tausendjährigen Geschichte wählt Demetz „sieben Momente” aus, die er kenntnisreich und unterhaltsam zugleich zu beschreiben vermag.

Der im Prolog „Libussa oder die Ursprungsgeschichten” angedeutete Plural belegt die böhmische Neigung zu Hypothesen und Mystifizierungen, was die Anfänge der Prager Siedlungsgeschichte betrifft. Demetz wägt immer auch mit dem Augenzwinkern eines Gelehrten ab, dem der Bezug zum wahren Leben niemals abgerissen war. Souverän bewegt er sich im Gewirr der Sagen und Überlieferungen, wie nicht zuletzt auch die sehr nützliche und von ihm selbst in Stichworten kommentierte Bibliographie im Anhang belegt.

Der erste Teil des Überblicks dieses außergewöhnlichen Porträts der Stadt Prag zieht sich von der Zeit Ottokars (880-1278) über die Ära Karls IV. bis hin zur hussitischen Revolution. Demetz bedauert, daß Ottokar in seiner Heimat fast nicht mehr gewürdigt wird: „Ottokar war der erste Prager König, der die arbeitende Bevölkerung und die Kaufleute (gleich welcher Nation) gegen den raubgierigen Adel (gleich welcher Gesellschaft) beschützte und den urbanen Raum schuf, in dem sich Gemeinwesen von Tschechen, Deutschen, Juden und Italienern bildeten, Menschen, die jahrhundertelang friedlich zusammen - oder mindestens nebeneinander - leben, arbeiten und schöpferisch tätig sein sollten.”

Vor den Augen des Lesers errichtet Peter Demetz ein solides historisches Fundament und ermöglicht somit einen neuen Blick auf bisher übersehene Zusammenhänge, deren Ausläufer oft genug bis in unsere Zeit reichen. Die Geschichte der jüdischen Minderheit etwa, der sich Demetz nicht nur im Prag Rudolfs II. annimmt. Düstere Wegmarken mithin, die sich einstellen. Aber dem Autor gelingt es, dem Widersprüchlichen und Schillernden in der Geschichte Prags Leben abzugewinnen. Der Nachweis, daß der Golem etwa zweihundert Jahre nach dem Ableben des Rabbi Juda Löw diesem als sein Werk angehängt wurde, ist eine philologisch dankbare Aufgabe. Und wiederholt versieht Peter Demetz die im 19. Jahrhundert entstandene Legende von der „Praga Mystika” mit einem ausdrücklichen Fragezeichen, auch oder gerade weil dies in den Jahren nach dem Zusammenbruch des realen Sozialismus wieder stark in Mode kam. Die vierzigjährige Isolation sei mit verantwortlich, wenn die Prager spüren, „daß sie mit einem Gespräch über den Golem eher Verständnis finden als mit ihrem Enthusiasmus für den metaphysischen Dichter Frantisek Halas, den nur ganz wenige der westlichen Reisenden kennen”.

Demetz stellt keine Synopse wissenschaftlicher Einzelergebnisse zusammen, greift aber deren Erkenntnisse auf, wenn er auf seiner Spurensuche vorgefertigte Königswege verläßt und sich auf unwegsames Gelände wagt. Grobe Vereinfachungen, wie sie - oft genug ideologisch motiviert - vorgenommen worden waren, sucht man vergebens. Eines dieser Beispiele betrifft die mechanische Verschränkung zwischen der Barockisierung Böhmens mit der katholischen Gegenreformation. Statt zu eifern, erzählt der Autor von Mozarts Aufenthalten in Prag oder dem Hin und Her der Deutschen und Tschechen vor allem im 19. Jahrhundert mit seinem Wendejahr von Revolution und Konterrevolution 1848/49.

Das abschließende Kapitel, „Masaryks Prag”, gelingt Demetz in besonderer Weise - kein Wunder, schließlich hatte er diese Zeit selbst erlebt. An geeigneten Stellen deutet er solches an, dezent in Klammern, als wolle er sich nicht aufdrängen. Ein leichter Anflug melancholischer Ironie, die sich mit einer unaufdringlichen Gelehrsamkeit sympatisch zusammengetan hat.

In Anlehnung an den alten Topos der Heimkehr endet das Buch mit einem Bekenntnis: „... und ich weiß, ich komme noch einmal zurück, ich will es noch einmal versuchen.”

Das vorliegende Buch bestätigt eindrucksvoll, daß Peter Demetz die Rückkehr gelungen ist.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 02/2000 © Edition Luisenstadt, 2000
www.berliner-lesezeichen.de

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